Dass Leipzig gerade in den Jahren 2011 bis 2017 so stark wuchs, hat viel mit der Zuwanderung aus dem Ausland zu tun. Das sind die Jahre, die bei der Vorausberechnung der möglichen Bevölkerungsentwicklung dazu verführten, 2030 eine Bevölkerung von 720.000 bis 760.000 Leipzigern erwarten zu können. Aber Leipzigs Statistiker hatten nicht ohne Grund schon vorher Bauchschmerzen: Denn woher sollen die Zuwanderer kommen, wenn wichtige Quellen versiegen?

Denn die wichtigste Quelle des Wachstums in der Vergangenheit waren nicht die Flüchtlinge. Die prägten fast ausschließlich die Jahre 2015 und 2016. Aber auch vorher gab es schon Zuwächse von über 10.000 Leipzigern im Jahr. Und die kamen vor allem aus dem mitteldeutschen Hinterland. Genau aus jenen Regionen, die seit Jahren Bevölkerungsverluste haben, wo die Sterberate doppelt so hoch liegt wie die Geburtenrate. Irgendwann gibt es einfach nicht mehr genug junge Menschen, die dort abwandern können.

Aber wie bekommt man ein richtiges Bild?

Andreas Martin versucht es im Quartalsbericht mit seinem Beitrag „Leipziger mit Migrationshintergrund 2018“.

Demnach hatten zum Jahresende 2018 insgesamt 87.889 Einwohner einen Migrationshintergrund (über 43.000 mehr als 2011), was zu diesem Zeitpunkt einem Anteil von 14,7 Prozent entsprach. Gut ein Viertel davon sind Kinder. Im Vergleich zum Vorjahr war das insgesamt ein Zuwachs um 5,4 Prozent beziehungsweise 4.483 Menschen. Neben 58.621 Ausländern waren weitere 29.268 deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund in der Stadt gemeldet.

Der Ausländeranteil liegt leicht über dem Dresdner Niveau – aber deutlich unter dem vergleichbar großer Städte in den alten Bundesländern. Der jährliche Zuwachs von Migranten war zudem das dritte Jahr in Folge abgeschwächt und erreichte nicht das Niveau aus den Jahren 2015/16, als besonders viele Geflüchtete nach Leipzig kamen, betont das Amt für Statistik und Wahlen.

Im Detail wird freilich etwas Wichtiges sichtbar: Bis 2014 war der Bevölkerungszuwachs der Leipziger ohne Migrationshintergrund immer höher als der von Leipzigern mit Migrationshintergrund – 2011 etwa lag das Verhältnis bei 5.429 zu 3.634, 2014 dann bei 6.561 zu 5.962.

In den Jahren 2015 bis 2018 drehte sich das Verhältnis nicht nur, auch nicht nur wegen des kurzzeitig starken Anstiegs durch die Flüchtlingsaufnahme 2015/2016. 2018 ging der Zuwachs bei Einwohnern ohne Migrationshintergrund erstmals drastisch zurück – von 4.960 auf 1.697.

Das war genau das Jahr, in dem sich schon im Frühjahr abzeichnete, dass der Bevölkerungszuwachs in Leipzig einen kräftigen Dämpfer erhalten würde und die Prognosen für die 720.000 Einwohner im Jahr 2030 Makulatur sein würden.

Natürlich bietet das Zahlenmaterial von Andreas Martin noch keine Interpretation an, warum das so war.

Unsere Vermutung: Es ist der knapp gewordene Mietwohnungsmarkt. Der macht nämlich nicht nur den Leipzigern selbst zu schaffen, die nach einer neuen passenden Wohnung suchen. Er beeinflusst noch viel stärker die Zuzüge nach Leipzig. Denn wer von außen kommt und in Leipzig keine passende Wohnung finden kann, der zieht dann oft auch nicht in die Stadt.

Ein wenig ist das an den Zahlen zu Zu- und Wegzügen ablesbar. So gingen die Zuzüge 2018 deutlich von 36.013 im Vorjahr auf 33.886 zurück.

Am stärksten gingen dabei die Zuzüge aus Sachsen zurück, also vor allem aus all den Landkreisen, die seit Jahren schon schrumpfen. Hier allein gab es ein Minus von 1.007. Wobei das nicht bedeuten muss, dass diese Sachsen gar nicht erst geboren wurden. Viele werden ihre Wohnung dann lieber gleich in den angrenzenden Landkreisen Leipzig und Nordsachsen gesucht haben. Das ist ein Extra-Thema, mit dem wir uns auch noch extra beschäftigen.

Aber ganz ähnlich ging es wohl auch Bewohnern der anderen Neuen Bundesländer. Von dort sank die Zuwanderung um rund 200. Die Zuwanderung aus den Alten Bundesländern ging um 239 zurück, die Zuwanderung aus dem Ausland um rund 700.

Der Rückgang der Zuwanderung hat also mehrere Gründe und wurzelt nicht allein in der Geburtenschwäche Ostdeutschlands. Deshalb ist die Vermutung, es könne der eng gewordene Leipziger Wohnungsmarkt sein, nicht von der Hand zu weisen.

Das wird auch bei den Fortzügen deutlich. Denn während die Zahl der Zuzüge sank, stieg die der Fortzüge – von 25.935 auf 26.912.

Und hier steckt das kleine Achtungsmoment, denn während die Zahl der Wegzüge in die Alten Bundesländer sogar um 37 sank, stieg die Zahl der Wegzüge in die Neuen Bundesländer (ohne Sachsen) um 246 und die in sächsische Regionen um 419. Das untermauert die These, dass der Leipziger Wohnungsmarkt die Hauptursache für das veränderte Wanderungsverhalten und den gedämpften Bevölkerungszuwachs ist. Es passiert also genau das, von dem einige Politiker immer wieder behaupten, das müsste erst noch so passieren, ein sozialer Wohnungsbau in Leipzig sei eher kontraproduktiv.

Das werden viele der jungen Familien, die hier mit Kind und Kegel rausziehen aus der Großstadt, bestimmt anders sehen. Denn dadurch verlängern sich alle ihre Wege – zur Arbeit, zur Kultur, zum Einkaufen, zum Arzt, zu Schulen und Kitas.

Zugenommen hat freilich auch die Abwanderung ins Ausland – um 339.

Was nichts am Befund ändert, dass gerade junge Familien Leipzig Richtung Umland verlassen. Darüber berichteten wir schon am 28. April. Rund 900 Kinder unter 10 Jahren hat Leipzig 2018 durch diese Abwanderung ins Umland verloren. Wenn man von 1,5 Kindern pro Familie ausgeht, sind das 2.200 junge Menschen, die Leipzig an die beiden angrenzenden Landkreise „verlor“. Denn dort ist man natürlich froh, weil diese Leipziger Abwanderung dazu führt, dass sich die realen Bevölkerungsverluste in den beiden Landkreisen deutlich verringern.

Also nehmen wir uns das Thema gleich im nächsten Beitrag vor.

Bevölkerungsentwicklung: Leipzigs Statistiker rechnen fest mit der 600.000 im Herbst

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