Seit ein paar Jahren diskutiert der Leipziger Stadtrat wieder über den Migrantenbeirat. Nicht über dessen Existenzberechtigung. Diese Diskussion ist durch. Der 2009 eingerichtete Beirat hat sich längst als wertvolles Beratungsgremium für den Leipziger Stadtrat erwiesen. Und er hat auch in die wachsende Zahl der in Leipzig heimischen Communities hinein starken Zuspruch erfahren. Was dann aber auch den Wunsch befeuerte, die Mitglieder des Migrantenbeirats künftig direkt wählen zu können.

Also so ähnlich wie beim Jugendparlament. Das klingt erst einmal gut, würde aber wohl nicht funktionieren. Jedenfalls nicht in seiner Reinform. Und so erlebt die Vorlage des Verwaltungsdezernats, wie der Migrantenbeirat künftig gewählt werden soll, immer neue Häutungen und immer neue Vorlagen, die seit einem Jahr in die Gremien des Stadtrates gehen, wo man natürlich das Anliegen unterstützt, die Mitglieder des Beirats tatsächlich wählen zu lassen.

Bisher wurden alle Vertreter der migrantischen Minderheiten in dieses Gremium berufen. Das ging nicht willkürlich zu, sondern es wurden vor allem aktive Menschen in das Gremium geholt, die sich sowieso schon in verschiedenen Bereichen aktiv für Integration und die Belange der Menschen mit Migrationshintergrund einsetzen. Dazu kamen dann die Entsandten aus den Ratsfraktionen.

Der Migrantenbeirat hat in den vergangenen elf Jahren schon jede Menge guter Anregungen zur Stadtpolitik gegeben, hat auch manches korrigiert, was die gewählten Ratsvertreter nicht richtig gesehen haben oder die Verwaltung übersah.

Aber die ganze Zeit wurde die Frage immer konkreter: Sind wirklich alle Communities, die in Leipzig vertreten sind, auch einigermaßen angemessen vertreten?

Eine sehr knifflige Frage, geht es doch immerhin um über 100 verschiedene Länder, aus denen diese Menschen kommen. Und sie haben alle völlig verschiedene Sichtweisen, Probleme und Bedürfnisse. Was tun?

Seit Beginn des Jahres, seit die erste Fassung zum möglichen künftigen Wahlmodus für den Migrantenbeirat veröffentlicht wurde, wurde heftig diskutiert. Fruchtbar, wie Verwaltungsbürgermeister Ulrich Hörning feststellt. Im Juli legte er dann eine Neufassung vor, die schon fast alles abbildete, worüber in den Gremien Einigkeit erzielt wurde und was vor allem technisch und rechtlich auch möglich ist.

Und nicht alle Mitglieder des Beirats können auch wirklich in einer Verhältniswahl gewählt werden. Das hat auch mit ihrem unterschiedlichen Status zu tun.

So gibt es jetzt die erste Säule, um die am heftigsten gerungen wurde, die tatsächlich eine Wahl ermöglicht, bei der Ausländer und Ausländerinnen (inklusive EU-Ausländer) eine Liste von Bewerbern direkt wählen können. Das ist möglich, weil diese Menschen im Melderegister auch als solche registriert sind. Ihnen können die entsprechenden Wahlunterlagen auch zugesandt werden. Und dann haben sie die Wahl.

Mit einer nicht unwichtigen Einschränkung. Denn da die Communities völlig unterschiedlich stark sind und nicht gewollt ist, das dann nur die ein, zwei stärksten Communities alle zehn zur Wahl stehenden Plätze im Beirat besetzen, wird es Länderlisten nach acht Regionen geben, die die verschiedenen Herkunftsländer zu größeren Einheiten zusammenfassen – West- und Zentralasien z. B., wo es von Armenien bis Usbekistan geht, oder Süd- und Osteuropa, wo es von Albanien bis Weißrussland geht.

„Dies ist das Ergebnis eines ausgiebigen Prozesses der AG Wahl des Migrantenbeirats. Als Grundlage wurden die statistischen Daten aus dem Faltblatt ,Migrantinnen und Migranten in Leipzig‘ herangezogen. Zur Gewährleistung der Repräsentanz aller Herkunftsregionen wurde die folgende Zusammensetzung beschlossen“, betont die Vorlage.

