Seit einer Woche hat Gerhard Pötzsch, der kulturpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Leipziger Stadtrat, ein gutes Argument in der Hand, wenn es um seinen Kampf für den Erhalt der Leipziger Kultur geht: die "Studie zur Umwegrentabilität der kulturellen Eigenbetriebe der Stadt Leipzig". Umwegrendite ist der finanzielle Effekt, den Investitionen indirekt ein einer Region auslösen. Auf Umwegen eben. So, wie es Leipzigs Kulturhäuser tun.

Das tun sie zwar schon immer. Doch niemand wusste so recht, wie hoch der Effekt ist. Oder war. Denn er verändert sich natürlich. Je weiter ein Projekt – man kann es hier Oper nennen, Gewandhaus oder Schauspiel – über die Stadt hinaus wirkt, umso größer ist dieser Effekt, denn dann werden Besucher und Touristen nach Leipzig gelockt, die hier – zusätzlich zum Eintrittsticket – Geld ausgeben: für die Straßenbahn, das Taxi, den Sekt im Foyer, das Parkticket im Parkhaus oder den netten Abend danach in einem Restaurant. Kommen sie von weiter her, hat auch das Hotel was davon und das Café, wo die Gäste frühstücken.

Leipzig lebt vom Tourismus. Die Übernachtungszahlen steigen. 2013 wurden erstmals 2,7 Millionen Besuche gezählt. Trotzdem flammte 2011 in Folge des Actori-Gutachtens die Diskussion auf. Kann sich Leipzig so viel (Hoch-)Kultur noch leisten? Muss nicht bei der drohenden Finanzierungslücke ein Haus geschlossen werden? Müssen die Häuser fusionieren? – Seltsame Blüten trieb die Diskussion. “Ich war entsetzt”, sagt Gerhard Pötzsch. “So kann man mit Kultur nicht umgehen. Wir haben hier ein Erbe, das in Generationen aufgebaut wurde.”

Und da er der Mann für die Kultur ist in der SPD-Fraktion, war auch deren Verhalten in der Actori-Diskussion entsprechend: Sie hielt sich zurück. Und im stillen Kämmerlein schlug Gerhard Pötzsch die Arme über dem Kopf zusammen. Und überlegte, was die aus dem Ruder laufende Diskussion wieder in ein vernünftiges Fahrwasser bringen könnte. “Wir geben das Geld doch nicht aus lauter Geigelei aus”, sagt er. Dass Leipzig über eine funktionierende Kulturlandschaft verfüge, sei doch einer der Hauptgründe dafür, dass die Stadt für Touristen interessant sei. “Kultur macht doch den Reiz einer Stadt aus.”

In der Deutschland-Umfrage, die die Stadt Leipzig alle drei Jahre durchführt, wird auch immer nach den verschiedenen Image-Faktoren gefragt. Auf Rang 4 der Imagefaktoren – nach “Friedliche Revolution”, “Messestadt” und “Verkehrsgünstige Lage” kommt – praktisch gleichauf mit “Verkehrsgünstige Lage” der Imagefaktor “Stadt der Kultur und Künste”. Alles Zahlen von 2010.

Die Kultur ist also – touristisch betrachtet – ein Wirtschaftsfaktor. Den man – so Pötzsch – der scheinbar wirtschaftlich begründeten Debatte um Einsparungen entgegensetzen müsste. 2012 beantragte die SPD-Fraktion deshalb, für die Eigenbetriebe Kultur die Umwegrendite zu ermitteln. Am besten mit einer der Leipziger Hochschulen zusammen. In diesem Fall war es die HTWK, die sich der Sache annahm und dem Wirtschaftsdezernat die Zahlen für Oper, Schauspiel und Theater der Jungen Welt zuarbeitete. Mit einer kleinen offenen Frage. Denn zur Grundlage nahmen die Wissenschaftler ein Berechnungsmodell, wie es bei der Semper-Oper Dresden angewendet wurde.

Das Problem für Leipzig: Es gibt keine aktuellen Zahlen für den Anteil auswärtiger Besucher in den drei Häusern. “Die Zahlen brauchen wir unbedingt”, sagt Pötzsch. Denn allein von den Leipziger Besuchern könne sich die Leipziger Kultur nicht tragen.

