Es war der finanzpolitische Sprecher der Linksfraktion im Leipziger Stadtrat, Steffen Wehmann, dem eine Tabelle im jüngsten Sozialreport der Stadt Bauchschmerzen bereitete. Denn da war dann wieder optimistisch aufgemalt, wie schön sich die durchschnittlichen Monatseinkommen der Leipziger Haushalte seit 2005 entwickelt hatten. Das sah toll aus, aber jeder Käufer im Laden weiß, dass die Zuwächse meist von der Inflation aufgefressen werden. Steigende Einnahmen bedeuten nicht unbedingt mehr Kaufkraft.

Also fragte er an und die Leipziger Statistiker haben ihm jetzt ausführlich geantwortet

Eine Einschränkung gibt es da schon mal, heißt es jetzt in der ausführlichen Antwort, die das Verwaltungsdezernat geliefert hat: „Die Ausweisung realer Einkommen für die im Sozialreport aufgeführten Gruppen ist nur eingeschränkt möglich, da der zugrunde gelegte Sächsische Verbraucherpreisindex nicht differenziert nach Haushaltstypen vorliegt. Da sich der von einem Einpersonenhaushalt konsumierte Warenkorb in seiner Zusammensetzung stark vom typischen Warenkorb eines Haushaltes mit drei Personen unterscheidet, werden beide Haushalte in der Praxis einer unterschiedlichen Teuerung gegenüberstehen. Die vorliegende Auswertung wendet den Sächsischen Verbraucherpreisindex aufgrund der Datenlage dennoch auf die unterschiedlichen Haushaltstypen an.“

Also im Statisten-Deutsch: Vorsicht!

Die einen mit den niedrigen Einkommen bekommen es schmerzhaft zu spüren, wenn Obst, Gemüse, Brot, Strom, Miete und Milch deutlich teurer werden. Die mit den hohen Einkommen kaufen sowieso meist teurer ein und haben dann meist noch Geld für Eigenheim, SUV und Urlaubsreise nach Hawaii übrig.

Aber auch die vorhandenen Zahlen lassen sichtbar werden, wie stark die Inflation auf die Einkommensentwicklung wirkte.

„In Leipzig ist seit 2007 ein Wachstum der mittleren, nominalen (also zum jeweiligen Preisniveau ausgewiesenen) Haushaltsnettoeinkommen zu beobachten. Die realen Haushaltseinkommen, die die Entwicklung des Preisniveaus berücksichtigen, steigen seit dem Jahr 2009 wieder an“, betonen Leipzigs Statistiker. Die Grafik zeigt aber auch schön, wie die realen Einkommen der Leipziger von 2000 bis 2009 permanent gefallen sind – nicht weil es irgendwelche Lohnkürzungen gab. Denn die nominalen Einkommen blieben im Median relativ stabil.

Die nominale und die reale Einkommensentwicklung der Leipziger Haushalte. Grafik: Stadt Leipzig
Die nominale und die reale Einkommensentwicklung der Leipziger Haushalte. Grafik: Stadt Leipzig

Aber Einkommensstabilität heißt bei Inflationsraten von 1,5 bis 2,5 Prozent im Jahr eben immer: Es ist ein realer Einkommens- und Kaufkraftverlust. Im Median haben die Leipziger in dieser Zeit rund 250 Euro im Monat an Kaufkraft verloren. Das ist heftig. Im Vergleich zum Ausgangswert waren das fast 16 Prozent Einkommensverlust.

Niedriglohn, prekäre Beschäftigung und die Agenda 2010 haben hier ihren Beitrag geleistet.

Die nominalen Einkommen sind zwar seit 2009 und dem absehbaren Ende der Finanzkrise tatsächlich wieder gestiegen. Aber als Zuwachs bei der Kaufkraft haben es die Leipziger erst ab 2011 gespürt. Und das reale Einkommensniveau von 2000 wurde tatsächlich erst wieder im Jahr 2017 erreicht.

Und dabei lagen die Leipziger Median-Einkommen die ganze Zeit immer unter denen der Chemnitzer und Dresdener. Grund war der deutlich stärker ausgebaute Sektor mit Niedriglöhnen, die höhere Arbeitslosenquote, aber auch der massive Ausbau von Zeitarbeit.

Entwicklung der realen Haushaltseinkommen in Dresden, Chemnitz und Leipzig. Grafik: Stadt Leipzig
Entwicklung der realen Haushaltseinkommen in Dresden, Chemnitz und Leipzig. Grafik: Stadt Leipzig

Erst ab 2010 hat die Einkommensentwicklung in allen drei Städten wieder ein relatives Gleichgewicht mit der Inflation erreicht, lag das durchschnittliche jährliche Wachstum der Realeinkommen in Dresden und Chemnitz bei jeweils 2,4 Prozent.

Aber hinter den Durchschnittswerten verbergen sich ja völlig unterschiedliche Haushaltsgrößen und Einkommenshöhen.

Auch das haben Leipzigs Statistiker jetzt zumindest nach Haushaltsgrößen berechnet – wobei man immer bedenken muss: Der größte Teil der Leipziger Haushalte sind Single-Haushalte. Und das betrifft nicht nur alleinlebende Rentner oder Studierende, sondern auch viele Erwerbstätige, die die ganze Zeit so schlecht verdienen, dass augenscheinlich an die Gründung eines größeren Haushalts nicht zu denken ist. Wirtschaftlich prekäre Situationen sorgen ganz augenscheinlich dafür, dass auch das Geld für Familiengründungen fehlt.

Die Sicht der Statistiker: „Für unterschiedliche Haushaltsgrößen zeigt sich im Betrachtungszeitraum eine stark differenzierte Entwicklung. Der mittlere Einpersonenhaushalt in Leipzig hatte über viele Jahre real weniger Einkommen zur Verfügung als noch im Jahr 2000. Leipziger Haushalte mit zwei bzw. drei und mehr Personen konnten ihr reales Einkommen stärker steigern. Für alle betrachteten Haushaltstypen zeigt sich ein beschleunigtes Wachstum der Realeinkommen in den vergangenen 5 Jahren.“

Hier verkürzen die Statistiker dann den Betrachtungszeitraum auf 2013 bis 2017: „Einpersonenhaushalte konnten ihr Realeinkommen im selben Zeitraum jährlich ebenfalls um durchschnittlich 2,5 Prozent steigern, Zweipersonenhaushalte lediglich um 1,8 Prozent und Haushalte mit drei und mehr Personen leicht überdurchschnittlich um 2,6 Prozent.“

Wie stark die Einkommensentwicklung bei den Single-Haushalten die Gesamteinkommenssituation in Leipzig beeinflusst, zeigt die gepunktete blaue Linie in der Titelgrafik. Während Mehrpersonenhaushalte das reale Einkommensniveau von 2000 schon ab 2010 wieder erreichten, schafften das die Single-Haushalte erst 2015.

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