Gerade haben wir uns hier mit einer Landtagsanfrage des Linke-Abgeordneten Nico Brünler beschäftigt, den die Frage bewegt: Warum sind eigentlich immer mehr Sachsen auf Grundsicherung im Alter angewiesen? So richtig konnte ihm das auch Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) nicht erklären, außer: Es sollte eigentlich weniger Bedürftige geben, wenn die Beschäftigung steigt.

Er lieferte ihm auch noch eine recht umfassende Statistik zur Einkommensverteilung der 1,5 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Und das war’s dann. Steuerungsmöglichkeiten hat er eigentlich nicht.

Aber die Einkommen steigen nicht unbedingt, weil es sich Minister so wünschen. Da hilft auch das freundliche Wettkuscheln mit diversen Unternehmerverbänden nichts. Einkommen steigen nur, wenn entweder der Staat interveniert (wie 2015 mit dem Mindestlohn), wenn Gewerkschaften Druck machen oder wenn die Nachfrage nach Fachkräften größer ist als das Angebot. Das ist dann eine Schaukel-Tour, die einige deutsche Wirtschaftsverbände gar nicht mögen.

“Spiegel Online” berichtete darüber am 26. Dezember: ” Kritik an Bundesregierung: Deutsche Wirtschaftsverbände jammern auf hohem Niveau”. Da haben sich einige Verbände 15 Jahre lang daran gewöhnt, dass Fachkräfte billig bleiben und der Staat dabei hilft, dass sie billig bleiben. Man hat eifrig neue Jobs geschaffen, das Bruttoinlandsprodukt steigt – und dann das: Nicht nur die Fachkräfte werden Mangelware, auch die Gehälter steigen.

Die Beschäftigten könnten eigentlich sagen: Endlich!

Die in Sachsen und Leipzig erst recht. Denn dass die Einkommen seit 2010 endlich wieder im Aufwärtstrend sind, bedeutet ja noch nicht einmal, dass man wieder so gut verdient wie im Jahr 2000. Denn preisbereinigt haben die sächsischen Einkommen im Jahr 2014 erst wieder den Vorkrisen-Stand von 2006 erreicht.

Das hat Andrea Schultz im jüngsten Quartalsbericht Nr. 3 der Stadt Leipzig für das Jahr 2015 vorgerechnet. Und zwar – wie sich das für eine Statistikerin gehört – penibel für Haushalte, Personen, Land und Großstädte. Denn kaum etwas macht deutlicher, wo Leipzig bei der Aufholjagd gerade steht, wie der innersächsische Vergleich. Jahrelang galt die Regel: In Chemnitz und Dresden wird – aufgrund der besseren Industriestruktur – durchschnittlich mehr verdient als in Leipzig. Mal lag Dresden vorn (als es der Computer- und der Solarbranche noch gut ging), dann wieder Chemnitz, wo der Maschinenbau zu Haus ist. Leipzig kleckerte immer so ein bisschen unterm Sachsendurchschnitt herum.

Das war auch 2014 noch so, auch wenn sich der Median der Monatseinkommen mit 1.120 Euro schon beinah angenähert hatte an die durchschnittlichen 1.127 in Sachsen.

Median heißt: Die Hälfte aller ermittelten Einkommen lag drüber, die andere Hälfte lag unter dem Wert.

Dresden lag mit durchschnittlichen 1.158 Euro deutlich drüber, Chemnitz mit 1.202 erst recht.

Warum das so ist, hat Andrea Schultz auch erklärt. Denn es liegt nicht nur an den Industriejobs, sondern an der sozialen Struktur der Stadt Leipzig. Hier gibt es deutlich mehr junge Menschen in Ausbildung und Studium als in den anderen beiden Großstädten. Und da diese jungen Leute in der Regel noch sehr geringe Einkommen haben, drückt das den Schnitt. Und die Tatsache, dass Leipzig auch noch mehr Hartz-IV-Empfänger hat, kommt wohl noch obendrauf.

