Die russische Menschenrechtsorganisation „Memorial“ ist bereits in der Zeit der Perestroika in der Sowjetunion entstanden und arbeitet seitdem für die Aufarbeitung der Geschichte des Kommunismus und die Erinnerung an die Opfer politischer Repressionen, setzt sich aber auch aktuell für die Menschenrechte in Russland ein. Nach vielen Jahren der staatlichen Überwachung soll Memorial-International jetzt verboten werden. Dagegen wendete sich eine Mahnwache vor der Gedenkstätte in der „Runden Ecke“ am 27.12.2021

Die Nachricht aus Moskau vom 11. November 2021, dass die russische Generalstaatsanwaltschaft die Auflösung von Memorial International anstrebt, ist ein Angriff auf die Zivilgesellschaft in Russland und gegen die Aufarbeitung der Verbrechen des Kommunismus. „Memorial“ ist das moralische Gewissen des Landes.

In Jahre 2012 wurde in Russland das „Agenten-Gesetz“ verabschiedet. Seitdem arbeiten fast alle Nichtregierungs-organisationen (NGO) in Russland unter dem Druck einer erzwungenen Selbstauflösung oder eines Verbots. Das „Agenten-Gesetz“ schreibt u.a. vor, dass die NGOs sich auf allen Veröffentlichungen als „ausländischer Agent“ bezeichnen müssen, sobald sie Beziehungen ins Ausland unterhalten. Außerdem unterliegen sie einer dichten Überwachung.

Wie viele andere NGOs wurden auch Memorial-International sowie einzelne Memorial-Verbände in Russland mit schikanösen Überprüfungen und anonymen Anzeigen überzogen. Wegen der fehlenden Markierungen als „ausländischer Agent“ musste Memorial in den letzten beiden Jahren sehr hohe Strafzahlungen leisten. Aber auch Hetzkampagnen in den Medien oder Überfälle auf Veranstaltungen standen auf der Tagesordnung.

Memorial entstand als Bürgerrechtsbewegung bereits Ende der 1980er Jahre während der Perestrojka-Zeit in der früheren Sowjetunion. Der Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow gehörte zu den Gründern. Memorial kümmert sich vor allem um die Aufklärung der sowjetischen Vergangenheit mit Schwerpunkt auf der Geschichte politischer Repressionen, das Gedenken an die Opfer und soziale Fürsorge für die Überlebenden des sowjetischen Straflagersystems (GULag) sowie aktuell den Einsatz für Menschenrechte und die Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen in Russland.

Jetzt hat die russische Generalstaatsanwaltschaft mit dem Ziel des Verbotes ein Verfahren gegen Memorial-International wegen Verstößen gegen das „Agenten-Gesetz“ eingeleitet. Am 25.11.2021 war der erste Verhandlungstag. Das Verbot von Memorial-International wäre ein verhängnisvolles Signal und hätte katastrophale Auswirkungen auf zivilgesellschaftliche Initiativen in Russland aber auch auf die Aufarbeitung der kommunistischen Verbrechen. Am 14.12.2021 fand ein ein weiterer Verhandlungstag vor dem Obersten Gerichtshof in Moskau. Am 28.12.2021 soll nun erneut verhandelt werden.

Das Bürgerkomitee Leipzig e.V., das Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V., das NEUE FORUM Leipzig und die Leipziger Bezirksgruppe der Vereinigung der Opfer des Stalinismus – Gemeinschaft von Verfolgten und Gegnern des Kommunismus (VOS) e.V. haben deshalb für den 27.12.2021 um 14.00 Uhr erneut eine Mahnwache unter dem Motto „Hände weg von Memorial. Ohne Erinnerung keine Zukunft!“ vor der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ in Leipzig organisiert.

Sie appellieren mit dieser Mahnwache an die Öffentlichkeit und die Politik in Deutschland, deutlich Position zu beziehen und klarzustellen, dass ein Verbot von Memorial kein internes russisches Problem ist, sondern auch für die internationalen Beziehungen einen irreparablen Schaden bedeuten würde.

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Ich will nicht zynisch klingen, aber Protestaktionen wie diese sind – auch wenn sie gewiss gemacht werden müssen – ein Ausdruck von Hilflosigkeit gegenüber einem Russland, das der (angeblichen) Macht der Worte die (tatsächliche) Macht der Taten entgegensetzt und damit erfolgreich ist. Leider. Die Frage ist nur: will man hierzulande weiter in Worthülsen schwelgen oder sich praktisch-pragmatisch der Herausforderung stellen? Dann wird es gewiss unbequem, aber die “Unbequemlichkeit” von Worten reicht schon lange nicht mehr, falls sie das jemals getan hat und nicht nur ein Ausdruck der Sonntagsreden deutscher Politiker war.

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