„Die Bedingungen für eine erfolgreiche Brut des Eisvogels am Floßgraben sind weiterhin gut“, meldete am Mittwoch, 20. Mai, das Amt für Stadtgrün und Gewässer. Dies ergäbe sich so aus dem jährlichen Monitoring am geschützten Gewässer im südlichen Auwald. Aber das kann das Monitoring überhaupt nicht belegen. Dazu fehlt jeder Vergleichsmaßstab. Auch wenn sich Jens Kipping 50 Mal in der Saison in seinen Beobachtungsstand begibt.

„Im Rahmen des Eisvogel-Monitorings im Jahr 2019 hatte es von Anfang März bis Mitte September insgesamt 50 Beobachtungen gegeben, deren Ergebnisse den Naturschutzbehörden der Stadt Leipzig und des Landkreises Leipzig zeitnah übermittelt wurden“, kommentiert Leipzigs Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal das Ergebnis für das Jahr 2019. „Wie bereits 2018 konnte auch 2019 am Floßgraben zwar erneut nur ein einzelnes Brutpaar festgestellt werden, jedoch zog dieses erfolgreich zwei Bruten groß.“

Noch vor wenigen Jahren wurden hier auch schon zwei, manchmal sogar drei Brutpaare gezählt.

Die Anzahl der Jungvögel lag 2019 jeweils im normalen Schwankungsbereich des Eisvogels, meint das Amt für Stadtgrün und Gewässer. Es wurden einmal mindestens sieben und einmal sechs Jungvögel gezählt. Die dritte begonnene Jahresbrut des Paares ging laut Gutachten womöglich an ein kleines Raubtier verloren.

Jens Kipping vom Büro BioCart hat das ökologische Gutachten erstellt. Er sagt seinerseits: „Der Brutbestand am Floßgraben in 2019 bedeutet ein Verharren auf niedrigem Niveau. Auch im Stadtgebiet ist die Anzahl der Brutpaare seit wenigen Jahren rückläufig. Dies liegt jedoch im natürlichen Schwankungsbereich der Art. Die Jahre 2014 bis 2016 waren wegen des jeweils vorangegangenen milden und nahezu frostfreien Winters ausgesprochen gute Eisvogeljahre mit hohen Beständen.“

Aber es geht ja am Floßgraben nicht nur um den Eisvogel. Er steht nur für den ganzen Komplex an geschützten Tier- und Pflanzenarten am Floßgraben. Sein Vorkommen signalisiert vor allem, ob die Lebensgemeinschaft am Floßgraben noch einigermaßen intakt ist oder nicht. Das hat nicht nur mit den Winterfrösten zu tun.

Denn Jens Kipping stellt auch fest, dass die Eisvögel (Alcedo atthis) auf Störungen grundsätzlich empfindlich reagieren.

Ob die Störungen dazu führen, dass bestimmte Brutplätze nicht mehr angenommen werden, kann er nicht wirklich sagen. Der Floßgraben wird ja nicht nur durch Bootsverkehr in Unruhe versetzt, sondern auch durch Menschen und Hunde am Ufer. Und wer sich den Auenwald anschaut – auch den südlichen – der sieht, dass immer mehr Trampelpfade durch die Waldgebiete führen – und zwar immer wieder dicht an den Wasserläufen entlang.

An die freigegebenen Stunden für den Bootsverkehr kann sich der Eisvogel augenscheinlich im Lauf der Saison irgendwie gewöhnen bzw. sich damit arrangieren.

„Der Floßgraben stellt für den Eisvogel ein optimales Nahrungshabitat dar“, erläutert Jens Kipping. „Die Wegesperrungen und zeitlichen Restriktionen der Allgemeinverfügung stellen sicher, dass die brütenden Eisvögel in der Lage sind, ausreichend und vor allem schnell Beute machen zu können. Dies ist wesentlich für die Aufzucht der Jungen.“

Dennoch bleibt die Allgemeinverfügung ein Kompromiss, der überhaupt noch muskelbetriebenen Bootsverkehr im Floßgraben ermöglichen soll.

