Was bringen eigentlich die ganzen immer neuen Umfragen zur Demokratie, ihrer Akzeptanz und dem Misstrauen der Bürger in ihre Funktionsweise? Das SINUS-Institut hat in Kooperation mit YouGov jetzt eine neue Studie anlässlich des Tages der Demokratie am 15. September vorgelegt. Und meint – nach Auswertung der Umfrage bei rund 2.000 Personen: „Die Hälfte der Deutschen sieht die Demokratie in Gefahr“. Was ja irgendwie zu all den anderen Untergangsphantasien passt, die derzeit publiziert werden.

Etwa vom „Spiegel“, der am Donnerstag, 12. September vermeldete: „Deutschlands Angst vor dem Abstieg“. Nicht nur die R+V-Versicherung hat ja wieder ihr alljährliches Tableau der Ängste veröffentlicht (und dabei festgestellt, dass das Angstlevel der Deutschen seit 20 Jahren nie so niedrig war). Jetzt hat auch noch der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) seinerseits Stimmung gemacht. Die hat das Institut Allensbach nachfragen lassen, wie die Erwerbstätigen die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands einschätzen. Nicht überraschend: Gerade die Bessergestellten und Besserverdiener haben die größten Ängste, dass es abwärts geht.

Sie sitzen freilich auch in den Chefredaktionen und geben die Musik vor für Deutschland.

Kein Wunder also, dass man sich manchmal so vorkommt, als kämen diese Hamburger Nachrichten aus einem völlig anderen Land. Einem Land, das keine Herausforderungen vor sich hat und in dem die ganzen überbezahlten Entscheider den Tag lieber unter der Bettdecke verbringen, in ihrem gepflegten Angst-Häuschen. Gegen diese Leute wirkt Angela Merkel wie ein Springinsfeld und Haudrauf.

Kein Wunder, dass das ganze Gerede über Demokratie dann auch so fruchtlos bleibt.

Denn Demokratie „ist“ nicht. Aber genau so wird sie von den Verwaltern ihres geliebten Wohlstands behandelt. Von politischen Parteien erst recht. Man suggeriert ja so gern, dass das real Existierende schon das Erreichbare ist. Dann kommt eine fette Mauer. Und dahinter kommt dann nichts mehr. Keine Zukunft, die es zu gestalten gilt.

Und was passiert, wenn selbst Parteien und maßgebliche Politiker allerweil den Eindruck vermitteln, alles sei gut, das Seiende sei auch das zu Erhaltende, mit den Bewohnern dieser Demokratie?

Sie fühlen sich im falschen Film, manche auch öffentlich verarscht.

Wie zufrieden sind Sie mit der Demokratie? Grafik: Sinus Institut
Wie zufrieden sind Sie mit der Demokratie? Grafik: Sinus Institut

Denn auch wenn es viele nicht wirklich wissen, ahnen doch die meisten, dass Demokratie keine Selbstbestätigungspolitik für Berufspolitiker und beratungsresistente Parteien ist. Sondern etwas völlig anderes.

Zum Beispiel ein sensibles Instrument, mit dem wirtschaftliche und soziale Veränderungen sich auch in veränderten politischen Konstellationen niederschlagen. Andere Zeiten brauchen andere politische Ansätze. Die Wähler wissen es.

Und erleben dann trotzdem, wie andere Optionen immer wieder gleich kassiert werden, wenn nur die Lobbyvereine der Reichen und Satten in ihren Medien eine lautstarke Kampagne gegen diese Zumutungen geritten haben. Wer regiert da eigentlich die ganze Zeit mit, ohne von irgendwem dazu legitimiert zu sein?

Und wieso sitzen diese Sendboten des Reichtums immer mit am Tisch, während Bürger amtlich gesagt bekommen, dass sie nicht gefragt sind, dass „business, stupid“ mehr gilt als sie? Lobbyismus ist seit Jahren Thema. Man kann Demokratie nicht als reinen Zustand denken.

Deswegen haben diese Demokratie-Umfragen ihre Tücken. Sie kratzen fast nur an der Oberfläche und spiegeln ein Unwohlsein, dessen Ursachen fast nie benannt werden. Was dann bekanntlich wieder denen in die Hände spielt, die die Demokratie nur zu gern stutzen oder gleich abschaffen würden.

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Hier die wesentlichen Erebnisse der Befragung in der Ãœbersicht:

Die Deutschen sind große Demokratie-Fans: Mehr als acht von zehn Deutschen (83 %) halten die generelle Idee der Demokratie für eine gute Sache, fast genauso viele (79 %) sind der Meinung, dass die Demokratie die beste Herrschaftsform für dieses Land ist. Allerdings stimmt knapp jeder zehnte Deutsche (9 % bzw. 10 %) diesen beiden Aussagen nicht zu und steht der Demokratie als Staatsform negativ gegenüber.

Zufriedenheit mit Demokratie spaltet die Bevölkerung – vor allem AfD-Wähler sind unzufrieden

Zwischen der generell positiven Demokratie-Bewertung und der wahrgenommenen praktischen Umsetzung besteht eine deutliche Diskrepanz. Bei der Frage, wie zufrieden die Befragten mit der tatsächlichen Demokratie in Deutschland sind, herrscht Uneinigkeit: Mehr als jeder Zweite (54 %) ist zufrieden damit, wie die Demokratie in der Bundesrepublik tatsächlich funktioniert, vier von zehn (40 %) sind hingegen unzufrieden. Bemängelt werden beispielsweise die Partizipationsmöglichkeiten der Bürger: Zwei Drittel (65 %) sind der Meinung, dass hier zu wenig Mitbestimmung beim Volk liegt, ein Drittel (34 %) ist der Meinung, dass ihre Wahlstimme kaum Auswirkung hat.