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Womit wir wieder im Jahr 2010 wären, als die Leipziger in der Bürgerumfrage das letzte Mal nach ihren Besuchen in Oper, Muko und Ballett gefragt wurden. Typisch eigentlich für die Leipziger Kulturpolitik, dass wichtige Zahlen zur Steuerung der Kulturpolitik einfach nicht regelmäßig abgefragt werden. Damals wurde halt heiß um die Oper und die missglückte Intendantenpolitik im Opernhaus diskutiert – also fragte man mal die Leute.

Erstaunliches Ergebnis: Es waren nicht nur 3 Prozent der Befragten, die in der letzten Zeit mal in der Oper waren, wie Gerhard Pötzsch vermutet. Jeder vierte befragte Leipziger war in der Spielzeit 2009/2010 tatsächlich in der Oper, jeder Sechste hat eine Vorstellung in der Musikalischen Komödie besucht. Auch das Zahlen, die gern negiert werden und in der Actori-Diskussion auch von einzelnen Fraktionen negiert wurden, die mal eine Schließung der MuKo, mal eine Zusammenlegung von Oper und MuKo forderten.

“Wenn man sich nur ein bisschen mit den Häusern und dem was sie leisten, beschäftigt, kommt man überhaupt nicht auf solche Gedanken”, sagt Pötzsch.

Ein Problem der Häuser sei eher die Auslastung. Die Leipziger würden die Vorstellungen in der Regel einmal besuchen, danach flaue der Besuch logischerweise ab. Dauerhaft volle Vorstellungen könne man nur erreichen, wenn das überregionale Marketing besser sei. Ein Thema für den LTM. Und der langfristigen Finanzplanungen in den Häusern.

Ein weiteres Ergebnis der 2010er Bürgerumfrage: Besonders beliebt sind Oper, MuKo und Ballett bei den älteren Leipzigern und bei Hochschulabsolventen. Beim Gewandhaus wird es ganz ähnlich sein. Das erstellt gerade selbst eine Studie zur eigenen Umwegrendite. Es ist also durchaus eine Bildungsfrage, ob die Häuser besucht werden oder die Leute lieber zu Andrea Berg in die Arena pilgern.

Oder in den Zoo, der in Leipzig aus guten Gründen ebenfalls dem Kulturdezernat zugeordnet ist. An den Eintrittspreisen, so Pötzsch, läge die Frage nach Besuch oder Nichtbesuch nicht. Wer die Häuser nicht besucht, äußert in der Regel, “kein Interesse” daran zu haben. Wer kein Interesse hat, informiert sich auch nicht über Eintrittspreise. Auch nicht über ermäßigte Tickets, die es in allen Häusern gibt.

Was nicht heißt, dass dieselben Leute dann nicht doch zu Freiluftkonzerten des Gewandhauses oder den “Classic Open”-Veranstaltungen von Peter Degner pilgern. Man kann niemanden zwingen, Kultur nach einem Schema wahrzunehmen. “Aber ohne Kultur ist in dieser Stadt tote Hose”, sagt Pötzsch. Und wünscht sich auch noch die Berechnung der Umwegrendite für das, was man so landläufig Freie Szene nennt.

Was natürlich nichts daran ändere, dass der Stadtrat sich mit jedem Haushalt aufs Neue Gedanken darüber machen muss, “wie man das alles finanziert.” Aber die Schließung ganzer Häuser vorzuschlagen, einfach um schon mal vorzusorgen für irgendeinen Tag X, davon hält Pötzsch nichts. “Die Leute, die davon reden, wissen gar nicht, was für einen Rattenschwanz das nach sich zieht”, warnt er. Da fallen dann nicht nur die Stellen in den betroffenen Häusern weg, sondern auch Aufträge für Handwerker, Taxifahrer, Einnahmen für Hotels und Gastronomie.

“Jetzt wissen wir wenigstens, dass die Subventionen für die Häuser kein rausgeschmissenes Geld sind, sondern direkt wieder wirtschaftliche Effekte erzeugen. Kultur ist in Leipzig ein echter Wirtschaftszweig”, stellt der SPD-Stadtrat fest. “Das war mir vorher so auch nicht klar. Auf die Studie zur Umwegrendite könne man jetzt aufbauen, müsse aber auch die Besucherzahlen evaluieren. Und man müsse das ganz regelmäßig wiederholen, damit nachgesteuert werden könne. Die drei untersuchten Häuser aber sieht er auf einem guten Weg.

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