Und das mir! - Als Eintrittskarte in die weltberühmte Burg Falkenstein bekomme ich eine Hausordnung in die Hand gedrückt! Essen, Trinken und Rauchen in der Folterkammer verboten! Fotografieren im Kassenhäuschen - verboten! Auf die Zinnen klettern - verboten! Die gesamte Hausordnung hängt im Kassengebäude aus. Aber owei: Ein Kassengebäude gibt es gar nicht. Der Eintrittsverkäufer sitzt in einem Containerchen und schmollt. Sein Kassenhäuschen wird renoviert

Die Burg wird stückchenweise repariert. In 900 Jahren geht mal was kaputt. Auch Marmor, Stein und Eisen bricht. Man hätte es nicht gedacht. Aber über Steinburgen erzähle ich später mal was. Das hier ist eigentlich keine. Auch wenn die Mauern aussehen, als hätte hier seit 1120 keiner mehr was gemacht. Auf diese Steine … Wie das täuschen kann. Im 13. Jahrhundert umgebaut und saniert, im 15. und im 17. Jahrhundert dasselbe, im 19. Jahrhundert wieder. Und jetzt müssen die Mauern im Westen schon wieder geflickt werden. Was lehrt uns das? – Aller 200 Jahre ist so eine Burg fällig zur Generalinventur. Auch wenn sie nicht überfallen, bombardiert, erobert und angezündet wird. Wie die Vorgängerburg.

Mein Wanderführer empfiehlt den Weg auf den Turm. Dann möge man den Blick schweifen lassen Richtung West und sieht – nüscht. Außer Bäumen und Wald. Aber da, auf waldiger Höh, stand der erste Falkenstein. Der eigentlich der zweite war. Die zweite Burg der Konradsburger, denen wir auch noch begegnen werden. Der zweite Falkenstein hieß auch schon Falkenstein. Es hat ihm nur nichts genutzt: 1115 wurde er von den Sachsen zerstört. Die damals noch Niedersachsen waren und der festen Überzeugung, dass die Sachsen bessere Kaiser waren als die Franken. In diesem Fall: die Ostfranken, nicht zu verwechseln mit den Franzosen oder den noch östlicher lebenden Franken in Franken. Kaiser Heinrich der V. war ein Salier aus Ostfranken, der Gegend um Worms und Speyer. Und der Falkenstein war eine der Burgen, mit denen er seinen Herrschaftsanspruch am Harz zeigen wollte.

Mit oben genanntem Ergebnis.

Es soll ja noch Spuren geben von dieser ersten Burg, zwei Kilometerchen westwärts das Selketal hinauf. Nur einen offiziellen Wanderweg gibt es nicht mehr.

Und weil’s eigentlich ihre Burg war, bauten die Konradsburger, die sich nun Falkensteiner nannten, eine neue Burg. Irgendwann um 1120 war sie fertig. 100 Jahre später war dieser Bursche mit dem “Sachsenspiegel” zu Gast. Trost für alle Freunde der deutschen Juristerei: Zwei Räume in der Burg beschäftigen sich reineweg mit Eike von Repgow und dem Sachsenspiegel. Natürlich nicht die Räume, in denen er möglicherweise hockte und fror und redigierte. Siehe oben. Die Burg wurde zu oft umgebaut. Auch wenn der krumme Hof mit seinem tiefen Brunnen und dem großen Bergfried so aussieht, als wäre er noch original von 1120.

Drinnen sieht es übrigens auch so aus. Was Mittelalternarren wie meinereins ja geradezu entzückt: Die Decken sind schief, die Balken mächtig, die Dielen knarren. Und in keinem Raum stimmt die Geometrie. Hier haben die Handwerker unübersehbar frei nach Nase gebaut. Wie’s gerade passt. Und siehe: Es hält. Die Keller sind tief. Wurden aber wohl eher selten zum Foltern verwendet, außer wenn’s nötig war. Foltern gehörte zum Rechtsstaat in preußischen Landen. Das sei angemerkt: Natürlich sind wir gerade wieder in Preußen.

