Korrigieren wir uns an dieser Stelle? Oder rufen wir laut: „Juhu, wir haben Recht behalten?“ Das ist nicht so ganz einfach. Auch nicht bei einer Bürgerumfrage, in der die befragten Leipziger „die größten Probleme aus Bürgersicht“ ankreuzen können. Am 13. April berichteten wir über die Schnellauswertung der „Bürgerumfrage 2015“. Dann schrieb uns Dr. Andrea Schultz, Abteilungsleiterin Stadtforschung im Amt für Statistik und Wahlen.

Denn was in der „Schnellumfrage“ nicht mitgeteilt wurde, war: Die Fragestellungen zu den größten Problemen wichen 2014 und 2015 voneinander ab. Da wir die Ergebnisse beider Umfragen verglichen haben, ist das wichtig.

2014 wurde so gefragt: „Wo gibt es Ihrer Meinung nach die größten Probleme in der Stadt Leipzig? (Mehrfachantworten möglich.)“ 2015 lautete dann die Fragestellung so: „Wo gibt es Ihrer Meinung nach die drei größten Probleme in der Stadt Leipzig? Bitte setzen Sie max. 3 Kreuze.“

Logisch, dass dann die Gesamtwerte in den meisten Kategorien sinken und es auf einmal so aussieht, als wären manche Probleme nicht mehr so drängend.

Da beginnt man dann über die veränderte Reihenfolge zu orakeln – die die Statistiker ja extra dazu geschrieben haben. Und man fragt sich: Ist das „Zusammenleben mit Ausländern“ jetzt tatsächlich in der Dringlichkeit nach vorn gerutscht und der ÖPNV so abgerutscht?

Oder passiert etwas ganz anderes, wenn die Befragten nicht mehr 22, sondern nur noch 3 „größte Probleme“ ankreuzen dürfen? Insbesondere, wenn die Frage lautet: „Wo gibt es Ihrer Meinung nach die größten Probleme in der Stadt Leipzig?“

Und wenn die 22 möglichen Probleme schon zur Auswahl dastehen. Einige sind im Lauf der Zeit dazugekommen, weil es früher auch mal Leerfelder gab, wo die Befragten zusätzliche Probleme eintragen konnten. Daraus sind dann teilweise feste Fragepunkte geworden.

Aber mit der Eingrenzung auf nur noch drei anzukreuzende Felder hat das Amt für Statistik und Wahlen natürlich das Frageschema der Vorjahre verlassen. Aber was passiert, wenn man aus einem sowieso schon vorgegebenen Menü nur noch drei Posten auswählen darf?

Der erste Effekt wurde schon sichtbar, als wir uns mit den „größten Problemen“ der Eltern beschäftigt haben, die mit Kindertagesstätten und Schulen ganz andere Probleme als wichtiger ansahen als etwa Senioren.

Der Fokus ändert sich. Und natürlich das Sieb der Wahrnehmung. Denn natürlich tendiert man, wenn man nach den „größten Probleme in der Stadt Leipzig“ gefragt wird, dazu, jene Probleme anzukreuzen, die mehr Leipziger betreffen, die also allgemeiner sind oder die Allgemeinheit scheinbar stärker beschäftigen.

Was unsere These bestätigen würde, dass die mediale Problemwahrnehmung hier stärker durchschlägt und Mega-Themen wie „Kriminalität, Sicherheit“, „Straßenzustand“ oder „Zusammenleben mit Ausländern“ an die Spitze hebt, während Probleme, die spezielle Bevölkerungsgruppen besonders betreffen, dann durchs Sieb fallen, erst recht, wenn sie nicht (mehr) im medialen Fokus stehen – wie das Kita- oder das Schulproblem.

Dass diese beiden Themen bei den befragten Eltern dann freilich wieder ganz vorn mit dabei waren, zeigt, dass das Feuer aus diesen Themen noch längst nicht heraus ist. Genauso wenig übrigens wie aus den Themen „Armut“ und „Wohnkosten“.

Was nichts daran ändert, dass die 22 abgefragten Punkte (drei Mal geht es allein um Freizeitangebote) ein zusammengewürfelter Gemüseladen sind.

Eigentlich macht die Einengung der Antwortmöglichkeiten deutlich, dass die Frageliste überarbeitet werden müsste. Auch schon deshalb, weil zu einigen angebotenen Punkten das Gegengewicht fehlt.

Zum Beispiel zum Problemtopos „Zusammenleben mit Ausländern“. Denn schon mit der Nennung wird das Thema ja zum Problem gemacht.

Aber was ist mit dem Gegentopos „Fremdenfeindlichkeit“? Könnte es sein, dass auch hier 24 Prozent der Befragten sagen würden: Ja, das ist eines der größten Probleme?

Und warum wird der Topos Parkplätze eigentlich unhinterfragt stehengelassen und nicht differenziert in:

– fehlende Parkplätze und
– zu viele Parkplätze?

Ist Leipzigs Verwaltung so überzeugt davon, dass Parkplatzmangel das größte Problem ist und nicht ein Überangebot an Parkplätzen?

Und warum tauchen eigentlich keine politischen Probleme auf? Und damit meinen wir nicht bestimmte politische Akteure, sondern Fragen wie:

– Bürgerbeteiligung
– Transparenz
– Korruption

Und warum wird nur der Straßenzustand abgefragt, aber nicht der Zustand von Radwegen, Fußwegen und die Sicherheit im Straßenverkehr überhaupt?

Und wie aussagekräftig sind Aussagen jetzt überhaupt noch, wenn „die drei größten Probleme“ andere Probleme, die ja trotzdem noch da sind, verdrängen? Zum Beispiel das Lärmproblem.

Oder Probleme, die ebenso nicht benannt werden, wie die klimatische Belastung der Stadt, das „fehlende Grün“ (was ja mit „Umweltbelastung“ nicht abgefragt ist.)

Und warum wird neben den „Wohnkosten“ nicht auch nach Energiekosten, Eintrittspreisen und Fahrpreisen gefragt?

Je länger man sich das Ganze anschaut, umso mehr drängt sich das Gefühl auf, dass die Einschränkung auf nur drei ankreuzbare „Probleme“ die Sache mehr verwischt als erhellt. Statt einer besseren Differenzierung bekommt man eine Verengung der Problemsicht. Und die „Probleme“ werden noch stärker als vorher zu einer Art Mehrheitsbeschluss.

Wir wissen jetzt also, warum die Prozente für viele „Spezialprobleme“ übers Jahr gesunken sind. Aber dadurch wird die Problemwahrnehmung der Stadt nur verwaschener und oberflächlicher. Was uns irgendwie an die derzeitige Diskussion „Leipzig 2030“ erinnert, die gerade droht, völlig ins Beliebige abzudriften. Was möglicherweise genau mit diesem Wechselspiel von öffentlicher Wahrnehmung, medialer Skandalisierung und dem Versuch einer Verwaltung zu tun hat, manche Themen lieber ganz aus der Diskussion herauszuhalten und lieber so richtig softe Themen auf die Agenda zu setzen. „Heimat“ zum Beispiel. Da röhrt schon beim Nennen des Wortes der Hirsch.

Da kümmern wir uns in Kürze drum.

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