Mit der Fahnenaktion „Frei leben - ohne Gewalt“ am 25.11.2020 machte die Gleichstellungsbeauftragte, Konstanze Morgenroth, gemeinsam mit Ines Lüpfert, der 2. Beigeordneten des Landkreises und Vertreterinnen des Wegweiser e.V. auf ein problematisches Thema aufmerksam.

„Neben dieser Art der Öffentlichkeitsarbeit und dem Aufzeigen von Hilfsangeboten, ist die Prävention, aber auch die Sensibilisierungs- und Bildungsarbeit immens wichtig.“ betont Konstanze Morgenroth und führt weiter aus „wir hoffen auf eine zeitnahe Umsetzung der Istanbul Konvention. Damit allen von Gewalt betroffene Frauen und Mädchen gleichermaßen Zugang zu Unterstützung und Schutz erhalten und durch umfassende Präventionsmaßnahmen eine bessere Zukunft verschafft.“

Kerstin Kupfer vom Wegweiser e.V. schließt sich an: „Grundlegend ist eine gesicherte Finanzierung für ausreichend Zufluchtsmöglichkeiten und Beratungsstellen für Betroffene und ihre Kinder.“

Die Zahl der Straftaten im Landkreis Leipig blieben im Jahr 2019 auf hohem Niveau bzw. verzeichnen einen leichten Anstieg auf 577 polizeilich registrierte Fälle von Häuslicher Gewalt und zusätzlich 63 Fälle von Stalking. Die Dunkelziffer liegt weitaus höher. Der überwiegende Teil der Opfer sind Frauen (69%).

Um diesem gesellschaftlichen Problem zu begegnen, ist der Landkreis Leipzig gut aufgestellt. Es gibt ein Frauen- und Kinderschutzhaus und eine Beratungsstelle zu Häuslicher Gewalt und Stalking, die zum Wegweiser e.V. gehören. Über den 24h-Notruf 0177 – 30 39 219 bekommen betroffene Frauen sofort Hilfe.

Über das bundesweite Hilfetelefon unter 08000 116 016 kann eine erste Beratung in 18 Sprachen stattfinden. Der Arbeitskreis Häusliche Gewalt und Stalking vernetzt all die Fachkräfte aus Leipzig und der Region in dem Bereich. Auch das Jugendamt ist hier ein wichtiger Partner. Die Neustrukturierung des Fallmanagements im Allgemeinen Sozialen Dienst hat zur Verbesserung der Zusammenarbeit geführt. Neu ist das Modellprojekt „Medizinische Soforthilfe nach Vergewaltigung und häuslicher Gewalt“, welches für den Landkreis geplant ist, ebenso wie eine Fach-Arbeitsgruppe „sexuelle Gewalt“. Schulungen bei der Polizei zum Thema „Häusliche Gewalt und Stalking“ finden regelmäßig statt.

Aktuelle Besonderheit: Corona

Der Wegweiser e.V. als Trägerverein des Frauen- und Kinderschutzhauses hatte sich im März 2020 in einem Zeitungsartikel an die Öffentlichkeit gewandt und nach zusätzlichen privaten Unterbringungsmöglichkeiten gesucht, für den Fall, dass im Frauenschutzhaus eine Person an Covid-19 erkrankt oder eine unter Quarantäne stehende Frau eine Zuflucht sucht. Daraufhin haben sich einige private Vermieter von Ferienwohnungen und Ferienhäusern gemeldet. Diese Angebote mussten nicht in Anspruch genommen werden.

Zusätzlich wurde vom Freistaat Sachsen kurzfristig eine Interimseinrichtung mit 12 Plätzen in Markkleeberg eröffnet, um bei Vollbelegung oder pandemiebedingter kurzfristiger Schließung der regulären Schutzeinrichtung genügend Plätze vorzuhalten. Diese Einrichtung wurde zum 31.05.2020 wieder geschlossen. Plätze wurden während der Zeit nicht in Anspruch genommen. Allerdings sieht der Koalitionsvertrag vor, die Hilfe- und Unterstützungsstrukturen in Sachsen in Zukunft auszubauen.

Im Hilfesystem im Landkreis Leipzig waren während des 1. Lockdowns stets ausreichend Plätze für hilfesuchende Frauen und ihre Kinder vorhanden.

Indes ließ sich nach der Lockerung des Lockdown ein allmählicher Anstieg der Fallzahlen verzeichnen. Seit Ende Mai ist das Frauenschutzhaus im Landkreis Leipzig voll belegt. Zusätzliche Frauen (und ihre Kinder) können nicht aufgenommen werden. In diesen Fällen werden die hilfesuchenden Frauen in den regional nächsten Einrichtungen untergebracht.

Die drei Frauenschutzhäuser in der Stadt Leipzig sind meist ebenso voll belegt. Allerdings wurde im März eine ehemalige Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete in Leipzig zur Frauenschutzeinrichtung gewandelt, welche mit 32 Plätzen ab dem 01.01.2021 zur Verfügung stehen sollen. Damit stünden von häuslicher Gewalt betroffenen Frauen aus dem Landkreis eine weitere relativ wohnortnahe Zuflucht zur Verfügung.

Gründe, warum während der Hochphase der Pandemie weniger Menschen als erwartet das Hilfesystem in Anspruch genommen haben, sind vielfältig. So wird vermutet, dass es für die Opfer wesentlich schwieriger ist, Kontakt aufzunehmen, wenn sie in das häusliche und familiäre Umfeld gezwungen sind. Konkret gesprochen, ist ein Telefonat mit einer Beratungsstelle schwer möglich, wenn die gewaltausübende Person mit im Zimmer ist. Durch Homeoffice, geschlossene Kitas und Schulen fallen auch Wege weg, die sonst zur Kontaktaufnahme vor Ort genutzt wurden.

Die nach dem Lockdown angestiegenen Zahlen könnten ein Hinweis auf diese Hinderungsgründe sein. Die Momentaufnahme während der Krise bildet ganz sicher nicht die Realität der Betroffenen ab.

Allgemeine Informationen

Häusliche Gewalt hat vielfältige Erscheinungsformen, insbesondere als physische, psychische und sexualisierte Gewalt zwischen erwachsenen Personen und gegenüber Kindern und Jugendlichen, die in persönlicher, insbesondere familiärer Beziehung zum Gewaltanwender stehen oder gestanden haben.

Strafrechtlich betrachtet umfasst häuslicher Gewalt regelmäßig Straftaten wie Körperverletzung, Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch, Bedrohung und Nötigung, Freiheitsberaubung und Erpressung, Sexualstraftaten bis hin zu versuchten und vollendeten Tötungsdelikten reichen. Den Schwerpunkt bildeten, wie auch schon in den letzten Jahren, mit etwa zwei Drittel die Körperverletzungen. 2019 sind in Deutschland 301 Frauen Opfer von Mord oder Totschlag durch ihren Partner oder ehemaligen Partner geworden.

Hilfe bekommen Betroffene unter 08000 116016, der Telefon-Nummer des Hilfe-Telefons bzw. www.hilfetelefon.de oder unter dem Notruf Tag und Nacht: 0177 – 30 39 219 bzw. gewaltschutz@wegweiser-boehlen.de

Foto: Ines Lüpfert, 2. Beigeordnete des Landrats (links), Konstanze Morgenroth, Gleichstellungsbeauftragte und Kerstin Kupfer (rechts an der Fahne) sowie zwei Mitarbeiterinnen des Wegweiser e.V.

Leipziger Zeitung Nr. 85: Leben unter Corona-Bedingungen und die sehr philosophische Frage der Freiheit

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