Migration ist kein statischer Vorgang. Auch dann nicht, wenn Menschen aus anderen Ländern in Leipzig heimisch geworden sind und sich hier eine Existenz aufbauen. Was man oft genug vergisst, wenn man den öffentlichen Stereotypen über Ausländer begegnet, die immer wieder als homogene Masse dargestellt werden, obwohl es Menschen sind wie wir, die genauso bestrebt sind, die Sprache zu erlernen, sich Bildung anzueignen und eine gute Arbeit zu finden. Die neueste Befragung der Stadt macht das deutlich.

Am Dienstag, 14. Dezember, legte das Referat Migration und Integration diese neueste Befragung unter Leipziger/-innen mit Migrationshintergrund vor.Der erste Aspekt erzählt natürlich davon, wie sich Leipzig durch die Zuwanderung verändert: Leipzig wird immer internationaler. Zum Jahresende 2020 lebten 96.719 Personen mit einem Migrationshintergrund in der Stadt. Das entspricht einem Anteil von 16 Prozent an der Bevölkerung.

Um Näheres über die Lebenslagen dieser sehr heterogenen Bevölkerungsgruppe zu erfahren, hat die Stadt Leipzig von November 2020 bis Februar 2021 im Rahmen einer Befragung umfangreiches Datenmaterial erhoben. Die Befragung ist nach 2016 die zweite dieser Art in Leipzig.

Die nun vorliegenden Ergebnisse geben Auskunft zur soziodemografischen und sozioökonomischen Situation dieser Bevölkerungsgruppe. Sie sind eine wichtige Datengrundlage für städtische Planungen und für die Ausrichtung von Integrationsmaßnahmen.

Bisher fehlen Daten zur soziodemografischen und sozioökonomischen Situation der Leipziger migrantischen Bevölkerung, die für städtische Planungen und zur Ausrichtung von Integrationsmaßnahmen wichtig sind.

Um diese Lücke zu schließen, sind die Befragungsergebnisse der nun abgeschlossenen Migrantenbefragung ein wichtiger Baustein. Gleichermaßen kann ein Meinungsbild der Migrantinnen und Migranten zu wichtigen städtischen Themen wiedergegeben werden.

Auch in Leipzig gibt es Diskriminierungserfahrungen

„Mit dieser zweiten Migrantenbefragung haben wir eine erste Möglichkeit, Vergleiche zur Situation von vor vier Jahren zu ziehen“, erläutert die Leiterin des Referates Migration und Integration, Manuela Andrich.

„Leipzig ist in dieser Zeit noch internationaler geworden. Ein Einblick in die Lebenssituation der in Leipzig lebenden Migrantinnen und Migranten ermöglicht eine zielorientierte Entwicklung von Maßnahmen, die besser auf den Bedarf der Menschen mit internationaler Geschichte in Leipzig zugeschnitten sind. Die in der Befragung erwähnten Benachteiligungs- und Diskriminierungserfahrungen wiegen schwer, insbesondere in einer Stadt, die sich als weltoffen bezeichnet. Hier gilt es, sich für eine Gesellschaft der Offenheit und für ein Vielfaltsbewusstsein starkzumachen, vornehmlich auch vor dem Hintergrund der derzeitigen pandemischen Krisensituation“, resümiert die Integrationsbeauftragte der Stadt.

Spannend dabei ist auch ein Thema, das in der medialen Diskussion oft sehr verquer daherkommt: die Erwerbssituation der Migranten. Der Bericht stellt dazu eindeutig fest: „Über die Hälfte der Leipziger Migrantinnen und Migranten geht einer Erwerbstätigkeit nach. Insgesamt ist eine Erwerbstätigkeit bei Migrantinnen und Migranten damit ähnlich verbreitet, wie bei der deutschen Vergleichsbevölkerung.“

Erwerbssituation der Leipziger/-innen mit Migrationshintergrund. Grafik: Stadt Leipzig
Erwerbssituation der Leipziger/-innen mit Migrationshintergrund. Grafik: Stadt Leipzig

Also nichts da mit der rechtsradikalen Parole von der „Einwanderung in die Sozialsysteme“. Auch wenn es Menschen aus unterschiedlichen Regionen auch unterschiedlich schwerfällt, auf dem hiesigen Arbeitsmarkt eine Arbeit zu finden.

Hohe Erwerbsrate, niedrige Einkommen, beengte Wohnverhältnisse

Der Bericht beschreibt es sogar sehr konkret: „Etwa die Hälfte der Migrantinnen und Migranten sind erwerbstätig. 11 Prozent der Befragten geben an, in Deutschland noch nicht auf Arbeitssuche gewesen zu sein. 42 Prozent aller Leipziger Migrantinnen und Migranten berichten von Problemen bei der Arbeitssuche in Deutschland.

