Es lohnt sich, sich systematisch durch die Ergebnisse der „Bürgerumfrage 2015“ zu arbeiten. Leipzigs Verwaltung hat einige Themen aufgegriffen, die den Bürgern auf den Nägeln brennen. Zum Beispiel die Sache mit den Mieten. Ein Thema, bei dem es scheinbar zwei unvereinbare Fronten gibt: Die einen rufen Alarm, weil sie die steigenden Kosten nicht mehr tragen können. Die Stadt sagt gern: Gibt doch gar keinen Grund zur Besorgnis.

Wie das so ist mit solchen Entweder-Oder-Positionen: Beide sind falsch. Der Mietanstieg trifft nicht alle Bevölkerungsgruppen gleich, auch nicht alle Wohnungssegmente. Und – immer wieder völlig ausgeblendet – nicht alle Ortsteile gleichermaßen. Segregation ist kein Prozess, der in einer ganzen Stadt gleichermaßen zugreift. Er betrifft immer und zuerst die attraktiven Innenstadtlagen. Anfangs damit, dass hier zunehmend Wohnraum für Leute entsteht, die sich mit besserem Einkommen auch eine luxuriösere Einrichtung leisten können oder gar die Pinkepinke zum Erwerb von Wohneigentum haben. Das sorgt dann im ersten Schritt für eine rein statistische Erhöhung des Erstvermietungsniveaus.

Aber wenn dieser Prozess nicht mehr nur einzelne Häuser betrifft, sondern ganze Straßenzüge erfasst und auch auf Neuvermietungen im Bestand übergreift, dann beginnt die Verdrängung all derjenigen, die sich Mietsteigerungen nicht (mehr) leisten können.

Das ist ein Prozess lange vor dem, was man so gern plakativ Gentrifizierung nennt.

Vor dem sich Leipzigs Stadtpolitik eigentlich immer gefürchtet hat: die Entmischung (Segregation) ganzer Stadtteile. Reden konnte man davon schon immer gut – so lange das Mietniveau in allen Leipziger Ortsteilen niedrig war und selbst in attraktiven Vierteln wie der Südvorstadt, dem Waldstraßenviertel oder der Westvorstadt die 5,50 Euro oder 6 Euro selten und nur punktuell überschritt.

Das aber ist seit ungefähr zwei Jahren Vergangenheit. Die ersten Quartiere haben sich schon so stark entmischt, dass die Segregation längst da ist. Das Niveau der Nettokaltmieten hat dort die 6-Euro-Marke auch im Bestand längst überschritten. Und zwar das Durchschnittsniveau.

Die mittleren Bestandsmieten in Leipziger Ortsteilen. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage2015
Die mittleren Bestandsmieten in Leipziger Ortsteilen. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage2015

Das ist zwar im Vergleich mit westdeutschen Großstädten ein Witz. Das wäre dort ein Sozialwohnungsniveau. Aber Mieten korrespondieren immer mit den verfügbaren Einkommen der Mieter. Aber genau das sorgt dafür, dass die innerstädtischen Quartiere zunehmend von den Besserverdienenden bewohnt werden, während die „Armutsgefährdeten“ wegziehen müssen. Denn sie haben ja das Spielgeld nicht, das sie brauchen, um steigende Mieten abzufangen.

Zwar meldet der neue Bericht, dass die Gesamtmietbelastung der Leipziger 2015 statistisch gesunken ist – von 32 auf 31 Prozent.

Aber davon profitieren nicht die unteren Einkommensgruppen. Im Gegenteil: Leipziger, die weniger als 806 Euro Einkommen im Monat haben (die offizielle „Armutsgefährdungsschwelle“) hatten eine satte Mietbelastung von 51 Prozent. Weil darunter auch viele Studierende sind, relativiert sich das ein wenig.

Aber wenn man den Fokus dann öffnet, wird deutlich, dass es auch zwischen den Normalverdienern in Leipzig („Mittelschicht, unterhalb Median“) und den Besserverdienenden gewaltige Unterschiede gibt.

Unterhalb des Medians heißt: Das sind die Leipziger mit einem Einkommen unterhalb der ermittelten Schwelle von 1.343 Euro, die also noch zur Hälfte der Weniger-Verdiener gehören. Sie zahlen Monat für Monat 33 Prozent ihres Einkommens für Miete und Nebenkosten.

Bei den Leipzigern, die mit 1.343 bis 1.969 Euro tatsächlich schon ein auskömmliches Einkommen haben, sinkt die Mietbelastung sogar deutlich ab auf 25 Prozent, bei der Oberschicht (ab 1.969 Euro Nettoeinkommen), sinkt der Wert sogar auf 19 Prozent.

Was natürlich die Immobilienentwickler in Leipzig freut. Denn genau das ist das Segment, das sie mit ihren Neubauten in Innenstadtnähe ansprechen können und das sich auch Mieten ab 10 Euro je Quadratmeter leisten kann.

