Das Feige am Antisemitismus ist: Er kleidet sich gern bürgerlich, tut so, als hätte er gar nichts gesagt und gar nichts gemeint. Und trotzdem verbreitet er seine verlogenen Bilder in der Gesellschaft. Schuldbewusstsein kennt er nicht. Das wurde auch am 29. Februar in der Leipziger Ratsversammlung deutlich, als ein AfD-Stadtrat tatsächlich versuchte, die Vorlage zur Antisemitismusprävention zu zensieren. Denn genau das war das Anliegen eines AfD-Änderungsantrages. Nichts anderes.

Und natürlich wird die vom sächsischen Verfassungsschutz in Sachsen als eindeutig rechtsextrem eingestufte Partei in den umfassenden Erläuterungen von Dr. Juliane Wetzel von der Technischen Universität Berlin, Zentrum für Antisemitismusforschung, auch erwähnt. Keine andere Partei in Deutschland ist so oft mit antisemitischen Äußerungen aufgefallen.

Exemplarisch dafür steht die Äußerung des Thüringer Parteivorsitzenden Björn Höcke zum Berliner Holocaust-Denkmal als „Denkmal der Schande“, worauf am 29. Februar in der Ratsdebatte dann Thomas Kumbernuß (Die PARTEI) hinwies.

Aber man kann auch den langen Wikipedia-Eintrag zum Antisemitismus in der AfD lesen. Da geht es nicht um Einzelfälle. Da geht es, wie OBM Burkhard Jung sagte, um „eine Partei, die im Kern antisemitische Elemente feiert“.

Versuch einer Zensur

Und Jung wurde noch deutlicher, nachdem nicht nur AfD-Stadtrat Jörg Kühne erst mit feierlicher Miene die Wichtigkeit der Antisemitismusprävention betonte – aber dann im Sinne des AfD-Antrags die Streichung der Passagen zur AfD forderte, sondern sein Parteikollege Tobias Keller es sogar fertigbrachte, Burkhard Jung Antisemitismus vorzuwerfen.

Worauf Jung sogar sehr ruhig reagierte und Keller ganz freundlich darauf hinwies, dass jedes AfD-Mitglied Verantwortung dafür trägt, was in dieser Partei immer wieder gesagt und geäußert wird. Und Tobias Keller trage allein schon deshalb Verantwortung, weil er Mitglied in dem Verein sei.

Und besondere Anstrengungen, die antisemitischen Sprecher aus ihren Reihen auszuschließenn zeigt die Partei nun einmal nicht. Auch nicht die Leipziger AfD-Fraktion, die den Stadtrat Roland Ulbrich nach wie vor bei sich duldet, obwohl er „in einem Schiedsspruch auf das ‚Reichsbürgergesetz‘ von 1935 bezogen haben“ soll, wie der „Spiegel“ berichtete.

Logisch, dass auch SPD-Fraktionsvorsitzender Christopher Zenker deutlich wurde: „Schmeißen Sie Herrn Ulbrich aus Ihrer Fraktion.“

Denn wie ernst es jemand meint mit seiner Ablehnung des Antisemitismus, das zeigt sich in Taten und deutlichen Distanzierungen. Aber wenn eine Partei so offen über „Remigration“ schwadroniert, dann ist der Schritt zur „Deportation“ nicht wirklich weit, wie Zenker richtig bemerkte. Dann steckt dahinter dasselbe Denken – vor allem die Ablehnung der Demokratie, der Glaubensfreiheit und der Freiheitsrechte für alle Bürger. Ausnahmslos.

Und so gesehen war der AfD-Antrag, einen ganzen Passus aus der wissenschaftlichen Zuarbeit von Juliane Wetzel streichen zu lassen, eben nicht nur Zensur, sondern auch ein Versuch, die antisemitischen Haltungen in der AfD unsichtbar zu machen.

Der Passus lautet: „Der Mehrheitsgesellschaft dient die Zuschreibung, wonach ‚die Muslime‘ den Antisemitismus hierzulande befördern, als willkommener Vorwand, sich nicht mit den eigenen antisemitischen Einstellungen auseinandersetzen zu müssen. Zumal damit eine Gruppe als vermeintliche Täter identifiziert wird, die in der Mehrheitsbevölkerung durch den gewachsenen antimuslimischen Rassismus bereits negativ konnotiert ist.

Zu befürchten ist, dass die inzwischen in Teilen der jüdischen Community geäußerten Ängste vor Antisemitismus in den Reihen der Geflüchteten Wasser auf die Mühlen jener sind, die gegen Muslime hetzen. Anhänger von PEGIDA und AfD geben vor, sie seien die Verfechter eines christlich-jüdischen Abendlandes mit gemeinsamer ‚Leitkultur‘. Tatsächlich richtet sich diese Argumentationsweise gegen den muslimischen Teil der Bevölkerung bzw. gegen jene, die als solche wahrgenommen werden oder sich öffentlichkeitswirksam für Integration einsetzen.“

Das Gute daran: Mit dem Antrag machte die AfD besonders auf diesen Passus aufmerksam.