Probleme bei der Arbeitssuche treten bei männlichen und weiblichen Befragten gleichermaßen auf. Die Mehrheit der erwerbstätigen Migrantinnen und Migranten arbeitet entsprechend der erworbenen Qualifikation. Problematisch sieht die Situation in der Herkunftsgruppe Fernost sowie den OIC-Ländern und Syrien aus.“

Hier kommen vor allem Sprachbarrieren und Qualifikationshemmnisse zum Tragen. Aber wenn das Einkommen nicht reicht, nehmen viele Migranten auch noch weitere Tätigkeiten auf: „88 Prozent der Befragten geben einen einzigen Erwerbsstatus an, 12 Prozent kreuzten neben einem Haupterwerb (einen oder mehrere) weitere Erwerbsstatus an. In der deutschen Vergleichsbevölkerung geben nur 5 Prozent mehrere Erwerbsstatus an.“

Leicht gemacht wird es vielen Menschen mit Migrationshintergrund nicht. Aber sie lassen sich davon nicht einschüchtern: „Trotz teilweiser Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt und unterdurchschnittlicher Einkommensverhältnisse ist die Lebenszufriedenheit der Migrantinnen und Migranten, wie bereits im Jahr 2016, ausgesprochen hoch und auch höher als bei der deutschen Vergleichsbevölkerung. 82 Prozent der Migrantinnen und Migranten sind mit ihrem Leben (sehr) zufrieden, 80 Prozent schauen (eher) optimistisch in die Zukunft.“

Aber in einer Stadt, in der es in vielen wichtigen Branchen längst an Fachkräftenachwuchs fehlt, erleben natürlich auch Migranten, dass sich für sie Jobangebote und Einkommen verbessern.

Genau das ist seit 2016 sogar passiert, wie der Bericht zeigt: „Der Median des Nettoäquivalenzeinkommens der befragten Migrantinnen und Migranten liegt im Mittel mit ca. 1.220 Euro (Median) um ca. 370 Euro niedriger als bei der deutschen Vergleichsbevölkerung. Diese Differenz ist jedoch im Vergleich zu 2016 gesunken. Vor vier Jahren hatten Migrantinnen und Migranten noch ein im Mittel ca. 525 Euro niedrigeres Nettoäquivalenzeinkommen.“

Damit gehören viele Migranten immer noch zu den Leipziger/-innen mit den niedrigsten Einkommen. Was dann eben auch bedeutet, dass sie auch deutlich beengter wohnen als der Leipziger Durchschnitt: „Die Wohnverhältnisse sind bei Leipziger Migrantinnen und Migranten im Mittel deutlich beengter als bei der deutschen Vergleichsbevölkerung.

Migrantinnen und Migranten stehen im Mittel 31,8 m² (pro Kopf) zur Verfügung, der deutschen Vergleichsbevölkerung 46,4 m². Die beengtesten Wohnverhältnisse lassen sich wiederum für die Herkunftsgruppen feststellen, die am ehesten in prekären Einkommensverhältnissen leben. Migrantinnen und Migranten aus den OIC-Ländern und Syrien sowie aus Fernost stehen im Durchschnitt weniger als 30 m² pro Kopf zur Verfügung.“

Bildung, Ehrenamt, Kontakte

Aber gleichzeitig zeigt die Befragung, dass die durchschnittliche Bildungszeit der migrantischen Bevölkerung in den vier Jahren deutlich gestiegen ist: „Im Durchschnitt haben die Leipziger Migrantinnen und Migranten knapp 11,5 Jahre eine Schule bzw. eine Bildungseinrichtung besucht. Im Jahr 2016 lag dieser Wert noch bei 10,9 Jahren.

Ein starker Zuwachs an Bildungsinvestitionen lässt sich für die Herkunftsgruppe OIC-Ländern und Syrien feststellen. Von 9,6 Jahren Verweildauer im Bildungssystem (2016) geben die Befragten aktuell 10,7 Jahre (+1,1 Jahre) an. Auch die realisierte Bildungszeit der Leipzigerinnen und Leipziger aus Südeuropa ist von 11,3 auf 12,3 Jahre relativ stark gestiegen.“

20 Prozent der Befragten geben an, in einem Verein, Verband, einer ehrenamtlichen Initiative oder einer Partei aktiv zu sein. Die beliebtesten Partizipationsmöglichkeiten bieten Vereine und Verbände, 14 Prozent der Migrantinnen und Migranten besitzen eine entsprechende Mitgliedschaft. Acht Prozent engagieren sich in einer ehrenamtlichen Initiative, während nur zwei Prozent Mitglied in einer Partei sind.

65 Prozent der Migranten haben auch einen Bekanntenkreis, in dem sie regelmäßig deutsche Mitbürger treffen. Andere haben diese Begegnungen auf der Arbeit (57 Prozent) und in der Nachbarschaft (58 Prozent), leben also auch nicht wirklich isoliert. Fehlende Kontakte mit Deutschen geben nur 7 Prozent der Befragten an.

Die Werte zu diesen Kontakten korrespondieren natürlich auch mit der Frage, ob das Auskommen mit den deutschen Mitbürgern als gut empfunden wird.

Mit Abstand am häufigsten genannt werden kommunale Probleme, die sich dem Thema Verkehr zuordnen lassen: 45 Prozent aller Migrantinnen und Migranten nennen Aspekte aus diesem Themenkomplex. Auch in der Kommunalen Bürgerumfrage 2020 wurde unter den Befragten mit deutscher Staatsangehörigkeit mit 47 Prozent ein ähnlich hoher Wert ermittelt.

Pandemiebedingt wurde die Befragung kontaktlos über einen Mix aus Online-Befragung, schriftlicher Befragung und Telefoninterviews realisiert. Für die Befragung standen 19 verschiedene Sprachvarianten des Fragebogens zur Verfügung. Die Ergebnisse repräsentieren die 25 zahlenmäßig stärksten Herkunftsgruppen in Leipzig.

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