Seine letzten Tage als gewählter Stadtrat nutzte ja Jens Herrmann-Kambach (Die Linke) bekanntlich, um der Verwaltung noch einen ganzen Stapel von Fragen zu stellen, zu denen er einfach früher nicht gekommen war. Ist ja nicht so, dass sein Spezialgebiet, der ÖPNV in Leipzig, mittlerweile in ruhigem Fahrwasser wäre. Im Gegenteil: Es rumort im Getriebe. Und das Erstaunliche ist: Leipzigs Verwaltung glaubt auch bei diesem Thema, unheimlich viel Zeit zu haben.

In seiner Anfrage vom 10. Dezember hatte Herrmann-Kambach nachgefragt, was aus dem versprochenen Konzept zur Finanzierung des Öffentlichen Personen-Nahverkehrs (ÖPNV) geworden ist. Lag es irgendwo? War’s fertig oder noch nicht mal angefangen? – “Am 11.12.2013 beauftragte der Stadtrat den Oberbürgermeister auf Antrag der SPD-Fraktion, bis Ende zweites Quartal 2014 ein Konzept zur Finanzierung des ÖPNV in der Stadt Leipzig zu erstellen. Dabei sind der gültige Nahverkehrsplan der Stadt Leipzig und der Investitionsbedarf entsprechend der Planung der LVB besonders zu berücksichtigen”, formulierte er in seiner Anfrage.

Auf die Anfrage hat jetzt das Dezernat Stadtentwicklung und Bau geantwortet – wahrscheinlich ein Sachbearbeiter, der jeden Tag nichts anders liest als Gesetzestexte und Auslegungskommentare. Der Stil ist eine Zumutung. Eigentlich hätte das Dezernat einfach antworten können: Nein, ist nicht passiert.

Die Aussage steckt hinter einem Berg von trockenen Sätzen, in denen das Dezernat erst einmal erklärt, dass man für ein solches Konzept erst einmal eine “solide Bewertungsbasis” brauche. 2007 und 2009 hatte man diese nicht gebraucht und trotzdem ein Konzept vorgelegt.

Jetzt glaubt man so eine Bewertungsbasis zu haben in der im Sommer vom Mitteldeutschen Verkehrsverbund (MDV) vorgelegten “Analyse des MDV zur Finanzierungsstruktur und -prognose des ÖPNV” in der Region. Tatsächlich hatte das Gutachten gezeigt, dass der ÖPNV so, wie es derzeit läuft, künftig nicht mehr finanziert werden kann. Jahr für Jahr steigen die Fahrpreise – aber die wichtigen Geldgeber – Bund, Land und Kommunen – fahren ihre Zuschüsse immer weiter zurück. Es müsse also neue Finanzierungskonzepte geben. Das viel diskutierte “Bürgerticket” tauchte da als ein möglicher Vorschlag auf.

Ob das nun in der städtischen Diskussion Zuspruch bekommt, darf bezweifelt werden. Und da sieht augenscheinlich auch die Leipziger Stadtverwaltung nicht den Weg in die Zukunft. Am Ende der Antwort für Jens Herrmann-Kambach bezieht sie sogar recht deutlich Position: “Aber eines ist bereits heute klar: Ohne einen angemessenen – und damit ist ausdrücklich gegenüber heute zukünftig signifikant höheren – Finanzierungsbeitrag des Bundes und des Freistaates für den SPNV und ÖPNV, wird ein bedarfsgerechter ÖPNV in einer wachsenden Stadt auf Dauer schwer finanzierbar sein, will man Zielvorgaben aus strategischen Konzepten (z. B. Luftreinhalteplan) und Programmen (z. B. Klimaschutzprogramm) in absehbarer Zeit auch erreichen.”

Aber nicht nur Bund und Land sind gefordert, sich wieder angemessen an den Kosten des ÖPNV zu beteiligen. Auch die Stadt selbst.