AfD im Opfermodus

Und deutlich wurde diesmal auch CDU-Stadtrat Karsten Albrecht, der dem AfD-Redner Jörg Kühne vorwarf, er hätte ja die berechtigten Befürchtungen und Ängste, die die Mehrheitsgesellschaft gegenüber der AfD habe, in seiner Rede ausräumen können. „Ich hörte aber nur Rechtfertigungen“, so Albrecht.

Und was Tobias Keller in seiner immer lauter werdenden Rede dann ausführte, war auch nichts anderes: Rechtfertigungen. Und Verdrehungen. Erst recht, als er für seine Partei den Vorwurf einer „Kollektivschuld“ reklamierte.

Spätestens da kann man sich fragen: Bekommen die Mitglieder der Partei nicht mit, was ihre Funktionäre sagen? Und zwar schon länger?

Weshalb der Leipziger Stadtrat schon 2019 beschloss, ein Präventionskonzept zum Antisemitismus in Auftrag zu geben.

Es hat dann trotzdem fünf Jahre gedauert. Was 2019 schon in der Luft lag, hat sich seit dem 7. Oktober, dem Tag, als die Hamas die jüdischen Siedlungen am Gaza-Streifen überfiel, verschärft und vermehrt. Oft wird unter dem Mäntelchen der Israel-Kritik der alte, aggressive Antisemitismus wieder von der Leine gelassen.

Für FDP-Stadtrat Sven Morlok ein klares Zeichen dafür, wie wichtig das Konzept ist. Und besonders wichtig darin der Bildungsansatz – gerade in den Schulen. Denn das Spannungsverhältnis müsse ja ausgehalten werden, dass man eine israelische Regierung für ihr Handeln durchaus kritisieren kann, dass Antisemitismus dabei aber nichts zu suchen habe.

Koordinierungsstelle soll eingerichtet werden

Eine Frage war dann noch die, die Ute Elisabeth Gabelmann (Piraten) mit ihrem Änderungsantrag aufwarf, ob und wie die Umsetzung des Konzepts evaluiert werden sollte. Aber das erübrigte sich eigentlich, da Burkhard Jung einen jährlichen Bericht zur Umsetzung vorgeschlagen hatte.

Aber die Vorlage war eben mehr als nur ein Konzept, denn sie stärkt auch wichtige Institutionen. „Die Stadt Leipzig bekennt sich zum Kultur- und Begegnungszentrum Ariowitsch-Haus e. V. – Zentrum Jüdischer Kultur als Fachstelle der Präventionsarbeit und als Lern-, Erinnerungs- und Begegnungsort. Die Antisemitismusprävention des Ariowitsch-Hauses wird gemäß Stadtratsbeschluss (VI-A-06623-NF-02) schon jetzt mit jährlich 30.000 EUR durch den Geschäftsbereich OBM unterstützt.

Ab 2024 erhöht die Stadt Leipzig ihre zweckgebundene jährliche Förderung um zusätzlich 80.000 EUR“, heißt es zum Beispiel in der Vorlage. Womit die kompetente Arbeit des Ariowitsch-Hauses auch anerkannt und gewürdigt wird.

Und als Pendant zur externen Fachstelle Ariowitsch-Haus e.V. „wird verwaltungsintern eine Koordinierungsstelle für Jüdisches Leben und Antisemitismusprävention eingerichtet. Diese soll (stellenneutral) im Geschäftsbereich des Oberbürgermeisters eingerichtet werden und mit den bestehenden einschlägigen Verwaltungsstellen wie insbesondere dem Referat für Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt, dem Kommunalen Präventionsrat, dem Referat für Migration und Integration, dem Amt für Jugend und Familie und dem Amt für Schule eng zusammenarbeiten.“

Diese Koordinierungsstelle ist im Referat Politische Planung der Stadt angesiedelt und hat ihre Arbeit schon aufgenommen. Die Fachförderung wird im Demokratiereferat angebunden.  Aber noch fehle dafür die nötige Finanzierung, merkte die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Krefft an. Aber um diese abzubilden, will OBM Jung in Kürze noch eine entsprechende Fachförderrichtlinie vorlegen.

In der abschließenden Abstimmung wurde dann der AfD-Antrag, in der Vorlage Zensur zu üben, mit 11:48 Stimmen abgelehnt.

Auch Ute Elisabeth Gabelmanns Antrag zur Evaluation bekam mit 8:48 Stimmen keine Mehrheit.

Bei der Abstimmung zur Vorlage selbst trennte sich, wie erwartet, wieder die Spreu vom Weizen. Sie fand mit 49 Stimmen eine deutliche Mehrheit, während die elf Stimmen für Ablehnung und Enthaltung alle aus der AfD-Fraktion kamen.

