"Wegen des Tatvorwurfs der gemeinschaftlichen Untreue" müssen sich demnächst vier Mitarbeiter des städtischen Rechtsamtes und zwei Rechtsanwälte vor dem Landgericht Leipzig verantworten. Das teilte am Freitag, 27. Juli, die Staatsanwaltschaft Leipzig offiziell mit. Anhaltspunkte für korruptes Verhalten hätten sich nicht ergeben, heißt es in der Mitteilung weiter.

Nun ist es amtlich. In der Affäre um die vermeintlich Herrenlosen Häuser sieht die Staatsanwaltschaft Leipzig bei vier Mitarbeitern des städtischen Rechtsamtes und zwei Rechtsanwälten, die als Gesetzliche Vertreter tätig wurden, den Tatvorwurf der gemeinschaftlichen Untreue für gegeben an. “Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass die Angeschuldigten ihre Vermögensbetreuungspflichten in den angeklagten Fällen aus unbekannten Gründen wissentlich verletzt und dass sie die dadurch den betroffenen Grundstückeigentümern bzw. deren Rechtsnachfolgern und der Stadt Leipzig entstandenen Schäden zumindest billigend in Kauf genommen haben”, teilte die Staatsanwaltschaft am Freitag mit. Deshalb hat sie nun Anklage beim Landgericht Leipzig erhoben. Dass es so kommen wird, hatten Medien seit Dienstag dieser Woche berichtet.

Im Rechtsstaat muss ein Tatvorwurf im Einzelfall begründet werden. Und das ist auch gut so. Für die Staatsanwaltschaft Leipzig steht nun fest: In insgesamt sechs Fällen hätten die Angeklagten gesetzliche Vertreter bestellt und durch diese abgeschlossene Kaufverträge genehmigt, “obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen, wie sie wussten, hierfür nicht vorlagen”. Das heißt im Umkehrschluss: Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft kann in diesen Fällen von Unkenntnis über oder das Fehlen eines tatsächlichen Eigentümers der betreffenden Grundstücke keine Rede sein.

Weil es jeweils nur um konkrete Grundstücksfälle gehen kann, trägt die Staatsanwaltschaft ihre Vorwürfe auch individuell abgestuft vor. Gegen eine ehemalige Mitarbeiterin des Rechtsamtes gehe es um Untreue in einem Fall und bei den anderen Mitarbeitern um Anklagen in drei, fünf oder sechs Fällen.
“Den beiden angeschuldigten Rechtsanwälten wird vorgeworfen, in je einem dieser Fälle als gesetzlicher Vertreter Grundstücke verkauft zu haben, obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür, wie sie wussten, nicht vorlagen”, teilt die Staatsanwaltschaft weiter mit.

Justiziabel sind nach Ansicht der Anklagebehörde zudem 43 Fälle des Zurückhaltens der Zinsen bei Auszahlung der verwahrten Kaufpreiserlöse. Das wird drei Rechtsamtsmitarbeitern zur Last gelegt, die im Herbst 2011 noch im Rathaus tätig waren.

Wie kulant der Investitionsvorrang im Leipziger Rathaus gehandhabt wurde, beweist auch, dass in 173 Fällen die investitionsbereiten Interessenten an fremden Grundstücken nicht die zu erhebende Verwaltungsgebühr begleichen mussten. Das begründet für die hiesige Staatsanwaltschaft gegen einen der Rathausmitarbeiter den Tatvorwurf der Untreue zu Lasten der Stadt Leipzig.
In allen anderen Fällen sei der Staatsanwaltschaft der Tatnachweis der Untreue nicht möglich gewesen. Zugleich gilt für diese Taten eine Verjährungsfrist von fünf Jahren.

Dann der Satz, der manchen in Leipzig aufatmen lassen wird: “Tatsächliche Anhaltspunkte für korruptes Verhalten der Angeschuldigten haben die abgeschlossenen Ermittlungen nicht ergeben.”

Insofern darf man gespannt sein, ob in den anstehenden Gerichtsverhandlungen deutlich wird, warum es über die Jahre zu so vielen Fällen eines bedenklichen Umgangs mit privatem Eigentum kam. “In 565 Fällen findet sich in den Akten kein Hinweis auf eine Eigentümerrecherche durch das Rechtsamt selbst”, musste die Stadtspitze am 29. März 2012 selbst einräumen. Diese Aussage tätigte sie nach Sichtung von insgesamt 754 Aktenvorgängen rund um die vermeintlich herrenlosen Häuser.

Antworten der Stadtverwaltung: FDP-Stadtrat fällt vom Glauben ab

Dass die Leipziger Verwaltungsspitze selbst den Gesamtzusammenhang aufhellen kann, daran glaubt FDP-Stadtrat René Hobusch ohnehin nicht mehr. Nach seiner Ansicht hat die Dienst- und Fachaufsicht der Stadt Leipzig über das Rechtsamt über Jahre systematisch versagt, und damit auch die Organisationshoheit des Oberbürgermeisters.

“Die Verwaltung musste auf unsere Anfrage einräumen, dass das Rechtsamt seit 2009 Kenntnis von drei Haftungsfällen hatte und bereits in Gesprächen mit dem Kommunalen Schadensausgleich stand”, erklärte Hobusch nach der Lektüre der Antworten, die ihm die Stadtverwaltung auf seine Fragen zur letzten Ratsversammlung zustellte. “Offenbar ließen sich die Fälle nicht mehr in der Zuständigkeit des Rechtsamtes regulieren, so dass im Januar 2011 Bürgermeister Müller informiert wurde”, schildert Hobusch weiter.

So kommt der Liberale zu dem Schluss: “Damit wusste Andreas Müller nachweislich weit vor den ersten Medienberichten von eventuellem Fehlverhalten im Rechtsamt.” Hobusch gibt sich entsetzt darüber, dass Müller nach besagten MDR-Berichten im Juli 2011 von bedauerlichen Einzelfällen gesprochen habe.

Gegenüber den Liberalen habe der Verwaltungsbürgermeister zudem einräumen müssen, dass er im März 2011 den städtischen Antikorruptionskoordinator eingeschaltet habe. Da ist dann doch wieder: das K-Wort. “Offenbar war Andreas Müller sehr wohl klar, welche Dimension hinter den Haftungsfällen stecken kann”, folgert Hobusch, “denn nur so macht die Einschaltung des Antikorruptionskoordinators überhaupt Sinn”.

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