In der vergangenen Woche legte das Leipziger Amt für Statistik und Wahlen nicht nur den dritten Quartalsbericht für Leipzig für das Jahr 2013 vor, sondern auch den Ergebnisband zur Bundestagswahl 2013. Am Ergebnis ändert sich dadurch natürlich nichts. Auch am Stimmenverlust für all jene, die sich mehr erhofft hatten. Eine Erklärung für das Wahlergebnis steht natürlich auch nicht drin. Außer für einen Aspekt.

Und das ist die Frage, warum die CDU in Leipzig seit der letzten Bundestagswahl 2009 sogar noch deutlich dazugewinnen konnte. Man findet sie auf Seite 42, wo Leipzigs Statistiker die Wählerwanderung ein wenig unter die Lupe genommen haben. Denn nicht alle Wähler kreuzen ja zu jeder Wahl dieselbe Farbe an. Es sind auch nicht immer dieselben, die auch wählen gehen. Selbst die Bevölkerungsfluktuation in einer Großstadt wie Leipzig spielt eine Rolle. In diesem Jahr sogar eine erstaunlich große.

Denn die CDU profitierte in Leipzig zur Bundestagswahl im September gleich von zwei Effekten. Der erste Effekt war deutschlandweit sichtbar. Nach vier Jahren Regierungsbeteiligung der FDP im Bund liefen der FDP reihenweise die Wähler davon. Viele Leipziger Wähler, die 2009 noch bei der FDP ihr Kreuz gemacht hatten, machten diesmal bei der CDU ihr Kreuz. 2009 machten noch 33.461 Leipziger bei der FDP ihr Kreuz, 2013 waren es nur noch 8.611. 10.600 Wähler wanderten direkt in Richtung CDU ab, 3.500 zur SPD.

Das ist der eine Effekt, der die Stimmenzahl der CDU bei den Zweitstimmen von 75.775 auf 100.034 katapultierte und Leipzigs CDU-Vorsitzenden Robert Clemen jubeln ließ.

Der zweite Effekt ist ein direktes Ergebnis des Leipziger Bevölkerungswachstums. Immerhin hat Leipzigs Bevölkerung seit 2009 um über 30.000 Einwohner zugenommen. Die meisten davon stammen aus den umliegenden ländlichen Regionen. Und es sieht ganz so aus, als hätten viele dieser Zuwanderer auch ihre Wahlpräferenzen mitgebracht. Denn 7.700 Stimmen hat die Leipziger CDU diesmal von Wählern dazu bekommen, die durch “Ortswechsel” nach Leipzig kamen. Und es gelang der CDU noch stärker als allen anderen Parteien, Nichtwähler zum Gang an die Urne zu motivieren – sie erhöhten das Zweitstimmenergebnis in Leipzig um weitere 5.200 Stimmen.

Geholfen hat der Leipziger CDU auch, dass augenscheinlich viele Neuleipziger noch gar nicht so recht wussten, wo sie sich im Parteienspektrum verorten wollen: 6.800 dieser zugezogenen Leipziger bereicherten am 22. September 2013 das Lager der Nichtwähler. Und ein Faktor wird den Kreisvorstand der Linken besonders geärgert haben, denn außer bei der FDP graste die CDU besonders stark im Lager der Linkspartei und zog von dort weitere 4.900 Wähler ab.
Alles Bausteine, die in der Summe natürlich den überragenden Erfolg der CDU in Leipzig erklären, die mit 34,6 Prozent der Stimmen ihr Ergebnis von 2009 (28,0 Prozent) deutlich übertreffen konnte.

Kann man natürlich auch sagen: Naja. Anderswo hätte das trotzdem nicht zum Sieg gereicht. Warum ist dann Leipzig selbst bei Auszählung nach Wahlbezirken fast überall CDU-blau, wie auf Seite 20 im Wahlbericht zu sehen? Mit einigen violetten Sprenkeln in Grünau, Connewitz, der Südvorstadt, Volkmarsdorf und Gohlis-Nord, wo die Linke die Nase vorn hatte. Und dem dicken grünen Fleck in Schleußig, diesem seltsamen Inselbezirk, der so gern grün wählt und trotzdem nicht vom Automobil lassen kann.