Und die Karte im Bericht zur Bürgerumfrage zeigt, wo dieses Klientel hinzieht: ins Waldstraßenviertel, ins Zentrum-Süd, ins Grafische Viertel, ins Bachstraßenviertel und ins Musikviertel. Hier liegt das Mietniveau statistisch schon deutlich über 6 Euro. Selbst Wohnquartiere, die immer wieder im Gespräch sind, weil die Leerstandsquote gegen Null tendiert – reichen da nicht heran. Südvorstadt, Schleußig, Plagwitz oder Lindenau haben nach den Angaben der im Jahr 2015 Befragten ein durchschnittliches Kaltmietenniveau von 5,50 bis 6 Euro.

Das klingt nicht viel. Aber es erzählt natürlich auch von der Geschwindigkeit, mit der Mietniveaus auch in Quartieren anziehen, in denen das Einkommensniveau der Bewohner keineswegs so rasant steigt. Und in Plagwitz und Lindenau sorgt das jetzt schon für offene Konflikte, auf die die Stadtpolitik wieder mit den alten – und längst unwirksamen – Rezepten reagiert: Aussitzen und moderieren, meinen die einen. Mehr Polizei, ruft die CDU, die sich beim Thema Wohnproblematik in Leipzig noch nie einen Lorbeerkranz verdient hat.

Die Rufe nach einem „Wohnungspolitischen Konzept“, das seinen Namen verdient, kamen ja nicht, weil man mit der Wohnungspolitik der Stadt glücklich war, sondern weil sich gerade Vertreter der prekären Einkommensgruppen zunehmend selbst aus Regionen verdrängt sehen, in denen sie bisher ein bezahlbares Obdach jenseits des Zugriffs teurer Mietverhältnisse gefunden haben.

Da hilft auch kein Ermitteln hypothetischer Leerstandsquoten, wenn gerade Leipziger mit niedrigem Einkommen zunehmend bestätigen, dass sie sich gezwungen sehen, nach neuem, bezahlbarem Wohnraum Ausschau zu halten. Den sie immer seltener finden. Der Wert ist übrigens gestiegen – von 10 auf 12 Prozent, auch wenn sich hier natürlich die Umzugsbedürfnisse junger Familiengründer mit hineinmischen.

Die Prozesse überlappen sich also. So erhöhte sich der Anteil familienbezogener Umzugsgründe von 14 auf 16 Prozent. Die zu hohen Mietkosten scheinen als Umzugsgrund sogar wegzuschmelzen – der Anteil sank von 12 auf 7 Prozent.

Aber das hat vor allem mit einem Effekt zu tun: junge Menschen nach Abschluss der Ausbildung bekommen in der Regel schnell einen halbwegs gut bezahlten Job (ob es der studierte Beruf ist, ist eine andere Frage), sie können sich – erst recht wenn auch die Partner arbeiten gehen – in der Regel auch die Mietpreise im Stadtinneren leisten (verzichten dafür aber aufs Auto – dazu kommen wir noch). Aber dafür reißen die Mietanstiege all jenen Leipzigern die Basis weg, die schon in den vergangenen 25 Jahren mit schlecht bezahlten Jobs Vorlieb nehmen mussten. Bei den 50- bis 64-Jährigen geben 20 Prozent die Kosten als Umzugsgrund an, bei den Arbeitslosen sind es 37 Prozent. Aber auch wenn man nur die Erwerbstätigen betrachtet, sind es sieben Prozent.

Das sieht wenig aus. Aber das sind die Zahlen, mit denen der Verdrängungsprozess – zumeist ganz ohne Lärm – vonstatten geht.

Leipzig wird beim Zusehen immer mehr zu einer Stadt, in der die Geringverdiener aus innerstädtischen Bereichen verschwinden.

Auch weil die Stadt selbst kein Gegenmittel hat. Der soziale Wohnungsbau wäre eins. Aber dass Leipzig ab 2017 die jährlich benötigten 2.000 sozialgebundenen Wohnungen schaffen könnte, bezweifelt auch OBM Burkhard Jung. Den Vorschlag der Staatsregierung zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus habe er registriert, sagte er am Montag, 29. August. „Aber das ist erst ein Anfang, noch lange kein Durchbruch.“ Im Dezember rechnet er mit dem Beschluss, so dass 2017 endlich wieder Sozialwohnungen in Leipzig gebaut werden könnten. „200 Wohnungen müssen uns gelingen in 2017“, sagte er. Das ist tatsächlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

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Nun, es ist ja auch den Reichen und Schönen nicht zuzumuten, auf Schritt und Tritt der Armut begegnen zu müssen. Sie könnten sich beim Luxusshopping gar gestört fühlen. Das ist doch eine Zumutung!
Es reicht völlig, sich einmal im Jahr, am besten an Weihnachten, mit einem schönen Spendenscheck mit einer handvoll handverlesenen und nicht völlig verlotterten Armen fotografieren zu lassen.

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