Da es in der Bundesrepublik keinen belastbaren Datenabgleich zwischen den Einwohnemeldebehörden gibt, da das aus Datenschutzgründen verboten ist, muss die offizielle Einwohnerzahl in größeren Abständen mit einem aufwändigen Verfahren ermittelt werden, das seine Schwachstellen hat. Sinnvoll wäre zwar eine offizielle Bevölkerungszählung. Aber um sich diesen finanziellen Aufwand zu sparen, versuchen es die Bundesstatistiker mit einer Stichprobe, die hochgerechnet wird – dem Zensus. Aber der jüngste Zensus 2022 kostete auch Leipzig wieder 23.000 Einwohner.
Das ist eine komplette Kleinstadt und bedeutet für eine Stadt wie Leipzig eine Menge Geld. Denn nach der Bevölkerungszahl richten sich fast alle Zuweisungen, die die Stadt von Bund und Land bekommt. Logisch, dass die Stadt sofort nach Bekanntgabe der Zensus-Ergebnisse in Widerspruch gegangen ist. Denn das Geld fehlt vor allem im sozialen Bereich. Und damit ist Leipzig nicht allein.
„Die neu ermittelten Eckwerte bzw. Bevölkerungszahlen weichen von der bisher gültigen Bevölkerungszahl ab“, hatte das Bundesamt für Statistik zu den Zensus-Ergebnissen erklärt. „Der registergestützte Zensus hat gezeigt, dass am 15. Mai 2022 in Deutschland 1,4 Millionen Menschen weniger lebten als nach bisheriger Fortschreibung (-1,6 %). Insbesondere die Gruppe der Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit ist nach den neuen Bevölkerungszahlen im Vergleich zur vorherigen Fortschreibung kleiner (-1 Million, -8,1 %).“
Warum macht es Leipzig nicht wie Halle?
Gut möglich, dass die enorme Zahl einfach durch nicht erfolgte Ab- und Ummeldungen entsteht. Was aber nicht heißt, dass die Hochrechnung tatsächlich die Realität abbildet. Für Städte wie Leipzig ist es so oder so ein Problem, denn auch ohne diese „Korrektur“ der Bevölkerungszahl reicht das Geld hinten und vorne nicht. Da sollte die Stadt doch wenigstens prüfen, ob die Leipziger Ergebnisse im Zensus so stimmen könnten, beantragte die Grünen-Fraktion im Leipziger Stadtrat.
„Die Ergebnisse des Zensus 2022 liegen seit Juni bundesweit vor. Danach hatte Leipzig zum Stichtag 15. Mai 2022 insgesamt 598.899 Einwohner/-innen. Hochgerechnet auf Juni 2024 bedeutet dies auf Basis des Zensus eine aktuelle Bevölkerungszahl von 607.000. Damit leben laut Zensus in Leipzig rund 20.000 Menschen weniger als das Melderegister ausweist“, schrieb die Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen in ihrem Antrag.
„Aufgrund der Methodik des Zensus besteht grundsätzlich Zweifel an der Plausibilität der Hochrechnungen. Es ist begründet anzunehmen, dass auch bei auftretenden Ungenauigkeiten bei der Pflege des Melderegisters die stadteigenen Daten genauer sind als die statistischen Hochrechnungen. Zum Problem wird es für die Stadt Leipzig, da sich die Finanzzuweisungen vom Freistaat auf Basis der Zensusdaten berechnen. Das Land Rheinland-Pfalz geht da einen anderen Weg und zieht als Berechnungsgrundlage die Daten der Melderegister heran. Dies scheint aus unserer Sicht ein gerechter Weg, um die Kommunen nicht ungerechtfertigter Weise zu benachteiligen. Hierzu sollten gegenüber dem Freistaat Kriterien erörtert werden, wie die Daten des Melderegisters einer Plausibilitätsprüfung unterzogen werden können. Hinweise dafür können u.a. der Aktion ‘Halle (Saale) zählt selbst’ der Stadt Halle (Saale) entnommen werden.“
Die Stadt Halle macht das, was eigentlich bei einer regulären Bevölkerungszählung passieren müsste: Sie hat Briefe an alle Haushalte verschickt, um haushaltkonkret die tatsächlichen Zahlen zu ermitteln.
In Halle geht es dabei um 15 Millionen Euro an Finanzzuweisungen. In Leipzig noch um eine ganz Menge mehr.
