Es geht nicht nur Leipzig so. Alle deutschen Großstädte leiden darunter, dass sie jetzt massiv in Neubau investieren müssen – aber die Baukapazitäten sind ausgereizt. Augenscheinlich haben alle so lange gewartet, bis sich die Probleme aufgestaut haben. Die Chance, frühzeitig ins Neubaugeschäft einzusteigen wurde gründlich vertan. Auch wenn das Difu Institut hauptsächlich das Bevölkerungswachstum für die Ursache der Misere hält.

„Deutschlands Bevölkerung wächst. Durch Zuwanderung und steigende Geburtenraten lebten 2017 rund zwei Millionen Menschen mehr in Deutschland als noch vor fünf Jahren – darunter viele Kinder und Jugendliche. Damit wächst der Druck auf die Kommunen, zusätzliche Infrastrukturen wie Schulen, Kitas und Wohnraum bereitzustellen“, versucht das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) das Problem zu umreißen.

„Gleichzeitig müssen schrumpfende Städte, Gemeinden und Landkreise die Folgen des demografischen Wandels meistern. Eine große Herausforderung für die Kommunen. Das zeigt sich auch in den Ergebnissen des KfW-Kommunalpanels 2018, einer repräsentativen Befragung der Kommunen in Deutschland, die jährlich vom Deutschen Institut für Urbanistik im Auftrag der KfW Bankengruppe durchgeführt wird.“

Der wachsende Infrastrukturbedarf in den Kommunen falle dann auch noch in eine Zeit günstiger ökonomischer Rahmenbedingungen: Die gesamtstaatlichen Steuereinnahmen lagen 2017 mehr als 130 Milliarden Euro über den Werten von 2012. Die Verschuldung aller föderalen Ebenen sinkt, die Zinsausgaben sind weiterhin niedrig.

„Die gute wirtschaftliche Lage erleichtert es zwar vielen Kommunen, die sehr unterschiedlich ausgeprägten demografischen Herausforderungen anzugehen“, sagt Dr. Henrik Scheller, Teamleiter Wirtschaft und Finanzen am Deutschen Institut für Urbanistik. „Allerdings können die Investitionen häufig nicht so schnell geplant und realisiert werden, wie nötig. Viele Kommunalverwaltungen stoßen an Kapazitätsgrenzen, da durch Personaleinsparungen der vergangenen 20 Jahre Mitarbeiter fehlen. In den Kommunen können dann Projekte oft nicht geplant, Fördermittel nicht abgerufen und Bauaufträge nicht ausgeschrieben werden.“

Das heißt: Das Problem ist hausgemacht. Die neoliberale Spar-Politik, die auch in Leipzig immer zulasten des Personals ging, hat dafür gesorgt, dass in wichtigen Planungsabteilungen das Personal fehlt. Die befragten Kommunen melden das als häufigsten Grund für die schleppenden Investitionen.

Allerdings werde auch die hohe Auslastung der Bauwirtschaft für viele Kommunen zunehmend zum Problem, versucht das Difu eine weitere Erklärung. Jetzt gehen auf einmal alle Wachstumskommunen daran, den riesigen Investitionsstau aus den vergangenen 10, 15 Jahren abzubauen.

„Wenn Kommunen überhaupt noch Bauunternehmen oder Handwerker finden, müssen sie inzwischen deutlich mehr zahlen als in den vergangenen Jahren“, so Dr. Henrik Scheller.

Damit steigen zwar die Investitionsausgaben, mehr Infrastruktur wird deshalb aber nicht unbedingt bereitgestellt. Denn jetzt verschlingen die so lange aufgeschobenen Bauprojekte natürlich deutlich mehr Geld als sie es vor 5 oder 10 Jahren noch getan hätten. Das lange Festhalten an Neuverschuldungsverboten und „Schwarzer Null“ rächt sich jetzt.

„Steigender Infrastrukturbedarf bei begrenzten Investitionsmöglichkeiten, da ist ein Anstieg des Investitionsrückstands die logische Folge“, sagt Dr. Scheller.

So steigt laut KfW-Kommunalpanel 2018 der wahrgenommene Investitionsrückstand der Kommunen auf knapp 159 Milliarden Euro. Mit einer ähnlichen Zahl hat ja schon SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz in seinem Wahlkampf agiert. Und gerade Kommunen, die sowieso schon im Investitionsstau stecken, kommen nicht heraus. Denn meist haben sie – wie Leipzig – eine enorme Soziallast zu schultern, die auch noch steigt. Das heißt: Die dringend für Investitionen gebrauchten Gelder kommen gar nicht im Investitionshaushalt an, sondern werden im Sozialetat verbraucht.

Den gestiegenen Investitionsrückständen stehen vielerorts aber auch wachsende Einnahmen gegenüber. In solchen Kommunen dürfte der Investitionsrückstand über höhere Investitionen mittelfristig wieder abgebaut werden können, vermutet man am Difu. Die Befragung der Kommunen im KfW-Kommunalpanel 2018 zeigt daher auch, dass viele Kämmereien zuversichtlich sind, die Investitionsrückstände gerade bei Schulen und Kitas in den nächsten Jahren wieder zu verringern. Bei Straßen hingegen, wo die unterlassene Instandhaltung der letzten Jahre besonders spürbar ist, rechnen die meisten Kommunen weiterhin mit einer angespannten Lage.

Problematisch bleibt die Situation allerdings weiterhin in dem Viertel aller Landkreise, Städte und Gemeinden mit angespannter Haushaltslage. Denn dort kann wachsender Bedarf aufgrund haushaltsrechtlicher Restriktionen nicht durch höhere Investitionen gedeckt werden. Die Ergebnisse des KfW-Kommunalpanels 2018 legen nahe, dass in Regionen mit starken Anstiegen beim Investitionsrückstand tendenziell weniger investiert wird. Ein Aufholen dieser Regionen aus eigener Kraft wird dadurch immer schwieriger.

„Wenn finanzschwache Kommunen nicht angemessen auf den steigenden Bedarf reagieren können, öffnet sich die Schere zwischen den Regionen weiter. Um diesen wachsenden Disparitäten zu begegnen, bedarf es politischer Lösungen, mit denen die Investitionsfähigkeit der betroffenen Kommunen langfristig wieder verbessert wird“, stellt Dr. Scheller fest. „Die geplante Einsetzung der Kommission ‚Gleichwertige Lebensverhältnisse‘ stellt hier einen Schritt in die richtige Richtung dar“.

Das KfW-Kommunalpanel wird seit 2009 im Auftrag der KfW vom Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) erstellt. Es handelt sich um die größte, regelmäßige Befragung von Kämmerern in Kreisfreien Städten, Landkreisen und kreisangehörigen Gemeinden mit mehr als 2.000 Einwohnern in Deutschland. Kernpunkte der Befragung sind die kommunale Finanzlage, die Investitionstätigkeit und deren Finanzierung.

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