Manchmal packen Leipzigs Statistiker einfach so eine Grafik hin, schreiben kurz dazu, was drin zu lesen ist. Und dann steht man da und rauft sich die Haare: Was wollten uns die Statistiker damit sagen? Auch wenn es nur eine aktuelle Grafik zur Struktur der Leipziger Privathaushalte ist. Aber dass immer mehr Leipziger zu Singles werden, das gibt doch zu denken.

„Die Haushalte in Leipzig werden tendenziell immer kleiner“, schreiben sie im neuen Quartalsbericht. „Diesen Trend beobachten die Statistiker bereits seit Anfang der 1990er Jahre.“

Waren im Jahr 2000 noch 47,8 Prozent aller Haushalte in Leipzig Single-Haushalte, stieg dieser Anteil 2007 schon auf 50,2 Prozent und erreichte 2017 den Wert von 53,9 Prozent.

Was übrigens nicht nur ein Leipziger Phänomen ist. Das Bundesamt für Statistik stellt diese Entwicklung für ganz Deutschland fest. Je größer eine Stadt, umso größer ist der Anteil von Single-Haushalten. Oder besser: Haushalten mit alleinstehenden Personen. Denn die meisten Menschen, die allein leben, würden sich nie und nimmer als Single bezeichnen – die einen sind verwitwet und leben deshalb allein, andere wurden geschieden und sind deshalb zwangsläufig allein. Dann gibt es da noch die vielen Studierenden und Azubis, die zumeist in Wohngemeinschaften leben, aber ihren Haushalt trotzdem allein führen.

Was aber noch nicht erklärt, dass die Zahl der in Leipzig allein Lebenden derart stark angestiegen ist von 128.614 auf mittlerweile 180.773. Das ist weder mit dem höheren Anteil der über 65-Jährigen zu erklären noch mit steigenden Studierendenzahlen.

Und da ahnt man, warum Leipzigs Statistiker diese Grafik ganz an den Anfang des neuen Quartalsberichts gesetzt haben: Sie würden selbst gern wissen, was da los ist. Denn natürlich bedeutet das auch, dass weniger Partnerschaften entstehen, weniger Kinder geboren werden oder die Kinder dann oft mit nur einem Elternteil aufwachsen – Stichwort: Alleinerziehende.

Und weil der Trend bundesweit so ist, kann man nur vermuten, dass es eben keine persönlichen Gründe sind, die Menschen zum Alleinleben zwingen, sondern handfeste materielle. Was auch der Zensus immer wieder bestätigt, denn Alleinlebende sind überdurchschnittlich oft arbeitslos, überdurchschnittlich oft armutsgefährdet und zahlen im Schnitt einen deutlich höheren Anteil ihres Einkommens für die Miete. Wo gutverdienende Paare mit 20 Prozent ihres Einkommens für die Miete auskommen, haben Leipziger „Single-Haushalte“ 30 bis 40 Prozent hinzublättern.

Das heißt: Sie sitzen eigentlich schon in einer finanziellen Falle fest. Sie haben kein Geld übrig, um den Hausstand zu vergrößern. Da viele in dieser Situation landen, nachdem sie arbeitslos wurden und/oder geschieden wurden, ahnt man, wie sehr ganz normale Brüche im Leben dafür sorgen, dass Menschen nicht nur in der Einkommensfalle landen, sondern auch in der Single-Falle.

Wobei natürlich noch der Faktor Großstadt dazukommt: In Großstädten in Deutschland ist es längst Standard, dass weit über 40 Prozent der Bewohner allein leben. Und zwar nicht nur armutsgefährdete Bewohner, sondern auch gut ausgebildete Menschen in anspruchsvollen Jobs. Und da hat man dann die ganzen Autokolonnen im Berufsverkehr vor Augen, die vielen Lobgesänge auf Flexibilität und Mobilität im Ohr.

Und die begleiten uns just in den 30 Jahren, in denen die Vereinzelung der Menschen in der Großstadt stetig zunahm. Die großen Städte bieten zwar immer mehr hochqualifizierte Jobs – aber die sind mit einer hohen Einsatzbereitschaft verbunden. Und vor allem trifft die geforderte Flexibilität vor allem die jungen Leute.

Was schon lange an einem anderen Faktor sichtbar ist: Der drastischen Verschiebung der ersten Geburt im Leben junger Frauen vom einstmals 20., 21. Lebensjahr auf mittlerweile 29 Jahre als Standard. Das ist in Leipzig seit Jahren schon so: Erst mit 29 Jahren entscheiden sich die meisten Frauen, ihr erstes Kind zu bekommen.

Und die meisten Frauen denken das Thema sehr rational: Erst wenn auch einigermaßen belastbare wirtschaftliche Verhältnisse für die Familiengründung da sind, entscheiden sie sich zur Erfüllung des Kinderwunsches.

Das Warten aufs 29. Lebensjahr ist ebenso wenig selbst gewählt wie das Alleinleben. Alle sogenannten Arbeitsmarktreformen seit 1990 haben genau diesen Punkt getroffen: Sie haben gerade jungen Menschen die unsichersten, meist befristeten und schlecht bezahlten Arbeitseinstiege zugeschanzt. Und auch der Einstieg in eine Vollzeitstelle bedeutet oft noch nicht, dass damit eine Familiengründung gesichert ist.

Und der nächste Ärger geht schon los, wenn die jungen Leute nach einer bezahlbaren familiengerechten Wohnung suchen. Der Wohnungsmarkt hat sich schon seit Jahren von den realen Bedürfnissen junger Familien abgekoppelt. Gerade da, wo die Jobs für die hochqualifizierten jungen Leute entstehen – in den Großstädten – wird kaum noch für Familien bezahlbar gebaut.

Aber wie gesagt: Die fundierte Erfragung bei den Betroffenen fehlt noch. Hinter der kleinen Grafik steht ein großer Wunsch, genau das endlich einmal abfragen zu können. Vielleicht kommt’s ja in einer der nächsten Bürgerumfragen.

Aber zu Geburten können wir was erzählen.

In Kürze an dieser Stelle.

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