Ja, wohin wandern sie denn? Während Axel Viehweger, Vorstandsmitglied des Verbandes der sächsischen Wohnungsgenossenschaften (VSWG), noch via LVZ dafür trommelt, die Leipziger sollten doch freie Wohnungen bitteschön auch im ländlichen Raum außerhalb der von knappstem Wohnungsangebot geplagten Großstadt suchen, belegt der jüngste Quartalsbericht genau das. Dazu brauchen junge Familien gar keinen Fingerzeig. Die Not treibt sie auch so.

Gleich auf Seite 2 im neuen Quartalsbericht Nr. 4/2018 kann man dazu lesen: „Nur gegenüber den sächsischen Städten und Gemeinden hatte die Stadt Leipzig einen negativen Wanderungssaldo (-484), gegenüber den anderen 15 Bundesländern war der jeweilige Saldo positiv. Gegenüber den zwei umliegenden Landkreisen verlor Leipzig durch die 2018er Wanderungsbilanz 1.467 Personen, gegenüber den unmittelbar angrenzenden Städten und Gemeinden 922 Personen.“

Das heißt: Während Leipzig durch Wanderung 6.974 Einwohner dazugewann, verlor die Stadt gleichzeitig 1.467 Bewohner an die direkt angrenzenden Landkreise. Alles eher junge Familien, die innerhalb des Leipziger Wohnungsmarktes nicht mehr die Wohnung finden, die sie für sich als Familie brauchen. Wahrscheinlich sind auch etliche Familien darunter, die sich so den Traum vom eigenen Haus verwirklichen, auch das etwas, was aufgrund der drastisch gestiegenen Leipziger Bodenpreise innerhalb Leipzigs für junge Familien oft nicht mehr erschwinglich ist.

Übrigens ein Phänomen, das 2017 erstmals so deutlich sichtbar wurde. Denn nachdem 2016 nur 5 Prozent der in der Bürgerumfrage befragten umzugswilligen Leipziger angaben, in die nähere Umgebung der Stadt ziehen zu wollen, so schnellte der Wert 2017 auf 12 Prozent hoch, 2018 sogar auf 13 Prozent. Hingegen sank der Anteil der umzugswilligen Leipziger, die innerhalb der Stadt umziehen wollen, vom kurzzeitigen Spitzenwert von 86 Prozent nunmehr auf 71 Prozent. Denn die Suche nach einer bezahlbaren passenden Wohnung im Stadtgebiet ist deutlich schwerer geworden.

Entwicklung der einzelnen Geburtsjahrgänge 2018. Grafik: Stadt Leipzig, Quartalsbericht 4 / 2018
Entwicklung der einzelnen Geburtsjahrgänge 2018. Grafik: Stadt Leipzig, Quartalsbericht 4 / 2018

In einem eigenen Beitrag erläutert der Statistiker Andreas Martin dann, was in der Leipziger Wanderungsbewegung tatsächlich passiert. Denn nicht alle Altersjahrgänge haben in Leipzig einen Wanderungsgewinn. Im Gegenteil. In manchen gibt es bedenkliche Abwanderungsbewegungen.

„Die Altersstruktur der Leipziger Bevölkerung wurde auch 2018 maßgeblich durch Zu- und Weggezogene beeinflusst“, schreibt Martin. „Die bereits zuvor stärksten Altersklassen (20 und 40 Jahre) wurden auch im Berichtsjahr wiederum primär verstärkt. Leicht versetzt zu dieser Gruppe sind es fast ausschließlich die 18- bis unter 30-Jährigen, die mit einem Zuwachs von 6.899 Personen für die Zunahme der Gesamtbevölkerung verantwortlich waren. Für diese Gruppe wurden auch mit 18.344 Zugezogenen (bei gleichzeitig 11.417 Weggezogenen) über die Hälfte aller Zuzüge (54,1 Prozent; Wegzüge: 42,4 Prozent) registriert.“

Das heißt: Die jungen Leute kommen vor allem zu Ausbildung und Berufseinstieg nach Leipzig, während Leipzig von älteren Zuzüglern gar nicht profitiert, im Gegenteil: Schon bei den 30-bis 40-Jährigen erlebt Leipzig einen Wanderungsverlust. Und das wirkt sich an einer anderen Stelle natürlich spürbar aus.

Andreas Martin schreibt dazu: „Beachtens- und bedenkenswert ist, dass die Gruppen im Vorschul- und im Grundschulalter im abgelaufenen Jahr trotz hoher Geburtenzahl nennenswert abgenommen hat. Das Wanderungssaldo der unter 6-Jährigen lag bei -796 (Vorjahr: -318), das der 6- bis unter 10-Jährigen bei -128 (Vorjahr: +219). Die gleichen Salden bei den Ausländern sind durchweg positiv, d. h. dass es hier um verstärkten Wegzug von Familien mit kleinen Kindern aus der Stadt bei gleichzeitig verringertem Zuzug dergleichen geht.“

Was noch vorsichtig formuliert ist, denn die Steigerung gegenüber 2017 ist ja offenkundig. Immer mehr junge Familien verlassen die Stadt, mutmaßlich in die umliegenden Landkreise und die nahen Kleinstädte. Und wenn das allein 2018 einen Saldo von 924 ausmacht, dann hat das mehrere Folgen. Erstens natürlich die, dass Kitas und Schulen in den Landkreisen besser ausgelastet sind und die Städte sich wieder über jungen Zuzug freuen können. Was nicht bedeutet, dass die jungen Eltern dort auch Arbeit finden. Im Gegenteil: Wahrscheinlich werden sie fortan zur Arbeit nach Leipzig pendeln, denn die neuen Arbeitsplätze entstehen nach wie vor in Leipzig, nur die bezahlbaren Wohnungen nicht.

Gleichzeitig wird Leipzigs Sozialbürgermeister ein Stein vom Herzen fallen, denn 924 Kinder weniger bedeuten rechnerisch drei komplette Schulen, die er weniger bauen muss. Bei über 40 notwendigen neuen Schulen entspannt das zumindest punktuell die Lage.

Die jungen Eltern tun also längst das, was Axel Viehweger empfiehlt. Aber die Zuzugsgewinne in den stadtnahen Landkreisen zeigen eben auch, dass davon ganz bestimmt nicht das Vogtland, Mittelsachsen oder die Lausitz profitieren werden, sondern vor allem die Orte rund um Leipzig, die auch gut angebunden sind an den Arbeitgeber Großstadt, möglichst mit intakten Buslinien (mit denen die Kinder dann auch oft zur Schule kommen) oder direkter S-Bahn-Anbindung. Was eben auch wieder zeigt, wie dringend ein Ausbau des S-Bahn-Angebots ist, wenn die wachsenden Pendlerströme nicht im innerstädtischen Stau enden wollen.

Die Entmischung der Leipziger Innenstadtquartiere ist längst im Gang

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