Es dürfte die ungewöhnlichste Ratsversammlung der Nachwendezeit werden, zumindest was die technischen und abstimmungsrechtlichen Fragen betrifft. Die technischen Fragen wurden nach dem gestrigen Beschluss des Ältestenrates noch über Nacht geklärt, via „Teams“ werden alle Stadträtinnen digital zusammengeschalten und live übertragen werden können. Direkte Abstimmungen wird es jedoch am heutigen 16.12.2020 noch nicht geben, dafür schafft der Sächsische Landtag heute fast zeitgleich erst die rechtlichen Voraussetzungen. Man beschließt also in Leipzig erneut wie im Frühjahr 2020 durch „Umlaufbeschlüsse“.

Corona macht vieles umständlicher, an anderen Stellen bringt das Virus aber auch Innovationen in kürzester Zeit hervor. Seit Tagen hatten sich Politiker der Linken, SPD und CDU einerseits und den Grünen sowie AfD andererseits gestritten, wie nun die heutige Sitzung, ausgerechnet am ersten Tag des deutschlandweiten Lockdowns verlaufen sollte.

Präsenz in der Kongresshalle am Zoo unter strengsten Auflagen als politisches Vorbild für die Menschen, die heute ebenfalls zur Arbeit müssen oder eine technische Lösung ohne Präsenz als Vorbild für die Menschen, die zu Recht den heute begonnenen Lockdown in Deutschland ernst nehmen und versuchen, direkte Kontakte zu meiden.

Beides wäre wohl unter den jeweiligen Voraussetzungen denkbar gewesen, doch nach L-IZ.de-Informationen hätte es heute an der Kongresshalle wohl auch keine Schnelltests gegeben und so kam es, dass sich viele Stadträte gänzlich querstellten.

Die CDU wollte so oder so an einer Präsenzversammlung nicht teilnehmen, Linke und SPD haderten, einige wollten auch nicht kommen, man suchte nach Lösungen und die Grünen pochten auf noch zu treffende Beschlüsse, die sie aber nicht per Umlaufbeschlüsse ganz ohne Beratung in der Ratsversammlung abstimmen wollten.

Die Sitzung vom 16.12.2020 in Aktion. Foto: Screen Livestream
Die Sitzung vom 16.12.2020 in Aktion. Foto: Screen Livestream

Am Ende entstand für heute ein „Hybrid“-Sitzungsschema als eine Art Meinungsaustausch, welches allen Stadträtinnen die Zuschaltung von zu Hause via Videokonferenz ermöglicht und gleichzeitig eine Streamingvariante, sich dies auch als Bürger anzuschauen. Abstimmen müssen die Räte dennoch per Umlaufbeschluss danach, noch gibt es keine Lösung seitens des Landes Sachsen, wie man das direkt und rechtssicher innerhalb einer Video-Konferenz in Sächsischen Gemeinden umsetzen muss. Erst in der heutigen Sitzung des Landtages wird es dazu einen Beschluss geben, welcher dann ab der ersten Januarsitzung 2021 zum Tragen kommen könnte.

Die ursprüngliche Tagesordnung ist verkleinert worden (siehe hier), übrig geblieben sind die Punkte, die unbedingt noch vor dem Jahresende 2020 entschieden werden müssen. Vor allem stehen Beschlusspunkte zur Beratung, deren Entscheidung aus terminlichen Gründen wegen etwaiger Fördergelder von Bund und Land oder aufgrund coronabedingter Eilbedürftigkeit wie beispielsweise mehr Mittel für die Versorgung Obdachloser in Leipzig nicht mehr zu verschieben waren.

Darunter unter anderem der fristgerechte Widerspruch des Rates zur Landesdirektionsentscheidung beim Abschleppen von verkehrsbehindernd geparkten Kraftfahrzeugen in Leipzig, Ausgleichsleistungen für pandemiebedingte Ausfälle in städtischen Unternehmen, Eigenbetrieben und Stiftungen, Zuschüsse zur Errichtung eines Sächsischen Infektionsschutzzentrums am Klinikum St. Georg oder die gleichfalls coronabedingte Verschiebung der Entgeltfreiheit für Dauerausstellungen in den städtischen Museen von 2021 auf das Jahr 2023.

Ebenso soll heute der Zuschuss für den öffentlichen Nahverkehr neu beschlossen werden und die LVV-Holding „LGruppe“ soll von der Stadt Leipzig eine Kapitaleinlage in Höhe von 20 Millionen Euro erhalten, um damit zusätzliche Investitionsbedarfe abzusichern, die sich unter anderem aus Ratsbeschlüssen zum Nahverkehrsplan und zum Klimaschutz ergeben.

Update 16:20 Uhr: Der Landtag Sachsen hat soeben in Form einer Kommunalrechtsnovelle beschlossen, dass ab Anfang 2021 Stadt- und Gemeinderatssitzung rechtssicher auch digital ablaufen können. Damit ist sichergestellt, dass das, was Leipzig heute ausprobiert, auch mit Beschlusskraft geschehen kann.

Erwartungsgemäß stellte sich dabei heute bereits in Teil 1 der ersten rein digitalen Ratsversammlung Sachsens heraus, dass es für das Abstimmungsprozedere noch Verbesserungsbedarf gibt.

Zur neuen Tagesordnung vom 16.12.2020

Der Mitschnitt vom Meinungsaustausch am 16.12.2020

Quelle: Livestream der Stadt Leipzig

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