Manchmal muss man es ja den Blitzmerkern in unserer neueren politischen Landschaft einfach amtlich unter die Nase reiben: „Am 31. Dezember 2017 lebten im Freistaat Sachsen 4.081.308 Einwohner. Das sind 475 bzw. 0,01 Prozent weniger als Ende 2016. Die Einwohnerzahl der Deutschen ist um 14.581 Personen bzw. 0,4 Prozent gesunken. Dagegen stieg die Zahl der in Sachsen lebenden Ausländer um 14.106 Personen bzw. 8,2 Prozent.“ Die einen halten das in ihrer Kartoffelweltsicht für eine „Flüchtlingskrise“. Aber es ist viel schlimmer: Es ist eine demografische Falle.

Demografie ist nichts anderes als Bevölkerungszählung – nach Männlein, Weiblein, Herkunft, Alter, Wohnort. In Sachsen zum Beispiel, eins der kleinen Bundesländer, die zusammen die Bundesrepublik Deutschland ausmachen. Wirtschaftlich – wie fast der gesamte Osten – eher zweite Liga, politisch gerade auf einem wilden Marsch nach rechts, wenn man wirklich annimmt, dass hinter den 24 Prozent der Leute, die bei Sonntagsumfragen schon verkünden, sie würden am liebsten AfD wählen, tatsächlich lauter Rechte stecken. Oder gar Rechtsradikale.

Und nicht eher Ratlose, Hoffnungslose und Wütende, die in ihrem eigenen kleinen Örtchen erleben, was es eben nicht nur heißt, wenn ein ganzes Land radikal deindustrialisiert wird und sich die wirtschaftliche Prosperität immer mehr nur noch auf wenige Netzknoten und Großstädte konzentriert.

Das ist nur der wirtschaftliche Teil.

Alle Statistiken aus dem Landesamt für Statistik seit dem Jahr 1990 aber zeigen auch, dass der wirtschaftliche Part einen demografischen Erdrutsch zur Folge hat. Und das trifft nicht nur auf Sachsen zu. Mittlerweile titeln selbst große konservative Zeitungen im Land mit dem Wortungetüm „Demografie-Falle“.

Die Falle ist nicht die Altersarmut, die gern beschworen wird, die (fehlende) Altersvorsorge oder die wachsende Vergreisung. Das alles sind nur Symptome, die sich noch verstärken werden, wenn jetzt die geburtenstarken Nachkriegsjahrgänge in Rente gehen, die sogenannten „Baby-Boomer“, wie sie genannt werden, obwohl der „Baby-Boom“ ab ungefähr 1960 nur wieder der übliche deutsche Nachkriegseffekt war. Erst zettelt Deutschland hirnrissige Kriege an, in denen Millionen junger Männer einfach ausgelöscht werden, ohne dass hinterher irgendwer sagen kann, wofür das alles eigentlich gut gewesen sein soll.

Die jungen Männer fehlen dann logischerweise als Väter in den ersten Nachkriegsjahren. Gleichzeitig erzeugt jeder Krieg so eine Art „Wirtschaftswunder“ (wenn man die Nachkriegsordnung nicht gerade so grunzdämlich baut, wie es der Versailler Vertrag zustande brachte – Rache ist nie ein gutes Motiv beim Schreiben von Friedensverträgen), das Land schöpft Hoffnung, schraubt Konsum und Produktivität hoch, was Familiengründungen und Kinderkriegen befeuert – es kommt zu einem Boom der Kinder.

Was sich normalerweise bald wieder ausmittelt. Oder ausgemittelt hätte, wäre da nicht der Effekt zu beobachten, der in allen westlichen Industrienationen zu besichtigen ist: Die Geburtenrate sank ab den 1970er Jahren nicht nur auf den ausgleichenden Wert von zwei Kindern pro Frau. Sie sank deutlich drunter und liegt nun seit Jahrzehnten in der Gegend von 1,4 bis 1,5 Kindern pro Frau.

Was sich so im Einzelnen nicht schlimm anhört. Da haben eben viele Familien zwei Kinder, etliche nur eins, manche Singles auch gar keins.

Aber rechnerisch bedeuten 1,5 Kinder, dass in jedem einzelnen Jahrgang ein Viertel fehlt, um die Bevölkerungszahl zu halten. Die Bevölkerung schrumpft.

Bis 2015 war Sachsen schon heftig im Schrumpfungsprozess und es war absehbar, dass in allen, wirklich allen Branchen bald tausende Stellen nicht mehr besetzt werden könnten, weil jetzt die geburtenschwachen Jahrgänge ins Berufsalter kommen. In allen Ministerien hätten die Alarmleuchten blinken müssen. Aber nicht nur Sachsens Regierung wurstelte so weiter wie bisher. Wirklich Alarm schlugen nur die Wirtschaftskammern.