Erkennbar auch am Rittersaal, der früher nicht so hieß. Erst seit dem 19. Jahrhundert, als die Burgenbesitzer in Deutschland allesamt romantisch und wunderlich wurden und glaubten, eine Burg brauche ein Ritterzimmer. Auch wenn sie darin nur ihre Jagdgelage abhielten. Wozu wir auch noch kommen. Denn um nichts wurde sich am Harz so sehr gerauft wie um Jagdreviere. Deswegen gibt es auch eine hübsche Sammlung selbst erjagter Plüschtiere zu sehen und eine rustikale Schlafkammer aus Luthers Zeiten. Auch wenn das Bett neu ist – ein Nachbau. Auch rustikale Betten aus Luthers Zeiten hielten selten 500 Jahre.

Die Möbel stehen ein bisschen verloren da. So recht ist man bei der Zimmergestaltung noch nicht mit sich im Reinen. Da und dort steht’s auch dran: Man bastelt noch an der zukünftigen Ausstellung. Vielleicht würfelt man noch. Soll’s nun eine leidlich originalgetreue Burg werden oder eine pädagogische Lehrveranstaltung? Wer so viele Burgen besucht hat wie ich, der weiß, was ich meine. Der weiß auch, was auf Burg Falkenstein so erhellend ist. Der Mägdegang zum Beispiel …

“Leo?”

Recht hat meine schöne Bäckerin: Es hatte wenig mit hübschen Mädchen zu tun, sondern mit fleißigen Mägden. Da waren die römischen Kaiser genauso wie die Herren auf Falkenstein: Sie wollten das Gesinde eigentlich nicht beim Arbeiten sehen. Also führte der Mägdegang außen herum um die Zimmer der Herrschaft. Da waren auch die Verschnaufnischen in den Fenstern (Wer kann da mithalten?) und die Secrets. Die die meisten Lexika gar nicht kennen, weil’s ihnen keiner verraten hat. Man sieht sie auch von außen: schmale Außenbauten mit Luftschächten unten drin. Denn auf alten Burgen gab es keine Kanalisation. Wer ein Bedürfnis hatte, musste entweder raus in die Kälte oder schlüpfte im Gang in das Secret, wo ein Holzdeckel die rauschende Tiefe verdeckte.

Secret heißt das Ding. Steht zu lesen. Und wer den Papierhalter sucht, ist ebenfalls im falschen Jahrhundert. In einer kleinen Raufe steckt ein bisschen Stroh.

So weit muss ein Leo also laufen, um herauszufinden, woher das Wort Strohwisch kommt. Und womit sich die Mägde damals …

“Leo!”

Man muss das doch erklären, liebste Bäckerin. Das ist Sittengeschichte.

“!”

Doch, wirklich. Denn was lernt man noch? – Die Herrschaft benutzte die Secrets gar nicht. Man glaubt es kaum. Aber hier steht’s: Die Herren und Damen hatten in der ganzen Burg diverse Töpfe und Gefäße zur Verfügung, die das Gesinde dann zu leeren hatte. Die Secrets selbst waren den herrschaftlichen Hinterteilen zu kalt. Da biss der eisige Wind. Das blieb also dem Gesinde vorbehalten. Oder den armen Wachleuten, die auf den Turm geschickt wurden, um nach anrückenden Sachsen Ausschau zu halten. Auch am Turm gibt es ein Secret.

Und wohin schaut der Burgbesucher?

“?”

Natürlich da hin, wohin der Dings, du weißt schon …

“!”

Genau. Und laut Erklärungstafel fiel der ganze Summs direkt in den Pferdestall. Der stand im fünften Zwinger. Man kann sich das nur vorstellen. Nicht sehen. Da steht heute die Burggaststätte “Krummes Tor”. Da gibt es für alle, die Eintritt bezahlt haben, Bierchen, Kaffee, Eintopf. Hungrig muss keiner von der Burg gehen. Und wenn man ein Sitzplätzchen an der Mauer ergattert, kann man den Falknern zusehen, was sie alles mit Raubvögeln anstellen – Falken, Bussarden und Kauzen. Oder doch Käuzen?

