Den Spruch vom schönen Gohlis, wo einem so wohl ist, den prägten die Leipziger im 18. Jahrhundert. Da war Gohlis noch ein kleines Dorf im Grünen, wo sich der eine oder andere Leipziger ein Feriendomizil in einer Kammer bei einem Bauern buchte. Das ist lange her. Gohlis ist kein Feriendorf mehr. Der Spruch aber lebt. Und Gohlis selbst? - Gibt es eigentlich nicht.

Auf der alten Gohliser Dorfflur sind mittlerweile drei Ortsteile mit dem Namen Gohlis entstanden. Das alte Dorf Gohlis steckt noch als Struktur in Gohlis-Süd. Dort begann auch vor 150 Jahren das Wachstum. Nicht sehr planvoll, wie jeder sieht, der heute versucht, die drei Ortsteile zu erkunden. Sie besitzen – anders etwa als die Südvorstadt – keine gemeinsame Hauptstraße. Die Georg-Schumann-Straße – die alte Handelsstraße nach Halle – bildet zwar die Grenze zwischen Gohlis-Süd und Gohlis-Mitte, aber sie trennt die beiden Ortsteile mehr als dass sie sie verbindet.

Das Ergebnis sind drei Ortsteile mit völlig unterschiedlicher Bevölkerungsstruktur. Zumindest was Nord und Süd betrifft. Aber das hat auch mit der Wohnbebauung zu tun und der Tatsache, dass ein Teil von Gohlis seit 1993 offiziell Sanierungsgebiet war. 26,6 Millionen Euro sind in dieser Zeit in das Gebiet zwischen der Möckerschen Straße im Süden und dem Eisenbahnbogen im Norden als Städtebauförderungsmittel geflossen. Mittlerweile überlegt zwar die Stadt – wie Jürgen Bukh vom Amt für Stadterneuerung und Wohnungsbauförderung erklärt, Gohlis als Sanierungsgebiet zu entlassen. Immerhin ist das Schlimmste geschafft: 1993 waren 80 Prozent der Wohngebäude in einem desolaten Zustand. Das hat sich aber nicht nur durch Sanierungsmaßnahmen geändert, sondern – gerade in den 1990er Jahren – auch durch einigen Abriss. Gohlis-Süd hat durch diesen rund 70 Wohngebäude aus der Zeit vor 1918 verloren, Gohlis-Mitte etwas über 30.

Es entstanden der Stadtplatz Gohlis, das Einkaufszentrum und – auf etlichen Brachen – Dutzende Stadthäuser. Gohlis-Süd gehörte – zusammen mit der Südvorstadt – zu jenen Leipziger Ortsteilen, die ihren Einwohnerrückgang schon Ende der 1990er Jahre stoppen konnten. Nur lag das in Gohlis-Süd daran, dass hier prächtige Villensubstanz gerade für die Besserverdienenden der Stadt zum attraktiven Wohnambiete wurde.

In Gohlis-Mitte begann der Aufwärtstrend erst kurz nach der Jahrtausendwende, ging aber wesentlich langsamer vonstatten, so dass das ursprünglich bevölkerungsärmere Gohlis-Süd heute der bevölkerungsreichste der drei Ortsteile ist: 17.838 Einwohner wurden 2014 gezählt, 2.000 mehr als in Gohlis-Mittte.

Beide sind aber heute für Leipziger Ortsteile recht junge Gebiete: Mit 39,2 (Süd) bzw. 39,5 Jahren (Mitte) Durchschnittsalter liegen die beiden Ortsteile um rund 4 Jahre unterm Leipzig-Durchschnitt. Was sich auch in Geburtenraten und Jugendquoten spiegelt, die deutlich überm Stadtdurchschnitt liegen.

Die Ausnahme ist immer Gohlis-Nord, das traditionell von größeren Neubaugebieten aus der Zeit der Weimarer Republik und der DDR-Zeit geprägt ist. Entsprechend spät kam hier der Sanierungsprozess in Gang, entsprechend hoch ist der Anteil älterer Bewohner. Mit einem Altersdurchschnitt von 49,9 Jahren liegt Gohlis-Nord um über sechs Jahre überm Leipziger Durchschnitt.

Aber es kann durchaus sein, dass das bald Schnee von gestern ist. Denn nur bis 2007 erlebte Gohlis-Nord das Schicksal aller von Neubaugebieten geprägten Leipziger Stadtteile und erlebte einen beständigen Bevölkerungsrückgang. Inzwischen macht sich aber auch hier das Leipziger Bevölkerungswachstum bemerkbar und die Bewohnerzahlen steigen.

Dumm nur, dass die Stadt nichts, aber auch gar nichts über die aktuellen Leerstandsquoten weiß. Auch Jürgen Bukh kann nur mit den Zahlen aus dem Zensus 2011 arbeiten. Damals hatten Gohlis-Nord und Gohlis-Süd eine Leerstandsquote von knapp 9 Prozent (was man wohl dem Sandmännchen erzählen kann), Gohlis-Mitte sogar von 12,7 Prozent. So viele unsanierte Häuser findet man im Bestand gar nicht mehr.