Zugabe:

Die Rede des SPD-Fraktionsvorsitzenden Christopher Zenker

Rede zur Vorlage „Konzept zur Weiterentwicklung der Antisemitismusprävention in der Stadt Leipzig“

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Beigeordnete,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
werte Gäste,

wir leben in Zeiten, in denen am rechten Rand des politischen Spektrums über Remigrationsfantasien diskutiert wird, die auch Menschen einschließen sollen, die Migrationshintergrund haben, aber deutsche Staatsbürger sind, oder gar Menschen, die einfach nur Geflüchteten geholfen haben. An diesem Punkt ist der gedankliche Schritt für diese Gruppe vermutlich nicht mehr weit, über Deportationen zu sprechen.

Deportationen, die auch in Leipzig dazu geführt haben, dass die ehemals große jüdische Gemeinde von 13.000 Mitgliedern im Jahr 1925 auf unter 24 im Jahr 1945 gesunken ist. Vertrieben, deportiert und ermordet. Eine deutsche Schuld, von der wir uns nie befreien dürfen, auch wenn dies neuerdings nicht nur Rechte fordern, sondern auch von vermeintlich Linken auf Pro-Palästina-Demonstrationen proklamiert.

Auch vor diesem Hintergrund ist die Vorlage zur Antisemitismusprävention wichtig. Schließlich stehen wir gesamtgesellschaftlich in der Verantwortung, dass Antisemitismus, der vor rund 85 Jahren dazu führte, dass Jüdinnen und Juden in Deutschland verfolgt, gequält und schließlich auch ermordet worden sind, hier keinen Platz mehr haben darf.

2018 haben wir gemeinsam mit den Fraktionen von CDU und Grünen einen Antrag durch den Stadtrat gebracht, der die Verwaltung beauftragt hat, ein Konzept zur Antisemitismusprävention zu erarbeiten. Zielmarke dafür war eigentlich Ende 2019, jetzt haben wir Anfang 2024 und werden heute über dieses Konzept abstimmen. Spät, aber immerhin …

Bei unserer Initiative ging es uns unter anderem darum, die politische Bildungsarbeit an dieser Stelle zu verstärken, denn das Thema Antisemitismus ist in den letzten Jahren ein wenig aus dem Fokus gerückt. Die Auseinandersetzung mit allen, vor allem auch den aktuellen Formen des Antisemitismus soll gestärkt und die Wirksamkeit bestehender Projekte geprüft werden.

Denn, meine Damen und Herren, Antisemitismus ist nicht nur ein Problem am rechten politischen Rand. Wir erleben ihn auch von links und wir sehen verstärkt einen religiös motivierten Antisemitismus, der vor allem in arabischen Ländern gepflegt wird und in Deutschland seine Wirkung entfaltet, besonders seit dem 7.10.2023, aber nicht erst seitdem. Denken wir dabei nur an die verschiedenen BDS-Kampagnen der letzten Jahre.

Prävention bedeutet auch, dass wir uns aktiv für eine inklusive und diverse Gesellschaft einsetzen, in der jeder Mensch willkommen ist, unabhängig von seiner Herkunft, seiner Religion oder seiner Lebensweise. Wir müssen uns für den interkulturellen Dialog einsetzen und Brücken zwischen den verschiedenen Gemeinschaften bauen.

Die Prävention von Antisemitismus erfordert eine breite Palette von Maßnahmen. Wir müssen in unseren Schulen und Bildungseinrichtungen Aufklärungsarbeit leisten und die Geschichte des Holocausts weiter erzählen. Verstärkt nicht nur aus Sicht von uns Deutschen ohne Migrationsgeschichte, die Vorfahren haben, die unter Umständen Täter waren oder einfach nur weggeschaut haben, sondern auch mit Blick auf Zugewanderte.

Wir müssen in unserer Öffentlichkeitsarbeit deutlich machen, dass Antisemitismus nicht toleriert wird. Wir müssen die Strafverfolgungsbehörden unterstützen, um antisemitische Straftaten konsequent zu verfolgen und zu bestrafen.

Der Antisemitismus ist eine dunkle Wolke, die über unserer Gesellschaft schwebt. Er ist nicht nur eine Bedrohung für die jüdische Gemeinschaft, sondern für uns alle. Er ist ein Angriff auf unsere Werte, wie Toleranz und Respekt. Wir dürfen nicht zulassen, dass Menschenverachtung und Antisemitismus in unserer Stadt weiter Fuß fassen. Das Präventionskonzept ist hierbei ein wichtiger Baustein, weil es die Grundlage für Verwaltungshandeln bildet und damit in die Gesellschaft ausstrahlen kann, wenn es mit Leben gefüllt wird.

Wir müssen unsere Stimme erheben gegen jede Form von Hass und Diskriminierung. Wir müssen uns solidarisch zeigen mit unseren jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern und klarstellen, dass Antisemitismus in unserer Gesellschaft keinen Platz hat. Die großen Demonstrationen für eine offene Gesellschaft und eine wehrhafte Demokratie waren dabei in den letzten Wochen, nach den Enthüllungen von Correctiv, Mutmacher.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und hoffe, dass Sie, wie auch meine Fraktion der Vorlage zustimmen.

Vielen Dank.

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