Die Zufriedenheit mit dem demokratischen Status Quo variiert deutlich zwischen den verschiedenen Wählergruppen: Grünen-Wähler sind am zufriedensten (79 %) mit der Funktionsweise der Demokratie in diesem Land. Auch Wähler der CDU/CSU (72 %), der SPD und der FDP (beide 64 %) sind positiv gestimmt. Schon deutlich abgeschlagen sind die Linken-Wähler (49 %). Von den AfD-Wählern ist gerade mal jeder Fünfte (19 %) zufrieden.

Rechtsextremismus gilt als größte Gefahr für die Demokratie

Eine knappe Mehrheit (53 %) sieht die Demokratie in Deutschland aktuell in Gefahr. Als eine der größten Gefahren für die Demokratie sehen die Befragten dabei vor allem Rechtsextremisten und -populisten (47 % bzw. 27 %). Mit Abstand folgen Migranten (27 %), Linksextremisten sowie die USA (jeweils 22 %). Die Befragten konnten aus einer Liste bis zu drei Gefahren auswählen. Knapp zwei Fünftel (38 %) sehen derzeit keine Gefahr für die Demokratie.

Jede Wählergruppe nimmt dabei unterschiedliche Bedrohungen wahr: Für AfD-Wähler sind Migranten (54 %), die Bundesregierung (37 %) und Linksextremisten (33 %) die größten Gefahren für unser demokratisches System. Für Grünen-Wähler sind es hingegen Rechtsextremisten (66 %) bzw. -populisten (49 %) sowie die USA (21 %).

Vier von zehn Deutschen sehen die Zukunft der Demokratie pessimistisch. Fast die Hälfte der Deutschen (48 %) ist der Ansicht, dass die Demokratie hierzulande gleich gut bzw. gleich schlecht funktioniert wie vor zehn Jahren. Ein Drittel (34 %) findet hingegen, dass die Demokratie vor zehn Jahren in einem besseren Zustand war.

Die Deutschen sind skeptisch, was die nächsten zehn Jahre für die deutsche Demokratie bringen werden: Vier von zehn Deutschen (41 %) erwarten keine Veränderung, fast genauso viele (38 %) rechnen allerdings mit einer Verschlechterung.

„Die Demokratie steht in Deutschland wie auch in anderen Ländern seit einigen Jahren vor neuen Herausforderungen“, sagt Peter Mannott, Team Manager Custom Research bei YouGov Deutschland. „Das wird auch von den Wählern so wahrgenommen und erzeugt Sorgen hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung. Diese Wahrnehmung gilt es als Herausforderung für Politik und Gesellschaft zu verstehen.“

Österreicher sind weniger um die Demokratie besorgt

Unsere österreichischen Nachbarn sehen die Demokratie in ihrem Land weniger stark in Gefahr als die Deutschen. Mit 39 % ist die Gruppe der Pessimisten deutlich kleiner als hierzulande (53 %). Das hat INTEGRAL Marktforschung für Österreich herausgefunden. Weiterhin zeigt sich, dass die Österreicher sich des Wertes ihrer Stimme etwas stärker bewusst sind: Mit 29 % sind etwas weniger Befragte der Ansicht, ihre Stimme sei nichts wert (vs. 34 % in Deutschland). Der Ausblick für die Demokratie im Lande fällt jedoch ähnlich aus – so rechnen mit 35 % etwa gleich viele wie in Deutschland mit einer Verschlechterung (vs. 38 % in Deutschland).

Exkurs: Die Parteiaffinität ist eine Frage des Milieus

Die Affinität für eine Partei hängt bei einigen Parteien eng mit dem sozialen Milieu der Wähler zusammen. Dies wird besonders am Beispiel der AfD- und Grünen-Wähler deutlich.

Manfred Tautscher, Geschäftsführer des SINUS-Instituts, erklärt anhand der Sinus-Milieus: „Unter AfD-Wählern finden sich besonders häufig veränderungsscheue Gruppen der unteren Mitte oder Unterschicht, z. B. das Sicherheit und Ordnung liebende Milieu der Traditionellen oder das um Orientierung und Teilhabe bemühte Milieu der Prekären. Diese Milieus fühlen sich von den Veränderungen in der Gesellschaft ausgeschlossen und haben das Gefühl, dass ihre Stimme nur wenig bewirkt.“

Die Grünen holten ihre Stimmen hingegen vor allem in jungen und modernen Milieus, z. B. im kreativ-kosmopolitischen Milieu der Expeditiven oder bei den Adaptiv-Pragmatischen, der modernen jungen Mitte der Gesellschaft. Laut Tautscher zeichnen sich diese Gruppen durch hohes Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten sowie entsprechend großen Zukunftsoptimismus aus.

Weiterhin verdeutliche die Sinus-Milieu-Analyse die Profillosigkeit der SPD, denn die Sozialdemokraten können aktuell kein gesellschaftliches Milieu überdurchschnittlich stark von sich überzeugen.

Zeigt die R+V-Panelstudie tatsächlich die Ängste der Deutschen oder nur die Folgen medialer Angstproduktion?

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Der Artikel paßt zum “Schwarzen Freitag, den 13.”.
Dort sind die Feinde der Demokratie zu verorten. Sie bereiten der AfD & Co. den Boden.
Das “die Wirtschaft” dem Menschen zu dienen hat, war schon immer eine hohle, leere Phrase. Inzwischen jedoch ist das Gegenteil das Mantra.

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