Dass Käuze gehorchen, wenn eine forsche Falknerin mit einem Stück Fleisch winkt, kann ich nicht gerade behaupten. Dazu sind sie zu klug. Und gucken lieber, was Leo da zu Futtern hat. Oder guckt der Kauz, weil er in Leo einen Artverwandten sieht? – Bei Käuzen weiß man nie.

Was hat Leo noch gesehen? – Ein echtes Fräuleinzimmer ohne Fräulein drin. Ich hätte die Dame nicht beneidet. Von der Aussicht hatte sie nichts, denn vor den Fenstern war dieses berühmte Flaschenbodenglas. Und nebenan war gleich das Aufbahrungszimmer. Sie müssen gestorben sein wie die Fliegen, wenn sie extra ein Aufbahrungszimmer brauchten. Aber vielleicht brauchten sie es, weil die Keller voll waren: erster Molkekeller, zweiter Molkekeller, dritter … Sie müssen Unmengen von Kühen auf der Burg gehabt haben. Vielleicht im vierten Zwinger (wo heute die Käuze wohnen) oder im dritten (wo man den Käuzen beim Kauzigsein zugucken kann (Vorführungen von März bis Oktober), wenn’s den Käuze sind und keine Uhus).

Was sah Leo noch? – Lauter bunte Bilder in allen Räumen. Man hat doch glatterdings eine Kunstausstellung mitten in die Burgräume gehängt, zwischen Hirsch und Truh und Ritterrüstung. Seltsam sah das aus. Frank Nitsche heißt der Künstler, der da in esoterischem Farbrausch abgetaucht ist in das “Jenseits des Sichtbaren”.

Das war mir dann doch zu kompliziert. Hab ich mir lieber die Burgküche angeschaut. Eine der letzten, die auch noch funktionieren, sagt mein Wanderführer. Rustikal sieht es aus, so, wie man sich in alten DEFA-Filmen richtige Burgküchen vorstellt – mit einem riesigen Kessel überm Feuer und einem schwitzenden Koch.

Kleiner Tipp: Erschrecken Sie nicht. Im “Schiefen Saal”, wo die Ausstellung zur Burggeschichte zu sehen ist, lärmt einer dieser DEFA-Märchen-Filme, die auf Burg Falkenstein gedreht wurden. Der Schiefe Saal ist ungefähr das, was dabei herauskommt, wenn man in alten Burgen drei, vier alte Kammern zusammenlegt, um mal was Repräsentatives zu bekommen.

Kleine Entdeckung für alle, die was Wertvolles zu verstecken haben: In der Ausstellung sieht man auch eins der Verstecke, in denen die Falkensteiner 1945 ihr wertvolles Geschirr versteckt haben (und den 400 Jahre alten Wein!), damit es die Alliierten nicht finden. Sie haben’s auch nicht gefunden. Und die Leute, die sich die nächsten 45 Jahre auf der Burg herumtrieben, haben die Verstecke auch nicht gefunden. Da mussten die Grafen von Asseburg-Falkenstein erst wieder kommen mit ihren Schatzkarten und die alten Verstecke öffnen.

Was weiß ich also nun? – Dass ich mir mein Bäuchlein endlich wieder mit Bohnensuppe füllen konnte, weiß, wie ein Kauz erklärt, dass er keine Lust auf frisches Fleisch hat („Krakkkhh!“), dass der Rückweg steilzu bergab geht. Und ich mich nur noch überreden muss, mein sonniges Plätzchen im fünften Zwinger zu verlassen.

Die vierte Karte:

“Liebes Häschen,

so viel Wald hab ich lange nicht von oben gesehen. Wahrscheinlich ging es dem Spiegelschreiber aus Repgow genauso und er ist lieber rausgegangen, Falken zu gucken, als diese langweiligen Paragraphen zu schreiben. Gleich geht die letzte Bahn – aber der Lokführer erinnert mich an wen. Da lauf ich doch lieber den Eselssteig wieder runter und den Rest zu Fuß. Ich werd’s schon schaffen, bis die Sonne untergeht. Im Westen. Wie früher auch. Ist nur die Frage, wer schneller ist.

Dein Kauz in den Bergen, Dein Leo.”

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