Leipzig prüft noch
Zumindest die Möglichkeit des Widerspruchs hat Leipzigs Verwaltung inzwischen genutzt, antwortet nun das Verwaltungsdezernat auf den Antrag der Grünen: „Die Stadt Leipzig hat mit Schreiben vom 21.10.2024 bereits fristwahrend Widerspruch gegen den Feststellungsbescheid des Statistischen Landesamtes zur Feststellung der amtlichen Einwohnerzahl auf Grundlage des Zensus 2022 erhoben. Es wurde Akteneinsicht beantragt. Der fristgemäße Eingang des Widerspruchs wurde seitens des Statistischen Landesamtes bestätigt und Akteneinsicht gewährt. Diese wird gerade durchgeführt. Auf Grundlage der Akteneinsicht und der weiteren statistisch-methodischen Prüfung der Ergebnisse des Zensus sollen anschließend die Erfolgsaussichten des Widerspruchs und eines möglichen anschließenden Klageverfahrens bewertet und über das weitere Vorgehen entschieden, ggf. eine Widerspruchsbegründung erarbeitet werden.“
So führt der ziemlich altertümliche Umgang Deutschlands mit den Daten seiner Bevölkerung dazu, dass die Kommunen sich wieder in zeitfressende Prüf- und Widerspruchsverfahren verstricken, ohne dass absehbar ist, ob das am Ende zu einer Korrektur führt oder gar die finanziellen Ausfälle kompensieren kann.
„Im Rahmen des Widerspruchs und eines etwaigen Klageverfahrens ist eine detaillierte Prüfung der Methodik der Zensuserhebung erforderlich“, betont das Verwaltungsdezernat. „Etwaige Unregelmäßigkeiten in der Ermittlung der amtlichen Einwohnerzahl für Leipzig durch den Zensus 2022 werden derzeit ebenso geprüft, wie die Validierung der Einwohnerzahl durch alternative Quellen und insbesondere das Melderegister der Stadt Leipzig. Nach Abschluss der Prüfung erfolgt eine Begründung des Widerspruchs und die Abwägung weiterer Schritte.“
Noch befinde man sich in einer „methodischen und rechtlichen Bewertung einer etwaigen Klageerhebung und -begründung“, erklärt das Verwaltungsdezernat, nennt aber noch keinen Termin, wann man eventuell ein belastbares Prüfergebnis vorlegen kann.
Empfohlen auf LZ
So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:
Es gibt 2 Kommentare
@Rudi
Selbst die Hauseigentümer wissen oft nicht genau, wer in ihren Wohnungen wohnt. Den Wohnberechtigungsschein für die Meldestelle darf auch der Mieter ausstellen. Es gibt einfach in Deutschland kein sicheres Meldeverfahren. Ohne Aushebeln des Datenschutzes sicher auch nicht machbar.
“Halle zählt selbst” hat den Vorteil, dass man am Ende weiß, wen man aus dem Melderegister streichen muss. Das ist im Prinzip auch der einzige Vorteil der Briefaktion.
Was man bedenken muss: Nur weil jemand auszieht, ändert sich nicht automatisch die Beschriftung des Briefkastens – selbst dann nicht, wenn alle Personen mit den Namen aus der Räumlichkeit ausgezogen sind. Der Brief kann dann noch zugestellt werden und die Person(en) werden entsprechend nicht aus dem Melderegister gestrichen.
In Halle kam noch erschwerend hinzu, dass der unfähigste Dienstleister den Auftrag erhielt und sehr viele Menschen dann eben keinen Brief. Das Problem dürfte auch in Leipzig auftreten, wenn man diese Aktion durchführt, weil der günstigste Anbieter den Auftrag erhält, sofern er noch nicht auf der Block-Liste steht. Jeder Brief, der zurückkommt, muss dann noch mal gesondert vor Ort geprüft werden. In Halle waren das fast 5.000 Personen. Generell wäre es notwendig, wenn Leipzig immer mal wieder Hauseigentümer anschreibt und nachfragt, wer dort wohnt. Das ist zwar auch nur ein Stichprobenverfahren, führt aber dazu, dass das Melderegister etwas aktueller ist.
https://dubisthalle.de/zensus-halle-hat-selbst-gezaehlt-4-470-ruecklaeufer-werden-ueberprueft-stadt-rechnet-mit-109-millionen-euro-weniger