Noch deutlicher wird das, wenn die Einkommen auf Haushalte berechnet werden. Wenn mehr Menschen in einem Haushalt leben, steigt logischerweise das Haushaltseinkommen. Und da die meisten Singles in den Großstädten leben, zieht jetzt auf einmal das flache Land vorbei. Scheinbar sind die Bewohner der Landkreise deutlich einkommensstärker als die Großstädter. Aber eben nur scheinbar, weil eben die Haushalte im Schnitt größer sind. Was dann aber trotzdem bedeutet, dass der sächsische Einkommensmedian der Haushalte bei 1.713 Euro lag. Die Leipziger Haushalte kamen nur auf einen Median von 1.563.

Dresden und Chemnitz zum Vergleich: 1.667 und 1.637 Euro.

Aber auch hier schlagen augenscheinlich die vielen jungen Single-Haushalte in Leipzig verstärkt ins Gewicht.

Seit 2010 steigen die Einkommen in Sachsen wieder

Unübersehbar aber ist: Seit 2010 steigen landesweit die Einkommen wieder. Was aber eher weniger mit üppigen Lohnerhöhungen zu tun hat, sondern mit zwei anderen Effekten.

1. Die Zahl der Erwerbsfähigen ist landesweit drastisch gesunken. Einer immer größeren Zahl von Rentnern steht eine deutlich geschrumpfte Zahl von Berufsanfängern gegenüber.

2. Gleichzeitig stieg die Zahl der Erwerbstätigen und die Zahl der Arbeitslosen sank. Auch das wirkt sich als Steigerungseffekt bei den Einkommen aus.

Dass sich die Unternehmen hingegen bei den Löhnen eher zurückgehalten haben, zeigt dann die Berechnung von Andrea Schultz zu den realen Haushaltseinkommen. Preisbereinigt, nennt sich das. Sie hat die realen Euro-Summen mit der realen Entwicklung der Kaufkraft abgeglichen. Denn die Inflation ging ja munter weiter. Und 1,5 bis 2 Prozent Inflation jedes Jahr bedeuten nun einmal im Lauf von 15 Jahren zweistellige Kaufkraftverluste.

Und die Berechnung macht dann deutlich, was die Lohnzurückhaltung von Angestellten und Gewerkschaften, gekoppelt mit der Schaffung eines großen Bereiches an prekärer Beschäftigung, für die sächsischen Haushaltseinkommen tatsächlich bedeutet hat: Von 2000 bis 2009 haben die Sachsen einen realen Einkommensverlust von knapp 11 Prozent hinnehmen müssen. 2009 hatten sie da, wo sie 2000 noch 1.700 Euro monatlichen zur Verfügung hatten, von der Kaufkraft her betrachtet nur noch 1.520 Euro.

Erst seit 2010 ist in Sachsen wieder ein leichter Kaufkraftgewinn spürbar. Doch die Zunahme der Durchschnittseinkommen hat bislang vor allem nur die Kaufkraftverluste aufgefangen, die durch die Finanzkrise von 2007/2008 entstanden sind. Ausnahmen sind Leipzig und Dresden, wo das starke Bevölkerungswachstum, verbunden mit der Zunahme der Arbeitsplätze, dafür gesorgt hat, dass sogar die Kaufkraftverluste seit 2005 ausgeglichen wurden.

Die Leipziger konnten sich 2014 wieder fast so viel leisten wie 2004, dem Jahr vor Einführung von Hartz VI.

Aber man darf nicht vergessen, dass der reale Einkommensverlust schon seit 2000 anhielt. Weder der sächsische Durchschnitt noch der in den drei Großstädten hat auch nur annähernd wieder das Niveau des Jahres 2000 erreicht. Was vor allem am langsamen und zähen Zuwachs bei den unteren Einkommensgruppen liegt.

Möglicherweise sieht die Statistik für 2015 schon ganz anders aus. Da muss der Mindestlohn ja als Effekt sichtbar werden.

Vielleicht als kleiner Sprung nach oben.

Aber die großen Wirtschaftsverbände jammern ja nicht ohne Grund. Sie möchten gern weiter von den im europäischen Vergleich sehr gedämpften Lohnentwicklungen profitieren. Man hat gelernt, Arbeitskräfte immer nur als schrecklichen Kostenblock zu betrachten. Das Ergebnis ist eine seit Jahren eher müde Binnenkonjunktur. Das Geld will so richtig nicht fließen. Die einen shoppen sich dumm und dämlich – und die anderen müssen trotz steigenden Einkommens zum Discounter gehen, weil das Geld nicht mehr so lange reicht wie 2000.

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