Das in Leipzig heimische Simon-Dubnow-Institut beschäftigt sich nicht nur mit jüdischer Geschichte und Kultur, es will auch etwas dafür tun, damit gerade die Jüngeren verstehen, was eigentlich jüdisches Leben ist. Denn der verbreitete Antisemitismus in Deutschland lebt auch davon, dass die meisten Menschen überhaupt nichts wissen über jüdische Geschichte, Alltag und Religion. Sie glauben eher Legenden, die Rechtsextreme und Antisemiten erzählen, ohne je im Leben überhaupt einem Juden begegnet zu sein.

Denn das war eben leider auch eines der Ergebnisse des NS-Reiches, dass jüdisches Leben in Deutschland nach 1945 fast völlig vernichtet war. Nur wenige Jüdinnen und Juden blieben nach der Shoah im Nachkriegsdeutschland. Die meisten Synagogen waren zerstört. Im gesellschaftlichen Leben war jüdische Kultur praktisch nicht mehr sichtbar.

Was aber geblieben war, war der tief verwurzelte Antisemitismus, der sich schon im späten 19. Jahrhundert in der deutschen Parteienlandschaft etabliert hatte und der überhaupt keine tatsächlich sichtbaren Jüdinnen und Juden braucht, um seine Verschwörungstheorien zu verbreiten, wie Sebastian Voigt in seinem Buch „Der Judenhass“ sehr kenntnisreich erzählt.

Drei Themenhefte für die Schule

Der Antisemitismus braucht gar keine Juden, um trotzdem zu funktionieren. Er lebt regelrecht davon, dass seine Gläubigen nichts wissen über jüdisches Leben.

Und genau darum hat das Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur – Simon Dubnow jetzt – in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis Deutsch-Jüdische Geschichte im Verband der Geschichtslehrerinnen und -lehrer Deutschlands e.V. – drei Themenhefte für die Sekundarstufe I und II aufgelegt, mit denen die Schülerinnen und Schüler das Wichtigste zum Leben jüdischer Menschen kennenlernen können.

Das erste Heft mit dem Titel „Jüdische Traditionen“ richtet sich vor allem an Schülerinnen und Schüler der 7. Klasse. Es erzählt vom jüdischen Kalender und dem jüdischen Festkreis des Jahres, es erklärt die jüdischen Speisegesetze und ihre Herkunft aus den Tiefen der Geschichte. Es nimmt auch zwei große Streitthemen auf, über die sich auch Leute gern aufregen, die damit nie in Berührung gekommen sind – das Schächten und die Beschneidung.

Beides versteht man nur, wenn man die dahinter stehende Religion kennt. Obwohl die jeder kennen könnte, wenn er sich nur einmal das Alte Testament in seiner Bibel anschaut und darin insbesondere die fünf Bücher Mose, die in der jüdischen Religion die Tora bilden. Da findet man viele der Regeln aus einer über 2.500 Jahre alten religiösen Überlieferung.

Und natürlich erzählen die Autor/-innen des Heftes auch, warum Juden ihre Riten und Gesetze über so lange Zeit bewahrten und dass für sie auch ein Akt der Bewahrung ihrer Identität war. Denn jahrhundertelang lebten sie in der Diaspora, nachdem die Römer sie aus ihrem Heimatland, der Provinz Judäa, vertrieben hatten.

Da sie sich aber in den Ländern, in denen sie sich niederließen, durch ihre Sitten und Gebräuche, ihre Absonderung (vornehmlich wegen ihrer strengen Speisevorschriften) und ihre Religion immer auch von der ansässigen Bevölkerung unterschieden – im Mittelalter gar in eigene Ghettos separiert wurden – waren sie immer auch eine Projektionsfläche für Angriffe, Verleumdungen und finstere Legenden, aus denen dann der Zündstoff der Judenverfolgungen und -vertreibungen wurde.

Und damit auch das Material, aus dem Antisemiten bis heute Verschwörungsmythen basteln und die immer gleichen alten Legenden in immer neuer Form in die Köpfe der Leichtgläubigen setzen, die sich nie wirklich mit jüdischer Alltagskultur beschäftigt haben.

Jüdisches Leben in der Moderne

Im Heft wird das auch mit vielen Briefen, Erinnerungen und Berichten von jüdischen Männern und Frauen unterlegt, sodass die Betroffenen selbst – direkt aus ihrer Zeit heraus – zu den Leser/-innen des Heftes sprechen und damit eben auch zeigen, wie jüdischer Alltag tatsächlich aussah, worin er sich vom Alltag etwa christlicher Familien unterschied und welche Rolle darin religiöse Gesetze und Gebräuche spielen.

Thematisiert wird auch die jüdische Emanzipation im 19. Jahrhundert, die vielen jüdischen Menschen überhaupt erst einmal den Weg zur Teilhabe in der Gesellschaft öffnete.

Und da und dort wird eben auch die restriktive Moral der jeweiligen Regierungen benannt, die gerade jüdische Gebräuche immer wieder anders behandelten als die religiösen Sitten der Mehrheitsgesellschaft, also das Ausgrenzen der jüdischen Gemeinden immer wieder systematisierten – auch schon vor dem Machtantritt der Nationalsozialisten.

Zu jedem Kapitel gibt es kleine Aufgaben und Übungen. Und es gibt auch immer wieder Beiträge, die auf die Gegenwart fokussieren und zeigen, dass auch jüdische Alltagsbräuche sich verändern. Denn natürlich können auch jüdische Menschen oft nichts mehr mit der Strenge religiöser Gesetze von vor 2.500 Jahren anfangen. Diese passen oft gar nicht mehr zu einem modernen Leben.

Und so verändern sich selbst Ansichten zur Ernährung – wobei die jüdische Religion offensichtlich den Weg hin zu Vegetarismus und Veganismus viel leichter macht.

Die Vielfalt jüdischen Lebens

Aber es sind auch Blitzlichter, die eben zeigen, dass Jüdinnen und Juden heute ganz und gar nicht mehr abgesondert in uralten Traditionen leben, auch wenn einige natürlich bewusst ein orthodoxes Leben leben. Der moderne Alltag jüdischer Familien ist viel komplexer, als es alte antisemitische Legenden auch nur fassen können.

Und so trifft der moderne Antisemitismus mit Vorstellungen, die eigentlich ins 19. Jahrhundert gehören, auf eine kleine jüdische Gesellschaft in Deutschland, die dem mittelalterlichen Judenbild nicht mehr im Geringsten entspricht.

Ganz abgesehen davon, dass die jüdische Diaspora in Deutschland 1990 fast ausgestorben war und seitdem jüdische Übersiedler aus der ehemaligen Sowjetunion überhaupt erst einmal wieder Leben in viele jüdische Gemeinden gebracht haben. Auch das wird thematisiert.

Es ist ein Heft, das den Schülerinnen und Schülern zumindest in Texten und Bildern eine Welt nahe bringt, die sie aus ihrem Alltag meist gar nicht kennen können. Und die so in den finsteren Erzählungen des Antisemitismus auch nicht vorkommt.

Man kann das Heft „Jüdische Traditionen“ auch direkt auf der Seite des Dubnow-Instituts herunterladen und damit auch sofort als Unterrichtsmaterial in den Schulen verwenden.

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