Und was glauben wir nun? War ja so eine Frage in den letzten Tagen. Katholiken aus ganz Deutschland glaubten ja, regelrecht in heidnischen Landen zu sein. Irgendjemandem war es ungemein wichtig, jeden Tag laut zu verkünden, man wäre hier in einer Stadt, in der es nicht mal 20 Prozent Kirchenanhänger gäbe. Höchst gefährlich. Höchst irritierend.

Die Zahlen hat das Leipziger Amt für Statistik und Wahlen frisch geliefert – eher nicht aus Anlass eines wundersamen Katholikentages, eher unter dem Thema Zuwanderung und der Angst einiger grauer Herren, das ach so ungläubige Sachsen könne sich jetzt auf einmal islamisieren. Oder islamisiert werden. Wahrscheinlich schlagen sie zehn Kreuze, bevor sie abends unter die Bettdecke kriechen, beten einen ordentlichen Rosenkranz und wechseln die Straßenseite, wenn sie Menschen aus morgendlichen Landen auf der Straße sehen.

Aber wie sieht es aus mit der Gläubigkeit in Leipzig?

So richtig weiß das niemand, denn amtlich registriert sind nur die Mitglieder der beiden großen Kirchen. Beide Zahlen steigen übrigens an. Denn unter den vielen Zuwanderern nach Leipzig sind logischerweise auch etliche aus zutiefst evangelischen oder römisch-katholischen Landen.

Lebten 2005 noch 57.797 Menschen in Leipzig, die als Mitglied der evangelisch-lutherischen Kirche registriert waren, so stieg deren Zahl auf 64.383 im Jahr 2014 und knapp 67.000 im Jahr 2015. Das ging alles ganz geruhsam und friedlich ab. Niemand hat sich aufgeregt, niemand kam auf den Gedanken, das als eine Gefahr fürs atheistische Morgenland zu begreifen. Geändert hat es übrigens auch nichts. Der Anteil der evangelischen Bevölkerung lag 2005 bei 11,8 Prozent und liegt er heute immer noch.

Bleiben nur noch die Katholiken als mögliche Gefahr für die herrschende Ungläubigkeit, die irgendjemand kürzlich wieder attestierte. Als würden sich Menschen in etwas Seltsames verwandeln, wenn sie keine Lust mehr auf Gottesdienste haben. Oder umgekehrt.

Natürlich wuchs auch die Zahl der in Leipzig registrierten Mitglieder der römisch-katholischen Kirche – von 18.783 im Jahr 2005 auf 24.409 im Jahr 2014 und knapp 26.000 im Jahr 2015. Hat wenigstens das etwas bewirkt? Immerhin: Dadurch stieg der Anteil der Katholiken an der Stadtbevölkerung von 4,0 auf 4,4 Prozent. Da macht ein Katholikentag schon Sinn.

Aber die heutigen Kreuzritter wittern ja die Gefahr fürs Abendland ganz woanders: bei den muslimischen Mitbürgern, deren Zahl natürlich steigt, je mehr Länder im arabischen Halbmond von wilden Guerillas, Freischärlern und rabiaten Militäreinsätzen heimgesucht werden. Wohin sollen sie denn eigentlich fliehen, ist die Frage? Und wen interessiert eigentlich, ob sie religiös sind oder nicht? Sind sie das überhaupt? Das können nicht mal die Statistiker sagen. Sie können nur davon ausgehen, dass Menschen, die aus Mitgliedsstaaten der „Organisation für Islamische Zusammenarbeit“ und aus Syrien geflohen sind, möglicherweise Muslime sind.

Was schon bei den Syrern meist höchst zweifelhaft ist, denn viele der nach Deutschland geflohenen Syrer sind nun einmal Christen.

Doch nur so können Leipzigs Statistiker überhaupt eine vage Abschätzung geben, wie viele Menschen, die dem Islam anhängen, möglicherweise in Leipzig leben: rund 17.000 schätzen sie. Das ist natürlich deutlich mehr als die 10.000 von 2013. Aber es hat – wie gesagt – lediglich mit der Staatsangehörigkeit der asylsuchenden Menschen zu tun. Und so gibt es jetzt möglicherweise knapp 3 Prozent Muslime in der Leipziger Stadtbevölkerung.

Natürlich heißt das trotzdem, dass der Anteil von Leipzigern mit Migrationshintergrund in den nächsten Jahren weiter steigen wird. Die Stadt wird sich sehr deutlich verändern. Und sie muss sich mit Themen beschäftigen, die die eher phlegmatischen Ureinwohner bislang weidlich vermieden haben, überhaupt zu bedenken: Die Einbindung von Menschen mit solchem Migrationshintergrund in die Stadtverwaltung, in Ordnungsdienst und Polizei, in Kulturleben und Wirtschaftsverbände … Man kann sich dort überall umschauen und begegnet überall meist nur netten, freundlichen, manchmal auch übermüdeten weißen Gesichtern. Die Chance, Leipziger mit Migrationshintergrund einzubinden, hat man in den letzten Jahren gründlich verpasst. Vieles ist noch Provisorium, auch wenn es etwa in Leipzigs Verwaltung schon gute Handreichungen für die Mitarbeiter gibt und man weiß, wo man Dolmetscher bekommt, wenn mal eine exotischere Sprache auftaucht.

Aber wie sich Leipzig verändern wird, das erzählen wir im nächsten Beitrag zum Quartalsbericht etwas ausführlicher.

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