Der Mittwoch, 28. Juni, war für den Flughafen Leipzig/Halle mal wieder ein Ereignis. Nicht weil man mal wieder eine völlig sinnfreie Party feierte, sondern weil über 100 junge Leute unterschiedlicher Herkunft kreativ gegen die sächsische Abschiebepraxis am Flughafen Leipzig/Halle (LEJ) demonstrierten. Denn auch ins Bürgerkriegsland Afghanistan möchte Sachsens Regierung unbedingt abschieben. Es ist nur aufgeschoben.

Am 28. Juni sollte erneut ein Abschiebeflug nach Afghanistan abheben – diesmal vom Flughafen Leipzig-Halle. Das war erst in der vergangenen Woche bekannt geworden. Zeitgleich mit Nachrichten über neue schwere Terroranschläge in Afghanistan. Nachdem die letzte reguläre Sammelabschiebung Ende Mai ausgesetzt worden war, hatten Bundesregierung und Bundesländer vereinbart, nur noch straffällige Geflüchtete, sogenannte „Gefährder“ und solche, die gegen die „Mitwirkungspflichten“ bei der Identitätsfeststellung verstoßen, abzuschieben.

Selbst das ein perfides Spiel, das den braven Bürgern suggerieren soll, dass man hier mutmaßliche Kriminelle schnell außer Landes bringen möchte. Doch oft haben die Behörden nicht einmal ernsthafte Verdachtsmomente gegen die Menschen, die sie so eilig wieder in vom Krieg zerrüttete Länder verfrachten wollen.

Aber dazu kommt das ebenso tückische Spiel mit „Sicheren Herkunftsstaaten“, mit dem die konservativen Sicherheitsarchitekten der Bundesrepublik selbst Länder, in denen Kriege toben, zu „sicheren“ Zielländern erklären. Was dann auch in der vergangenen Woche wieder zum nächsten Vorstoß führte, die Sicherheitslage in Afghanistan neu zu bewerten. Die Absage des für Mittwoch geplanten Abschiebefluges beruhte allerdings auf „rein logistischen Gründen“.

„Es ist gut, dass es zunächst keinen neuen Abschiebeflug nach Afghanistan geben wird. Die Bundesregierung muss sich aber fragen lassen: Haben straffällige Geflüchtete, ‚Gefährder‘ und solche, die gegen die ‚Mitwirkungspflichten‘ bei der Identitätsfeststellung verstoßen, kein Recht zu überleben?“, fragte Juliane Nagel, Sprecherin der Linksfraktion für Migrations- und Flüchtlingspolitik der Linksfraktion im Sächsischen Landtag, aus diesem Anlass einmal aus ganz simpler menschlicher Perspektive. „Es gibt – Behauptungen auch des sächsischen Innenministers zum Trotz – nahezu keine sicheren Regionen in Afghanistan. Dies bekundete zuletzt auch die afghanische Flüchtlingsministerin. Alle Abschiebungen nach Afghanistan müssen gestoppt werden!“

Aufgeschoben ist allerdings nicht aufgehoben. Das Bundesinnenministerium hält weiter an Abschiebungen nach Afghanistan fest. Das betrifft auch Geflüchtete, die in Sachsen leben: Die Zahl der vollziehbar Ausreisepflichtigen aus Afghanistan hat sich seit Herbst 2016 von 153 auf 353 mehr als verdoppelt.

„Das zeigt auch, dass die Entscheidungspraxis des BAMF auf falschen Einschätzungen der Situation vor Ort beruht“, sagte Juliane Nagel. „Deshalb ist es richtig, dass Initiativen trotzdem zum Protest aufrufen.“

Das Netzwerk „Protest LEJ“ verweist darauf, dass vom Leipziger Flughafen regelmäßig Abschiebungen stattfinden. Im vergangenen Jahr waren über 2.000 Menschen betroffen, deren Lebensperspektive durch die Zwangsmaßnahme Abschiebung zerstört wurde.

„Es braucht dringend einen Paradigmenwechsel: Statt sich auf Abschottung und Abschiebung auszuruhen, muss darüber gesprochen werden, wie Menschen in Deutschland sicher leben und sich integrieren können“, betonte die Landtagsabgeordnete.

Auch wenn der Abschiebeflug kurzfristig verschoben wurde, trafen sich die Aktivisten trotzdem zum Protest am Flughafen.

Bunt und laut zog die Demonstration durch den Flughafen und erlangte die Aufmerksamkeit der zahlreichen Reisenden. Zum Abschluss der Demonstration durch den Flughafen errichteten die Teilnehmer eine symbolische Blockade vor dem für Abschiebungen genutzten Tor 1.

„Diese Aktion drückt unsere Entschlossenheit aus, keine weiteren Abschiebungen mehr zu akzeptieren und zeigt, dass wir darauf vorbereitet sind, jede weitere Abschiebung vom Flughafen Leipzig/Halle zu blockieren. Daher auch das Motto: ‚Ready to Block 1.0‘, so Aram Khan, Sprecherin des neugegründeten Aktionsnetzwerks „Protest LEJ“.