Trost-Taschentücher für alle Nutzer des ÖPNV in Leipzig. Foto: Ralf Julke
 Tempo steht nur auf der Packung. Foto: Ralf Julke

Aber auch da tut sich die Verwaltungsebene schwer, nachzujustieren. Das steckt in diesem Satzbauwerk, in dem es um die Rolle der Stadt als Aufgabenträger für die LVB geht und die Summe, die sie schon aus reinen Vertragsgründen überweisen müsste, damit die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) die beauftragten Aufgaben auch erfüllen kann: “Die erbrachten Verkehrsleistungen müssen sich deshalb auch an der finanziellen Leistungsfähigkeit des Aufgabenträgers – hier der Stadt Leipzig – orientieren. Darüber hinaus sind die Eigentümerziele für den LVV-Konzern zu beachten, die vorrangig und unter Berücksichtigung seiner Leistungsfähigkeit eine konzerninterne Finanzierung vorsehen. In diesem Zusammenhang sind Aspekte der Verkehrsleistungs?nanzierung zu berücksichtigen und diesbezüglich bestehende Grundlagen (Stichwort: Verkehrsleistungsfinanzierungsvertrag) ggf. anzupassen.”

Der Satz dreht sich, wie man sieht, fröhlich im Kreis. Aber mehr kann ein Sachbearbeiter ja nicht verraten, wenn selbst die großen Verantwortlichen bei dem Thema herumeiern.

Derzeit bekommen die LVB 45 Millionen Euro jährlich zur Erfüllung des Verkehrsleistungsfinanzierungsvertrages, vor 15 Jahren waren es noch 63 Millionen Euro. Und Fakt ist, dass die Beförderungsleistung nicht gesunken ist, sondern gestiegen. Tatsächlich war die Senkung des Zuschusses vor allem ein Beitrag zur Sanierung der lange Zeit finanziell klammen Konzernholding LVV und keine Anpassung an etwa gesunkene Leistungserbringungen.

Die Antwort für Herrmann-Kambach zeigt aber auch, dass sich Leipzigs Stadtspitze die letzten zwei Jahre – seit die Diskussion um die ständigen Fahrpreiserhöhungen rollt – gehütet hat, über das Thema überhaupt auch nur nachzudenken. Das will man erst jetzt tun, in den nächsten zwei Jahren: “Die Fortschreibung des Nahverkehrsplanes beginnt in den nächsten Monaten mit einer verwaltungsseitigen Evaluierung des aktuellen Nahverkehrsplans und Vorschlägen hinsichtlich etwaiger Anpassungsbedarfe. Die Bearbeitungsdauer der Fortschreibung wird dabei auf 2 Jahre geschätzt. Ob und wenn ja, inwieweit sich daraus Folgen für eine Anpassung der Finanzierungsstruktur und -höhe ergeben, kann erst in der Folge beantwortet werden.”

Wenn also Leipziger ÖPNV-Nutzer gedacht haben, Leipzigs Verwaltung wisse schon, was im ÖPNV vor sich geht, der wird hier ein wenig ernüchtert sein. Wahrscheinlich hat tatsächlich erst das brisante Gutachten des MDV die Entscheider aufgeschreckt. Nur dass der Schreckmoment noch nicht heftig genug war und man glaubt, jetzt einfach noch einmal zwei bis drei Jahre Zeit zu haben, bis man handeln muss. So jedenfalls steht es in der Antwort an Jens Herrmann-Kambach: “Nach gegenwärtigem Stand werden sich die Gremien frühestens 2016, ggf. aufgrund der Komplexität der Wechselwirkungen zwischen Aufgabenträgern des ÖPNV und des SPNV, sowie damit zusammenhängender umfänglicher Rechtsprüfungen, insbesondere Hinsichtlich EU- und Steuerrecht, ggf. auch erst 2017 damit intensiv befassen können.”

Was ja dann wohl heißt, dass es finanzielle Änderungen erst 2018 geben wird. Frühestens. Und bis dahin jedes Jahr neue Fahrpreiserhöhungen. Bis es die Packung Taschentücher für die Fahrgäste kostenlos dazu gibt.

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