Es war ein wichtiger Antrag, den die Grünen-Fraktion im März im Stadtrat stellte: Sie forderte eine ganzjährige Bürgerbeteiligung an der städtischen Haushaltsplanung. Vier Monate ließ sich die Verwaltung Zeit, über den Antrag nachzudenken. Findet ihn eigentlich so schlecht nicht. Kommt aber auf ganz seltsame Gedanken dabei.

Denn Bürgerbeteiligung heißt auch Öffentlichkeit. Aber wie machen? Wie macht man die Leipziger aufmerksam darauf, dass sie fragen und mitdiskutieren dürfen? – Plakate und Flyer fielen den Grünen ein. Und die alte Tante LVZ.

“Verwaltung spricht erstmals selbst von Bürgerbeteiligung und demokratischem Grundverständnis”, freut sich Grünen-Stadtrat Ingo Sasama. “Wir begrüßen die Fortschritte im Denken und Handeln, die die Verwaltung im Bereich Bürgerbeteiligung inzwischen gemacht hat. Sie gehen definitiv in die richtige Richtung!”

Torsten Bonew, Leipzigs Finanzbürgermeister, hat geantwortet. Die Antwort ist komplex und man sieht, dass er sich sehr wohl Gedanken gemacht hat und mit der Präsentation des ersten doppischen Haushalts im vergangenen Jahr auch nicht so zufrieden war. Er führt gleich mehrere Kontaktmöglichkeiten an. Die Leipziger können ja jederzeit nachfragen – unter dezernat-finanzen@leipzig.de oder kaemmerei@leipzig.de zum Beispiel. Sie können sich auch an der “ZukunstWerkstatt – Leipzig weiter denken” beteiligen, in seine Bürgersprechstunden kommen, wo er Fragen direkt beantwortet.

Und dann kommt er auf eine ganz verrückte Idee: “Parallel zum regulierten Verfahren der Bürgereinwände zum Haushalt wird das Dezernat Finanzen den Haushalt 2013 erstmals bei Facebook zur Diskussion stellen.”

Oha. Da fällt einem die Kinnlade herunter. Hat niemand dem quirligen Bürgermeister erzählt, was im privaten Netzwerk Facebook mit den Daten der Akteure passiert? Wie es da überhaupt mit Datenschutz aussieht?

Ist ja nicht so, dass die Stadt Leipzig mit Bürgerdiskussionen im Internet keine Erfahrungen hätte. Eben gerade wurde – wenn wohl auch nicht mit dem erwarteten Ergebnis an Zustimmung – die Online-Diskussion zum geplanten Denkmal auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz beendet. Zur Lärmaktionsplanung durften die Leipziger ebenfalls online ihre Vorschläge und Kritikpunkte äußern.

Es ist also nicht so, dass Leipzig bei Facebook diskutieren muss, weil es anderswo nicht ginge. Schon gar über Finanzen.Ingo Sasama sieht die Äußerung der Verwaltung als kleinen Fortschritt: “Die Antwort der Verwaltung auf unseren Antrag zur Verbesserung der Bürgerbeteiligung an der jährlichen Haushaltsplanung ist ein Schritt nach vorn. Dass die Bürgerbeteiligung mit zum demokratischen Grundverständnis gehört, hat inzwischen auch die Verwaltung begriffen. So freuen wir uns, dass die Stadtverwaltung und, sehr positiv ist hier die Rolle von Finanzbürgermeister Bonew zu erwähnen, einigen unseren Vorschlägen positiv gegenüber steht und Transparenz schafft.”

So soll es den Bürgerinnen und Bürgern unter anderem erstmals ganzjährig möglich sein, Fragen zum Haushaltsplan zu stellen. Der Bürgermeister für Finanzen wird im Zuge der Haushaltseinbringung seine Bürgersprechstunde durchführen. Die Dauer der Auslegung des Haushaltsplanentwurfes wird auf zehn Werktage erweitert. Zusätzlich dazu soll im Zuge der Fördermaßnahme “ZukunftsWerkStadt – Leipzig Weiter Denken” ein interaktiver Dialog angeboten werden. Dort sollen öffentlich gestellte, schriftliche Fragen, Anregungen und Beschwerden ebenso öffentlich und schriftlich von der Verwaltung bzw. dem/der verantwortlichen Moderator/in beantwortet werden.

“Was aber als ein wirklicher Fortschritt zu bewerten ist, ist, dass allen BürgerInnen in Zukunft die bisher nur dem Stadtrat zur Verfügung stehenden Detailinformationen und detaillierten Einnahmen- und Ausgabeplanungen der einzelnen Ämter öffentlich zugänglich gemacht werden. Damit sind alle geplanten Einnahmen und Ausgaben wieder umfassend und vor allem vollständig nachvollziehbar”, erklärt Ingo Sasama, verwaltungspolitischer Sprecher der Fraktion.

Dass nun ausgerechnet Facebook in der Antwort der Stadtverwaltung auftaucht, findet er freilich nicht so modern. “Wir selber hatten in unserem Vorschlag geschrieben, den Online-Dialog in Eigenregie der Stadt aufzunehmen”, sagt er. “Die Welle bei Facebook ist doch eigentlich vorbei und mit jedem Skandal werden immer mehr Leute dort ihren Account aufgeben.” Dass die Verwaltungsspitze jetzt ohne jede Not politische Diskussionen bei Facebook initiieren will, sieht er zumindest kritisch. Diskussionen über die Lieblingsbücher von Besuchern der Stadtbibliothek seien da durchaus unbedenklich.

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Aber jetzt will die Stadtverwaltung die Diskussion über den Leipziger Haushalt in der privaten Community veranstalten. Dass die Verwaltung damit den eigentlichen Kerngedanken des Grünen-Antrags einfach vom Tisch wischt, findet er schon schmerzhafter. Denn so hätte eine Diskussion der Leipziger über ihren städtischen Haushalt wirklich Sinn, ohne sie zu zwingen, nun auch noch Mitglied in einem obskuren Netzwerk zu werden.

Der Vorschlag: “Die Fraktion Bündnis90/Grüne plädiert daher für die Einrichtung eines Internetforums und der Nutzung des Mittels Bürgerversammlung nach Gemeindeordnung. Dieses Internetforum soll den Bürgern der Stadt Leipzig, nach einmalig erfolgter Anmeldung, zur

freien Nutzung angeboten werden. Es soll eine Plattform für ein konstruktives Ideen- & Beteiligungsmanagement zur Haushaltsplanung sein. Dort sollen öffentlich gestellte, schriftliche Fragen, Anregungen und Beschwerden ebenso öffentlich und schriftlich von der Verwaltung bzw. dem/der verantwortlichen Moderator/in beantwortet werden.”

“Einrichtung eines Internetforums ‘Haushalt-Leipzig.de’ auf der Startseite von leipzig.de”, steht gleich ganz oben im Antrag. Da dann auf Facebook zu verfallen, zeugt schon von amtlicher Verweigerung.

Der Grünen-Antrag vom 7. März als PDF zum download.

Die Antwort der Stadtverwaltung vom 17. Juli als PDF zum download.

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