Am Donnerstagabend kamen 2.000 Leipzigerinnen und Leipziger in die Innenstadt, um der Novemberpogrome vor 80 Jahren zu Gedenken und gegen Antisemitismus und Rassismus heute zu demonstrieren. Der „Initiativkreis 9. November“ hatte unter dem Motto „Erinnern – Für eine offene Gesellschaft“ dazu aufgerufen.

Sprecherin Rebecca Rahe zeigte sich zufrieden mit der Resonanz: „Von Familien mit Kindern bis hin zu älteren Menschen waren die Leipzigerinnen und Leipziger gekommen, zu gedenken und zu demonstrieren. Die Leipziger Zivilgesellschaft hat gezeigt, dass sie für eine offene Gesellschaft eintritt.“

Die Demonstration startete um 18:30 Uhr mit einer Begrüßung durch Küf Kaufmann, Vorsitzender der Israelitischen Religionsgemeinde, am Ariowitschhaus. Er bedankte sich bei den Demonstrationsteilnehmenden für ihre Solidarität. Am Partheufer gedachte die Demonstration den dort am 10.11.1938 zusammengetriebenen Jüdinnen und Juden mit Musik des Saxofonisten Michael Breitenbach, Kerzen und einem Tuch mit der Aufschrift „Mein Leipzig“.

Auch an den anderen Stationen der Demonstration, die mit Audiobeiträgen und Photoprojektionen jüdisches Leben in Leipzig hör- und sichtbar machten, blieben viele Demonstrant*innen stehen und lauschten aufmerksam den Erinnerungen von Zeitzeugen. Viele zeigten sich sichtlich bewegt. Gisela Kallenbach, Vorsitzende des Fördervereins Synagoge und Begegnungszentrum Ariowitsch-Haus e.V., sagte: „Sie gingen unter die Haut“.

Am Nikolaikirchhof wurde an den Schweigemarsch am 09.11.1988 gedacht, eine der ersten größeren, unabhängigen antifaschistischen Demonstrationen in der DDR. Dieser hatte die heutige Demonstration inspiriert. Gesine Oltmanns, die sowohl 1988 als auch heute eine der Organisator*innen war, sagte: „Daher setzen wir uns, wie damals, für ein offenes Land mit freien Menschen ein. Und damit ist und war nicht nur die Reisefreiheit und die Abschaffung der innerdeutschen Grenze gemeint, sondern eine solidarische Gesellschaft, in der es jedem Menschen möglich ist, unabhängig von Religion, Herkunft oder Geschlecht einen Platz zu haben.“

Zum Abschluss mahnte Ann-Katrin Düben von der „Sächsischen Landesarbeitsgemeinschaft – Aufarbeitung des Nationalsozialismus“: „Der Nationalsozialismus in Sachsen und seine gesellschaftlichen Folgen dürfen nicht länger heruntergespielt werden.“ Der Initiativkreis 9. November in Leipzig sei ein Zeichen der zivilgesellschaftlichen Stärke, es brauche jedoch mehr Unterstützung für sächsische Initiativen der historisch-politischen Bildungs- und Erinnerungsarbeit jenseits der Großstädte.

Am Ende der Demonstration legten viele Demonstrationsteilnehmende weiße Rosen und Kieselsteine auf den Stühlen des Synagogendenkmals nieder. Sprecherin Rebecca Rahe betonte: „Erinnern heißt, Verantwortung für das Heute übernehmen. Das haben die Leipzigerinnen und Leipziger heute Abend ernst genommen und ein klares Zeichen gegen neonazistische Tendenzen in unserer Gesellschaft gesetzt“.

Leipzig, den 8. November 2018 Initiativkreis 9. November

Der „Initiativkreis 9. November“ aus Einzelpersonen und Organisationen hat sich im Sommer 2018 gegründet, darin engagiert sind:

Aktion Sühnezeichen Friedensdienste – Regionalgruppe Leipzig, Chronik.LE, EnterHistory!, Frauenkultur e.V., Gedenkstätte für Zwangsarbeit, Grüne Jugend Leipzig, Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, Jüdisch-Christliche Arbeitsgemeinschaft, Jugend gegen Rechts, Jusos Leipzig, Gisela Kallenbach, Klett Kinderbuch Verlag, Kultur- und Begegnungszentrum Ariowitsch-Haus e.V. und Israelitische Religions-gemeinde zu Leipzig, Naturfreundejugend Leipzig, Gesine Oltmanns, Prisma – Interventionistische Linke, Rasenballisten e.V., Roter Stern Leipzig, Sächsische LAG – Auseinandersetzung mit dem NS, Stiftung Friedliche Revolution, Synagoge und Begegnungszentrum Leipzig e.V., Peter Wensierski, Christian Wolff, VVN-BdA.

O-Töne aus dem „Initiativkreis 9. November“:

„Mit Blick auf eine Zukunft ohne Zeitzeug*innen für die Geschehnisse der NS-Zeit ist Erinnerung per se als eigenes Handeln zu begreifen. Wir sind angehalten, selbst mit dem uns hinterlassenen Material umzugehen. Die Demo macht da einen guten Schritt in diese Richtung, weg vom zu oft nur ritualisierten Gedenken, hin zu einer Aktivität, die generationsübergreifend ist und damit den Blick zugleich auf das Heute richtet.“ (Jane Wegewitz, EnterHistory!)

„Unabhängig davon, wie weit von uns entfernt die Pogromnacht ist, spüren wir immer noch den giftigen Rauch von dem damaligen Brand. Wir werden diese Nacht nie vergessen.“ (Küf Kaufmann, Vorsitzender der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig)

„Wenn Politiker der AfD die Zeit des Nationalsozialismus einen ‚Vogelschiss‘ in der deutschen Geschichte nennen und das Holocaust-Mahnmal als ein ‚Denkmal der Schande‘ verächtlich machen, müssen wir uns mit einem aktiven Gedenken an die nationalsozialistischen Verbrechen dagegenstellen.“ (Rebecca Rahe)

„Vor 80 Jahren brannten auch in unserer Stadt die Synagogen. Viele, zu viele schauten gleichgültig zu. Damit das heute nicht mehr so ist, wollen wir jeden Anfängen wehren, antisemitische Äußerungen wieder salonfähig zu machen.“ (Gisela Kallenbach, Vorsitzende des Fördervereins Synagoge und Begegnungszentrum Ariowitsch-Haus e.V.)

„Wenn wir das Gedenken an die Pogromnacht für uns annehmen, müssen wir unsere Verantwortung als Mensch wahrnehmen, die Verantwortung für die Unverletzlichkeit der Menschenwürde, die Verantwortung für die Freiheit der Menschen in unserem Land.“ (Flugblatt vom 09.11.1988)

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