Mehr Raum für Debatten möchte DOK Leipzig während der diesjährigen Ausgabe schaffen. Unter dem Titel Wem gehört die Wahrheit? richtet DOK Leipzig im Herbst ein zweitägiges Symposium aus, um die Facetten des filmischen Umgangs mit dem politischen Gegner in den Blick zu nehmen und zu diskutieren. Die Veranstaltung wird gefördert durch die Bundeszentrale für politische Bildung und findet vom 31. Oktober bis 1. November statt.

Welche ästhetisch-politischen Strategien verfolgen Dokumentarfilmschaffende in der Auseinandersetzung mit Personen, die ihrer persönlichen Weltanschauung entgegenstehen? Wer setzt Regeln? Und wie lässt sich ein kritischer Film von einem affirmativen abgrenzen? Diese und weitere Fragen sollen mithilfe von Filmen, in Diskussionsrunden und Lesungen aufgeworfen werden. An den Diskussionen beteiligen können sich Filmfachleute ebenso wie interessierte Leipzigerinnen und Leipziger.

„Während der vergangenen Festivalausgaben gab es hitzige Debatten darüber, welche die ‚richtige‘ Herangehensweise an Dokumentarfilme sei, deren Protagonisten nicht das eigene Wertesystem teilen“, erläutert Festivalleiterin Leena Pasanen. „Die Diskussionen waren von einer großen Sorge begleitet, dass sich Filmemacher mit den Protagonisten gemein machen würden.

Es entstand ein regelrechtes Ringen um die Wahrheit. Deshalb machen wir den Titel des Symposiums auch zum Leitspruch der diesjährigen Festivalausgabe. Unter dem Slogan ‚Wem gehört die Wahrheit?‘ wollen wir auch weitere Filme des Festivals befragen und in Filmgesprächen mit dem Publikum diskutieren“.

Die Auseinandersetzung mit Filmen stellt den Ausgangspunkt dar, um die Diskussionen in anderen Kontexten aufzugreifen und weiterzuentwickeln. Programmer Ralph Eue, der die Konferenz initiiert hat, ergänzt: „Wir wollen einen produktiven ‚Streitraum‘ eröffnen und Meinungen austauschen. Als ein Festival, das sich dem künstlerischen Dokumentarfilm verpflichtet fühlt, möchten wir dabei entschieden für die Vielgestaltigkeit des Dokumentarischen plädieren und die Kunst der differenzierenden Filmbetrachtung fördern“.

Die Filme des Symposiums stellen zugleich eine der Sonderreihen des diesjährigen Festivals dar. Weitere kuratierte Sonderreihen beleuchten die Filmgeschichte, nehmen einzelne Filmländer in den Blick oder widmen sich dem Werk herausragender Künstler/innen.

Mit der diesjährigen Hommage ehrt DOK Leipzig das Filmschaffen der in Singapur ansässigen Regisseurin Tan Pin Pin. Die Künstlerin richtet in ihren Werken beharrlich ihren Blick auf die nationale Identität Singapurs – mitunter zum Missfallen des Inselstaats. Ihr Film „To Singapore, with Love“ (2013), in dem sie politische Exilanten im Ausland aufsucht, darf bis heute in Singapur nicht aufgeführt werden. A

uf internationalen Festivals wie der Berlinale, in Busan oder in Rotterdam wurden ihre audiovisuellen Essays wie „Invisible City“ (2007) dagegen gefeiert. Tan Pin Pins Werke verlaufen an den Schnittstellen von Video und Kunst, Film und Fotografie.

Ein zentrales Element der Sonderreihen ist stets die Retrospektive. Die diesjährige Retrospektive nimmt vierzig Jahre Doppelstaatlichkeit von 1949 bis 1989 ins Visier. „Wir gehen davon aus, dass der filmische Rückblick auf die vierzig Jahre Geschichte zum besseren Verständnis der politisch-gesellschaftlichen Nachwehen von 1989 beiträgt“,  so Eue, der die Retrospektive vor dem Hintergrund des Jubiläumsjahrs der Friedlichen Revolution gemeinsam mit Olaf Möller kuratiert hat.

Im Programm sollen inhaltliche und ästhetische Konfrontationen herausgearbeitet werden, denn, so Eue weiter: „Das Provisorium BRD war immer besser zu verstehen durch die Brille des Provisoriums DDR und umgekehrt. Am politischen Feind hat man sich abgearbeitet, diese existenzielle Gegnerschaft soll im Programm reflektiert werden“.

Die Zeit um 1989 war auch einschneidend für Kroatien – um seine sehr vitale Dokumentarfilmszene dreht sich der diesjährige Länderfokus des Festivals. Das Programm greift die Breite des aktuellen Filmschaffens auf und bietet dem Leipziger Publikum eine Vielfalt an ästhetischen Herangehensweisen, thematischen Zugängen und Produktionsbedingungen. In vielen Filmen sind darüber hinaus die Spuren des Krieges in den 1990er Jahren, des Systemwechsels von Sozialismus zu Kapitalismus und die damit verbundenen Reibungen und Widersprüche im Alltag der Menschen erkennbar.

Den einzigen Essayfilmer der DDR, Eduard Schreiber, würdigt das Festival in seiner mittlerweile traditionsreichen DEFA Matinee. Der 80. Geburtstag des Filmemachers gibt den feierlichen Anlass für die Ehrung Schreibers, der zwischen 1960 und 1980 Dauergast beim Leipziger Festival war.

Zurück blickt auch die Sonderreihe Re-Visionen. Seit zwei Jahren pflegt DOK Leipzig fortlaufende Rückblicke in die Festivalgeschichte und zeigt Filme, die für das Festival prägend waren. „Wir folgen hier ganz dem Ansatz, dass Geschichte immer herauf bis in die Gegenwart reicht. Dieser Gedanke spielt übrigens bei der Kuratierung sämtlicher Sonderreihen eine Rolle“, schließt Ralph Eue.

In diesem Jahr findet DOK Leipzig vom 28. Oktober bis 3. November statt. Insgesamt laufen während der Festivalwoche in der Offiziellen Auswahl sowie den Sonderreihen erneut über 300 Filme aus der ganzen Welt.

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