Die für Mittwoch angesetzte Abschiebung wäre die erste ins vermeintlich sichere Afghanistan seit dem offiziellen Abschiebestopp Anfang Juni gewesen. Während des letzten Monats war das ganze Land anhaltend Ziel von Anschlägen, die Sicherheitslage hat sich drastisch verschlechtert.

Aram Khan: „Wir gehen davon aus, dass diese konkrete Abschiebung verschoben wurde, weil sie öffentlich bekannt geworden ist. Die Situation in Afghanistan ist alles andere als sicher, und das ist momentan in der öffentlichen Wahrnehmung präsent. Dass die Abschiebung verschoben wurde, ist nichts Positives. Es werden immer noch Menschen abgeschoben, aber jetzt ist unklar, wann dies passieren wird. Diese Intransparenz verunmöglicht direkte Kritik und somit breiten gesellschaftlichen Protest.“

Und auch die sächsischen Grünen fordern ein Ende dieser rücksichtslosen Abschiebung von Menschen in ein krisengeschütteltes Land.

Christin Melcher, Landesvorstandssprecherin der Grünen: „Es ist unerträglich und grob fahrlässig, dass die Bundesregierung erneut Abschiebungen nach Afghanistan in Betracht zieht. Afghanistan ist nicht sicher und insbesondere für Rückkehrer aus Europa ist die Lage gefährlich, sie werden als fremd identifiziert und haben kein soziales Umfeld, das für das Überleben notwenig ist.“

Zudem hat gerade die Bundesregierung selbst die Reisewarnung für Afghanistan weiter verschärft: „Bombenanschläge, bewaffnete Überfälle und Entführungen gehören seit Jahren in allen Teilen von Afghanistan zum Angriffsspektrum der regierungsfeindlichen Kräfte. […] Der Aufenthalt in weiten Teilen des Landes bleibt gefährlich.“

Christin Melcher: „Eine Bundesregierung, die das Reisen nach Afghanistan als gefährlich einstuft, aber Menschen dorthin abschiebt, handelt unverantwortlich und nimmt wissentlich Tote in Kauf. Wir fordern einen sofortigen und konsequenten Stopp aller Abschiebungen nach Afghanistan.“

Protest gegen Abschiebungen am Flughafen Leipzig / Halle am 28. Juni 2017. Foto: Aktionsnetzwerk "Protest LEJ"
Protest gegen Abschiebungen am Flughafen Leipzig/Halle am 28. Juni 2017. Foto:
Aktionsnetzwerk „Protest LEJ“

Anne Kämmerer, Sprecherin der Grünen Jugend Sachsen ergänzt: „Afghanistan ist nicht sicher. Sollten sich die Vermutungen bestätigen, dass es am 28.06.2017 eine Sammelabschiebung vom Flughafen Leipzig geben wird, werden wir das nicht einfach hinnehmen. Gemeinsam mit der Zivilgesellschaft werden wir vor Ort sein.“

Die Demonstration am Mittwoch kritisierte diese intransparente Praxis der deutschen Behörden öffentlich und soll so den Boden für zukünftige Protestaktionen bereiten. Außerdem sollte die Rolle des Flughafen Leipzig/Halle als Drehkreuz der deutschen Abschiebemaschinerie sichtbar gemacht werden. Denn seit seiner Erweiterung im Jahr 2007 dient der Flughafen allerlei undurchschaubaren Zwecken – seinerzeit ja bekanntlich auch für die großen amerikanischen Truppentransporte für die Kriege im Irak und natürlich Afghanistan.

Allein 2016 wurden von Leipzig aus über 2.100 Menschen abgeschoben. Damit handelt es sich nach Frankfurt am Main um den zweitgrößten Abschiebeflughafen in Deutschland. Da täglich nur wenige reguläre Flüge starten und aufgrund der relativ abgeschiedenen Lage des Flughafens in Schkeuditz können Abschiebungen dort von der Öffentlichkeit weitestgehend unbeobachtet vonstatten gehen.

Am Ende der Aktion rissen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unter Jubel gemeinsam eine symbolische Mauer der „Festung Europa“ ein. In einer anschließenden Rede wurden konkrete Forderungen gestellt.

„Wir fordern den Flughafen auf, keine Abschiebungen mehr auf dem Gelände zuzulassen. Wir fordern die Fluggesellschaften Meridiana and Turkish Airlines auf, nicht an weiteren Abschiebungen mitzuwirken. Und wir fordern das Recht auf Bewegungsfreiheit für jeden: zu kommen, zu bleiben und zu gehen wohin auch immer er oder sie will,“ fasst Khan abschließend zusammen. „Wir fordern alle an Abschiebungen Beteiligten auf, sich zu widersetzen: Von Beamt*innen in den Behörden über die ausführenden Polizist*innen bis hin zu Pilot*innen können alle ihre Verantwortung wahrnehmen, eine Abschiebung zu verhindern.“

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