Das Gesprenkelte macht natürlich schon deutlich, was dahinter steckt: In die verbleibenden 65 Prozent teilten sich natürlich allerhand Parteien, die auch das Leipziger Meinungsbild sehr bunt machen. Und das ist wohl für deutsche Großstädte mittlerweile das Typische: dass sich hier auch bunteste politische Strömungen verstärken und das Wahlspektrum jenseits der fast monolithischen CDU bunt machen – so bunt, dass sich Kandidaten von SPD und Linken in Leipzig regelmäßig gegenseitig den Gewinn eines Direktmandats vermasseln. Die Grünen setzten mit ihren Direktkandidaten dann noch einen obendrauf. Was erst einmal ein ganz normales Wahlergebnis ist. Es ist aber auch eines, das dafür sorgt, dass im Leipziger Norden (Wahlkreis 152) 60 Prozent der Wähler durch keinen Direktkandidaten vertreten sind, im Süden (Wahlkreis 153) 65,7 Prozent.

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Noch ein Punkt, der aufmerken lässt: Die zweite Partei, die nach der CDU am stärksten von der Wählerwanderung profitierte, war die Alternative für Deutschland (AfD). Die ja 2009 noch gar nicht existierte. Einen großen Teil ihrer 16.096 Leipziger Wähler gewann sie aus dem Lager der CDU – 4.100, aber auch aus dem FDP-Lager bekam sie großen Zuspruch (2.300). Neben Nichtwählern konnte sie auch ein paar Wechselwähler aus dem Lager von Linke und SPD gewinnen.

Dritter Profiteur der Wählerwanderung war die SPD, die besonders stark bei FDP und Grünen abstauben konnte. Was ein wenig den starken Abfall der Grünen im Sommer vor der Wahl erklärlicher macht. Die Grünen-Wähler sind ein bisschen aus der heillosen Steuer- und Pädophilendebatte zu Parteien geflohen, die sich aus dieser Mediendiskussion heraushalten konnten. 4.000 Grünen-Wähler wechselten in Leipzig allein zur SPD, was fast schon die Steigerung des Leipziger SPD-Ergebnisses von 49.203 (2009) auf 54.064 (2013) erklärt.

Aber einen Aderlass erlebten die Grünen auch in Richtung Piraten, die zwar den Sprung in den Bundestag nicht schafften mit 3,6 Prozent – aber ihre 10.259 Stimmen taten natürlich auch den Grünen weh, die 2.600 Stimmen an die Piraten verloren.

In der Wählerwanderung spiegeln sich also auch recht deutlich die dominierenden politischen Diskussionen des Jahres. Sie zeigt aber auch, wie groß das Potenzial der Wechselwähler in Leipzig mittlerweile ist. Und auch, wie sehr augenscheinlich gerade die Wechselwähler “aus dem Bauch heraus” entscheiden, etwa dann, wenn ein Wahlkampf von Themen wie Steuererhöhung dominiert wird. Wohl immer in der Hoffnung, das Versprochene wird nach der Wahl auch erfüllt, auch wenn jeder Blick ins parlamentarische Geschehen zeigt, dass das Versprochene meist wenig mit dem zu tun hat, was der politische Alltag dann produziert.

Die Wählerwanderung zeigt aber auch, wie schnell mediale Aufregerthemen wie Klimawende oder Datenschutz aus dem Blickfeld geraten, wenn scheinbar ein Megathema wie die Steuerpolitik die Diskussion bestimmt.

Die Auswertung der Bundestagswahl 2013 findet man auch online auf der Seite des Amtes für Statistik und Wahlen:
http://statistik.leipzig.de/%28S%28sdh3nb45xok4nm45dmvgx555%29%29/index.aspx

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