Nach der Shoah, dem Holocaust, ging das Leben weiter bis heute. Aufarbeitung, Erinnerung und Erzählen sind dabei nicht nur ein gesellschaftliches Problem. Sie hängen immer auch an den Menschen, die bereit sind, ihre Geschichten zu erzählen, daran, wie sie das Vergangene und seine Gegenwart erzählen. Die Fäden der Vergangenheit ziehen sich bis in die Gegenwart, die Gewalt, die Emmie als Frau und als Jüdin erlebt, hinterlässt tiefe Spuren.

Emmie Arbel wurde 1937 als Emma Kallus in Den Haag, Niederlande geboren. Als die Deutschen Emmie Arbel und ihr Brüder Menachem und Rudi festnahmen, war Emmie viereinhalb Jahre alt. 15 Monate verbrachte sie im KZ-Sammellager Westerbork, schließlich ein Jahr im Frauen-KZ Ravensbrück. Zuletzt war sie im KZ Bergen-Belsen. Dort erlebte sie die Befreiung. Kurze Zeit später starb ihre Mutter an dem Hunger und der Erschöpfung.

Emmie kam in Heime und Pflegefamilien. Zwischen 1945 und 1950 lebte sie in vier verschiedenen Ländern, zuletzt mit ihren Brüdern in einer jüdischen Pflegefamilie. Ein Jahr lang missbrauchte der Familienvater Emmie sexuell, während sie aufgrund einer Tuberkulose ans Bett gefesselt war. Da war Emmie acht Jahre alt.

1977, mehr als 30 Jahre nach dem Holocaust, stürzt die Erinnerung auf Emmie Arbel, mittlerweile Verwaltungschefin einer israelischen Klinik und Mutter dreier Kinder, ein.

Hat Erinnerung eine Farbe?

Barbara Yelin lässt sich Zeit im Erzählen. Gemeinsam mit Emmie Arbel spaziert sie durch Parks, zündet sich Zigaretten an (nie sieht man Emmie ohne eine Zigarette in der Hand) oder sitzt am Küchentisch. Sie stellt (farbliche) Kontraste her zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart. So gibt sie uns in hellen, frohen Farben immer wieder eine Verschnaufpause, ein Auftauchen aus den Erinnerungen. Aber die Dunkelheit, so zeigt sich, lässt Emmie nicht in Ruhe und hält immer wieder in die Gegenwart Einzug.

Dabei versucht Yelin, sich der Frau anzunähern und ihre Geschichte wiederzugeben. Ein schwieriges Unterfangen, wenn man mit Bildern arbeitet, die, worüber sich natürlich streiten lässt, die Wirklichkeit, die sie darzustellen versuchen, anders konkreter machen, als Worte es tun können.

Es geht hier also nicht nur um die Fragen, was sich wie und durch wen erzählen lässt, sondern auch um Fragen der Darstellung: Wie nah kommt der Charakter Emmie, den das Buch erschafft, der wirklichen Emmie? Wie viel Ruhe lässt sich den Bildern entnehmen, wo doch eigentlich keine Ruhe ist? Welche Atmosphäre ist angebracht für diese Geschichte?

„Welche Farbe hat deine Erinnerung, Emmie?“, will auch Barbara Yelin wissen.

Kinder überleben den NS

Die Zeitzeug*innen des Nationalsozialismus werden immer weniger. Umso wichtiger ist es, ihre Erinnerungen festzuhalten. Doch das ist nicht einfach. Man denke an die „Maus“ von Spiegelman: Ein Comic, der gerade aus dem Miterzählen der Beziehung von Autor und Großvater, der den NS überlebte, seine Stärke zieht.

Auch „Die Farbe der Erinnerung“ versucht in dieser Art, die Lücken, weißen Flecken der Erinnerung, das bewusste Nicht-Erinnern oder Verschweigen, aber auch die Fragmentierung der Gedanken und der Zeit mitzuerzählen.

Da sie die einzigen noch Lebenden sind, verlagert sich der Fokus von Erinnerungsarbeit immer mehr auf sie: Diejenigen, die als Kinder den Holocaust beziehungsweise eine Internierung im Konzentrationslager überlebten. Erst seit 1980ern organisieren sich die sogenannten child survivors und geben sich selbst eine Stimme.

Sie teilen mit, wie die frühe prägende Erfahrung und auch all die fehlenden Erfahrungen, die man überhaupt nur in der Kindheit machen kann, sich auf das spätere Leben auswirken. Die child survivors sehen eines der großen Probleme darin, dass ihre Erfahrungen überhaupt ernst genommen werden. Schließlich waren sie „nur“ Kinder.

„Wir Jungen haben ja noch nicht gelebt“, sagte einmal Käthe Anders, Überlebende des Jugend-Konzentrationslagers Uckermark. „Wir haben vorher nicht gelebt und nachher nicht.“

Nun sind sie erwachsen, die meisten leben nicht mehr. Trotzdem konnten viele vorher selbst entscheiden, wem und wie sie ihre Geschichten erzählen. Nicht alle konnten sprechen und nicht allen wurde zugehört. Die Annäherung an Emmie Arbel ist einer von vielen Versuchen, der sich in einen Chor aus Stimmen einfügt, die uns etwas über damals erzählen können.

Barbara Yelin Emmie Arbel Die Farbe der Erinnerung Reprodukt, Berlin 2023, 29 Euro.

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