Das formuliert das Amt für Stadtgrün und Gewässer auch so: Um den Vögeln Ruhe zu ermöglichen ohne den Wassersport komplett zu verbieten, hat die Stadt Leipzig seit der Saison 2016 eine unbefristet gültige Allgemeinverfügung (AGV) zur Nutzung des Floßgrabens erlassen. Diese beinhaltet, dass das Befahren des Floßgrabens mit Wasserfahrzeugen vom 1. März bis 30. September nur eingeschränkt möglich ist. Mit maschinenbetriebenen Booten aller Art ist das Befahren grundsätzlich untersagt.

Für Kajaks und Kanus (muskelkraftbetrieben) ist ein Befahren nur von 11 bis 13 Uhr, von 15 bis 18 Uhr und von 20 bis 22 Uhr zugelassen. Außerdem ist das Betreten und Befahren der Ufer einschließlich eines 20 Meter breiten beidseitigen Uferstreifens und das Freilaufenlassen von Hunden verboten. Entsprechende Hinweisschilder und Absperrungen sind angebracht. Zuwiderhandlungen werden als Ordnungswidrigkeiten oder Straftat verfolgt.

Nur scheint das nach wie vor etliche Zeitgenossen nicht zu hindern, dennoch ins Eisvogelrevier vorzudringen.

Im vergangenen Jahr waren insgesamt 18 Kontrollen zur Einhaltung der AGV durchgeführt worden, darunter sieben Großkontrollen mit Ordnungsamt, Feuerwehr und Wasserschutzpolizei. An Feiertagen bzw. Wochenenden erfolgten acht Kontrollen. Dabei wurden insgesamt 73 Verstöße dokumentiert (im Jahr 2018 waren es 102), wobei 29 Verstöße Privatboote und 34 Verstöße Verleihboote betrafen.

Die Zahlen relativieren sich, wenn man weiß, dass im Vorjahr sogar 26 Kontrollen durchgeführt wurden. Die festgestellten Verstöße stehen in direktem Zusammenhang mit der Kontrolldichte. Es ist also keineswegs ruhiger geworden im Eisvogelrevier und die Zahl der Zeitgenossen, die unbedingt die Regeln brechen müssen, hat auch nicht wirklich abgenommen. Auch das wirkt sich auf die Ergebnisse des Monitorings aus.

Zur Überprüfung der Wirksamkeit der Allgemeinverfügung lässt die Stadt Leipzig das Eisvogel-Monitoring seit 2013 durchführen. Durch engmaschige Kontrollen werden der Brutstatus, das Brutverhalten und der Bruterfolg untersucht, ausgewertet und mit den Vorjahren verglichen. Gleichzeitig wird aufgezeichnet, ob und inwieweit der Eisvogel durch Boote gestört wurde und wie sich diese Störungen auf sein Verhalten auswirken. Aus der Analyse werden dann Empfehlungen abgeleitet.

Heiko Rosenthal erklärt dazu: „Das Eisvogel-Monitoring im Jahr 2019 hat wiederholt gezeigt, dass die Allgemeinverfügung für den Floßgraben ihre Wirkung erzielt. Deshalb wird die Stadt Leipzig an den gewohnten Zeitfenstern zum Schutz des Eisvogels bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des Bootsverkehrs im Floßgraben weiter festhalten.“

Ein Balanceakt, wie man sieht.

Mit Blick auf die neue Saison 2020 meldet das Amt für Stadtgrün und Gewässer, dass bereits Brutaktivitäten am Floßgraben und an stark frequentierten innenstadtnahen Gewässern beobachtet wurden. Der Eisvogel brütet – zum Glück – nicht nur am Floßgraben. Einige seiner Brut- und Jagdreviere befinden sich auch an Gewässerabschnitten, die erst künftig als Bootskurse erschlossen und ausgebaut werden sollen. Bislang noch ungestört.

Ökolöwe reagiert deutlich auf den neuesten LVZ-Artikel zum Motorbootverkehr im Floßgraben

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