Die oben zitierte Meldung stammt aus dem Statistischen Landesamt, das auf diese Weise trocken mittelt: Sachsen ist wieder da, wo es 2014 war. Es schrumpft. Es werden noch mehr (junge) Menschen fehlen, die im Land all die notwendigen Arbeiten verrichten, ohne die so ein Land nicht funktioniert.

Das ist die „Demografie-Falle“. Und mental ist die Bundesrepublik darauf nicht vorbereitet. Obwohl seit über 20 Jahren bekannt ist, dass es so kommt.

In der großen „Demografie-Falle“ stecken noch viele kleine „Demografie-Fallen“. Die eine ist schon seit Jahren zu beobachten: Die massive Dominanz der Senioren bei jeder Wahl. Was auch immer bedeutet: Die jüngeren Jahrgänge, jene, die einerseits die Arbeitslast übernehmen, andererseits aber auch noch Familien gründen und Kinder bekommen sollen, sind in sämtlichen Parlamenten mit ihren Interessen unterrepräsentiert.

Und: Die vorherrschende Denkweise im politischen Alltag wird „alt“. Die Themen der Alten dominieren, binden die Ressourcen und verhindern, dass politische Weichen gestellt werden, die einige Folgen des demografischen Erdrutsches mildern.

Oder mal so formuliert: Die Besitzstandswahrung ist zum Primat der Politik geworden, die zukunftsorientierte Lösungskompetenz kam abhanden. Auch das ein Grund dafür, dass die Gesellschaft auseinanderreißt, warum die ausgezogenen Jungen sich mit den daheimgebliebenen Alten zoffen und keine gemeinsame Gesprächsbasis mehr finden.

Warum auch Bilder von Bedrohung, Rücksetzung und Zukurzkommen dominieren. Folgen der demografischen Verschiebung werden nicht als solche begriffen – und deshalb auch nicht gelöst. Es fehlt eine Vision davon, wie man ein Land stabilisieren kann, dem unübersehbar die jungen Menschen abhandenkommen.

Der abgebildete Lebensbaum zeigt zwar nur die sächsische Bevölkerungspyramide zum Jahresende 2014 (mitsamt den Bevölkerungsprognosen für 2030). Aber er macht sehr schön deutlich, was da gerade passiert. Er zeigt, wie die Berufsanfängerjahrgänge unter 22 Jahren nur halb so stark sind wie die der „Baby-Boomer“ zwischen 45 und 65, die in den nächsten Jahren in Rente gehen. Wenn sie das können. Die heutigen Mini-Renten werden ja Tausende dazu zwingen, auch nach dem 65. noch weiter zu arbeiten. Aber das wird das aufreißende Loch nicht stopfen.

In der Bevölkerungsprognose gehen die Statistiker aktuell noch davon aus, dass Sachsen irgendwann zwischen 2020 und 2030 unter die 4-Millionen-Marke rutscht. Und da sind dann die massiven Altersabgänge der „Baby-Boomer“ schon dabei. Es hätte gute Gründe gegeben, nach dem Abgang von Ministerpräsident Georg Milbradt intensiv über die sächsische „Demografie-Falle“ nachzudenken.

Milbradt war wirklich der Letzte in Sachsens Regierung, der das getan hat. Seitdem herrscht Schweigen und Unverständnis. Und gerade bei den Älteren und Alten das dumme Gefühl, dass irgendwas gewaltig aus der Spur geraten ist. Nur dummerweise glauben viele, dass sie gar nicht Teil des Problems sind.

Was wir heute erleben, ist auch eine Folge dieser demografischen Entwicklung. Einer Entwicklung, die leider auch Politiker völlig überfordert, die darauf geeicht sind, immer nur in Vier-Jahres-Wahlperioden zu denken. Und nicht in Generationen.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Politiker und denken in einem Satz. Das paßt nicht. Politiker denken nicht. Wenn sie es tun würden, müßten sie darauf kommen, das wir die Welt zerstören, wenn wir so weiter machen wie bisher. Bespiele spare ich mir hier, findet jeder an beliebiger Stelle reichlich.
Die meisten Politiker haben Kinder, doch nicht mal das hält sie nicht davon ab, deren und unsere Welt weiter zu zerstören. Das das mit nachdenken zusammenpaßt, kann mir keiner weiß machen.

Schreiben Sie einen Kommentar