Hingegen ist gerade Gohlis-Mitte zu einem bevorzugten Quartier junger Erwerbstätiger geworden: Die Beschäftigungsquote bei sv-pflichtigen Jobs liegt über 63 Prozent. Das ist fast 8 Prozent über Leipzig-Durchschnitt (und sorgt für den üblichen Stau in der morgendlichen und abendlichen Rush Hour). Aber auch in Nord und Mitte liegt die Sv-Beschäftigten-Quote bei 59 Prozent. Die Arbeitslosenquote liegt in Mitte hingegen bei fast westdeutschlandmäßigen 4,1 Prozent (auf die Erwerbsfähigen berechnet), der Stadtdurchschnitt bei 7,2 Prozent. Auch Gohlis-Süd ist mit 5 Prozent unterm Durchschnitt. Was dann dazu führt, dass sowohl Mitte als auch Süd beim monatlichen Nettoeinkommen rund 250 Euro überm Stadtdurchschnitt liegen. Das ist dann noch keine Befreiung von Armut.

In beiden Ortsteilen sind trotzdem rund 16 Prozent der Kinder auf Sozialgeld angewiesen – der Stadtdurchschnitt liegt bei 26 Prozent. Was zumindest bedeutet, dass deutlich weniger Kinder in Armut leben, wenn die Eltern zumindest beide einen Job haben. Das muss nicht immer eine sv-pflichtige Anstellung sein. 12 Prozent der Berufstätigen in Gohlis sind Selbstständige (der Stadtdurchschnitt liegt bei 9 Prozent).

Aber die Betonung liegt auch hier auf  “wenn beide eine Beschäftigung haben”. Auch in Gohlis-Süd und Mitte sind 10 bis 11 Prozent der Einwohner auf SGB-II-Leistungen angewiesen, gehören also zu den dauerhaften Verlierern der diversen Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsreformen. In Gohlis-Nord sind es über 19 Prozent.

Die Zeit, dass hier auch die politische Lage von Gleichmut geprägt war, ist lange her. Sie endete just in jenem Jahr 1998, als deutschlandweit so eine Hoffnung aufkeimte, ein Farbwechsel im Bund könnte Besserung bringen. Damals verloren CDU und SPD beide massiv an Zuspruch – auch in Gohlis. Die CDU rutschte von 45-Prozent-Ergebnissen auf 30 Prozent, die SPD von 28 auf 17 Prozent. Leipzigs Statistiker haben hier die Landtagswahlergebnisse als Vergleich genommen. Aber die zeigen auch, dass Linke und Grüne tendenziell etwas profitierten von der Entwicklung. Aber noch deutlicher ist die dauerhaft zurückgehende Wahlbeteiligung. Der Süden ist dabei etwas grüner als der Norden, der Norden dafür etwas röter.

Ansonsten sind alle drei Ortsteile derzeit beliebte Zuzugsgebiete. Hier landen viele Zuwanderer, die erstmals in Leipzig Tritt fassen, aber auch aus den direkten Nachbarortsteilen gewinnen alle drei. Was nicht heißt, dass sie nicht auch verlieren. Aber wenn es Gohliser geschafft haben mit Beruf und Einkommen, dann scheint es sie noch näher ans Stadtzentrum zu ziehen – ins Waldstraßenviertel und in die Nordvorstadt.

Wem’s zu wohl ist, der zieht also in Zentrumsnähe. In Gohlis selbst wohnt man augenscheinlich, wenn man mitten im Berufsleben steht und noch ein bisschen ranklotzen muss fürs Familienbudget (den auch hier spürbaren Mangel an Schul- und Kita-Plätzen mitgedacht).

Ein Blick in die Georg-Schumann-Straße zeigt hier, dass über 20 Jahre Sanierungsgebiet eben noch nicht bedeuten, dass auch die Magistrale schon so aussieht, wie so eine Ortsteil-Magistrale aussehen sollte. Lauter Einkaufszentren schaffen noch lange keine Lebens- und Aufenthaltsqualität. Nicht ohne Grund wurde ja deshalb auch die Georg-Schumann-Straße zu einem eigenen Sanierungsprojekt – auch wenn die Ergebnisse (man schaue nur auf den todunglücklichen Huygensplatz in Möckern) oft genug die falschen sind. Leipzigs Planer müssen in Sachen Magistralengestaltung noch eine Menge lernen.

Was wohl in den drei Gohlis´ die Entwicklung nicht aufhalten wird. Nur die Probleme werden sich mehren. So, wie das nun einmal ist, wenn ein Stadtgebiet wächst.

Den Statistischen Quartalsbericht bekommt man für 7 Euro in gedruckter Form beim Amt für Statistik und Wahlen.

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