Das aktive und passive Wahlrecht besteht für diese Online-Wahl nur für Ausländerinnen und Ausländer, welche am Wahltag das 18. Lebensjahr vollendet haben und seit mindestens drei Monaten in Leipzig leben sowie über einen gültigen Aufenthaltstitel oder Duldung verfügen.

In einer zweiten Säule können sich insgesamt sechs Personen direkt für eine Mitgliedschaft im Migrantenbeirat bewerben. „Bewerben können sich hierfür deutsche Staatsangehörige mit selbsterklärtem Migrationshintergrund, die am Wahltag das 18. Lebensjahr vollendet haben und seit mindestens drei Monaten in Leipzig leben. Für ihre Aufstellung als Bewerber/-in benötigen sie fünf Unterstützungsunterschriften von Wahlberechtigten im Sinne des § 2 der Wahlordnung.“

Hier wird die Verwaltung dann selbst eine Auswahl unter allen Bewerber/-innen treffen: „Die Verwaltung wird der Ratsversammlung einen Wahlvorschlag unterbreiten, der die Repräsentativität und Qualifikation der Mitglieder beachtet. Die Kriterien, an welche die Verwaltung bei der Erstellung des Wahlvorschlages gebunden ist, werden von der Ratsversammlung beschlossen.“

Hier kann also auch noch Einfluss genommen werden, dass auch Dinge wie Geschlechterparität, Erfahrung, Beruf mitberücksichtigt werden können. Was dann die Ausgewogenheit im Beirat stärkt, aber auch ermöglicht, Personen besonders zu berücksichtigen, die schon Erfahrung in solcher Gremienarbeit haben.

Und gleichzeitig wird der Beirat aufgewertet, weil ein Großteil der Mitglieder dann tatsächlich mit dem Votum ihrer Wähler in das Gremium kommen, also auch stärkeren Rückhalt in der Bevölkerung mit Migrationshintergrund haben. Und natürlich bestärkt auch Verwaltungsbürgermeister Ulrich Hörning den Wunsch, dass sich Personen aus diesem Umfeld stärker profilieren und auch bei den Leipziger/-innen mit Migrationshintergrund der Wunsch wächst, sich politisch stärker zu engagieren.

Auch wenn der gewählte Stadtrat selbst nicht ganz ohne Migrationshintergrund ist – bei vier Stadträt/-innen ist ein solcher Hintergrund existent, auch wenn sich das in der Stadtratsarbeit kaum zeigt. Umso wichtiger ist der Migrantenbeirat auch als Ansprechpartner und Korrekturinstanz, die ihre Stellungnahmen einbringen kann, wenn Vorlagen die Lebenswelten der migrantischen Gemeinschaft direkt betreffen.

Am 1. September geht die nunmehr dritte Neufassung zur Beratung in den Verwaltungsausschuss. Und wenn der Stadtrat zeitnah zustimmt, könnte es sein, dass Leipzig demnächst die erste Online-Wahl für den Migrantenbeirat erlebt.

Der Stadtrat tagt: Leipzig verurteilt antimuslimischen Rassismus und Islamfeindlichkeit + Video

Der Stadtrat tagt: Leipzig verurteilt antimuslimischen Rassismus und Islamfeindlichkeit + Video

Hinweis der Redaktion in eigener Sache

Seit der „Coronakrise“ haben wir unser Archiv für alle Leser geöffnet. Es gibt also seither auch für Nichtabonnenten unter anderem alle Artikel der LEIPZIGER ZEITUNG aus den letzten Jahren zusätzlich auf L-IZ.de über die tagesaktuellen Berichte hinaus ganz ohne Paywall zu entdecken.

Unterstützen Sie lokalen/regionalen Journalismus und so unsere tägliche Arbeit vor Ort in Leipzig. Mit dem Abschluss eines Freikäufer-Abonnements (zur Abonnentenseite) sichern Sie den täglichen, frei verfügbaren Zugang zu wichtigen Informationen in Leipzig und unsere Arbeit für Sie.

Vielen Dank dafür.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar