Gegen die Wahl des neuen Leipziger Migrantenbeirats, der Interessenvertretung von Menschen mit Einwanderungsgeschichte, regt sich Widerstand. Ein Beschwerdeführer kritisiert schwere Mängel bei der Wahldurchführung und schaltete das Verwaltungsgericht ein, um die bei der heutigen Ratsversammlung angesetzte Berufung der neuen Mitglieder zu stoppen. Nun steht fest, dass diese stattfinden darf.
Die in der heutigen Ratsversammlung geplante Berufung der 16 Mitglieder des neuen Migrantenbeirats kann wie geplant stattfinden: Das Leipziger Verwaltungsgericht lehnte gestern einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ab. Das teilte der Urheber des Antrags, Robert Alia, der LZ mit. Gerichtssprecher Dirk Tolkmitt bestätigte dies auf Anfrage, eine schriftliche Begründung stehe noch aus.
Beschwerdeführer sieht schwere Mängel bei der Wahl, Stadt widerspricht
Beim Leipziger Rechtsamt waren gegen die Wahl des Migrantenbeirats von Anfang April drei Einsprüche eingegangen. Robert Alia war für eine davon verantwortlich: Der Dolmetscher und Ingenieur aus Albanien, der seit 2018 in Leipzig wohnt, hatte selbst für einen der 16 migrantisch besetzten Plätze im Beirat kandidiert, scheiterte jedoch.
Neben praktischen, strukturellen und rechtlichen Schwierigkeiten bei der Wahl kritisiert der 35-Jährige zum einen unvollständige Wählerverzeichnisse, bei denen eingebürgerte Migranten fehlen: Dies hätte dazu geführt, dass zahlreiche Stimmberechtigte ihren Wahlzettel nicht automatisch erhalten und folglich nicht hätten wählen können. Die Beteiligung an der Wahl lag bei nur 6,6 Prozent.
Zum anderen stößt Alia auch ein nach Herkunftsregionen gruppiertes Wahlsystem sauer auf: Dieses würde kleine Communitys wie seine diskriminieren. So verzeichnet das Statistische Jahrbuch für Leipzig (Stand 2023) rund 13.000 syrische Bürger in der Stadt, dicht gefolgt von etwa 12.000 Ukrainern. Dem stehen nur 579 Albanerinnen und Albaner gegenüber.
Die Stadt hatte die Vorwürfe zurückgewiesen. Man habe die Wahl rechtskonform, satzungsgemäß und nach einem System durchgeführt, welches der Stadtrat 2022 demokratisch beschlossen hatte. Auch hinsichtlich der Öffentlichkeitsarbeit im Vorfeld habe man mit begrenzten Mitteln über das vorgeschriebene Minimum hinaus geliefert, sagte Manuela Andrich, Leiterin des Referats für Migration und Integration, im Mai gegenüber der LZ.
Vier Fraktionen und Beiratsmitglieder üben scharfe Kritik
Ein klares Signal kommt jetzt auch von den Fraktionen der Linken, Grünen, SPD sowie Freier Fraktion im Stadtrat: „Wir sprechen uns entschieden für die zeitnahe Neuberufung des Migrantinnen- und Migrantenbeirats durch die Ratsversammlung aus, soweit dem rechtlich nichts im Wege steht“, heißt es in einer gemeinsamen Mitteilung.
Die in den letzten Wochen „mit zunehmender Vehemenz und verbaler Zuspitzung“ geäußerten Zweifel an der Legitimität der Online-Wahl nehme man ernst und habe sie geprüft. Ergebnis: „Die rechtlichen Anforderungen wurden eingehalten, verfassungsrechtliche Bedenken bestehen nicht.“ Die Kritik an der Wahl, etwa mit Bezug auf Herkunftsregionen oder das Online-Format, könnte für die Zukunft debattiert werden. Das jetzige Verfahren sei dennoch rechtmäßig.
Anfang Juni hatte in diesem Sinne auch eine 13-köpfige Gruppe ehemaliger und neu gewählter Mitglieder des Migrantenbeirats Unverständnis über die Beschwerden geäußert: „Die polemischen Kritiken sowie die mediale Debatte über die Durchführung der Online-Wahl haben in den letzten Wochen alle positiven Erfahrungen, die mit der stattgefundenen Wahl einhergegangen sind, in den Hintergrund rücken lassen sowie zur Spaltung und Verunsicherung beigetragen“, heißt es in einem Schreiben an OBM Burkhard Jung sowie den Stadtrat.
Gericht sieht keine Rechtsverletzung, Beschwerdeführer will weiter vor Gericht ziehen
Laut Auffassung der Stadt seien etwa Verstöße gegen wahlrechtliche Vorschriften, wie in der Beschwerde angeführt, nicht stichhaltig, weil sich Inhalte des Sächsischen Kommunalwahlgesetzes und der Kommunalwahlordnung nicht eins zu eins auf den Migrantenbeirat anwenden ließen.
Auch die Ermittlung sachkundiger Einwohnerinnen und Einwohner für Beiräte obliege nach der maßgebenden Sächsischen Gemeindeordnung, die dazu nichts Konkretes vorgebe, letztlich der Stadt. Deren Ratsversammlung habe sich mit dem jetzigen Vorgehen ein transparentes Verfahren gegeben, weder die reine Online-Wahl noch die Benachrichtungs-Prozedur oder das Wahlsystem seien ein Rechtsverstoß. Diesen und weiteren Argumenten schloss sich nun auch das Gericht an.
Beschwerdeführer Robert Alia hält dennoch an seinem Vorgehen fest. Die Gerichtsentscheidung sei „enttäuschend, ändert jedoch nichts an den schwerwiegenden Mängeln der Wahl, die ich dem Gericht nachweislich vorgelegt habe.“ Und: „Sobald mir die Begründung der Entscheidung vorliegt, werde ich prüfen, ob eine Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht parallel zum Hauptverfahren einzureichen ist.“ Der Stadtrat, der bei der Berufung des Beirats das letzte Wort hat, möge diese „nicht leichtfertig beschließen.“
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