Rund die Hรคlfte der Frauen und Kinder, die Schutz vor hรคuslicher Gewalt suchen, mussten in diesem Jahr abgelehnt werden. Die Mitarbeitenden von Frauenhรคusern und der Koordinierungs- und Interventionsstelle bei hรคuslicher Gewalt und Stalking (KIS) sind massiv รผberlastet. Nun sollen die Strukturen fรผr Schutz und Unterstรผtzung bei hรคuslicher Gewalt in Leipzig ausgebaut werden.

Nach zรคhem Ringen der Mitarbeitenden von Frauenhรคusern und KIS hat der Stadtrat am Mittwoch einen diesbezรผglichen Antrag fast einstimmig beschlossen. Gegenstimmen und Enthaltungen gab es nur von der AfD. Eingebracht hatten den Antrag Linke, Grรผne und SPD.

โ€žIn diesem zur Beschlussfassung vorliegenden Antrag wird in den ersten beiden Punkten deutlich pointierter als bisher eine bessere finanzielle und personelle Ausstattung der Strukturen in Aussicht gestelltโ€œ, so Linken-Stadtrat Dr. Volker Kรผlow.

โ€žDarunter als Modellprojekt eine Art zweite (Koordinierungs- und Interventionsstelle bei hรคuslicher Gewalt und Stalking) KIS. Wird dieser Antrag heute angenommen, reifen allerdings noch lรคngst nicht alle Blรผtentrรคume, sondern wir haben zunรคchst nur eine Art Notreparatur des Systems beschlossen. Sollte das Modellprojekt im selben Umfang wie die KIS ausgestattet sein, kรถnnte nicht einmal allen aktuelle Hilfesuchenden (โ€ฆ) ein Angebot unterbreitet werden.โ€œ

Es brauche also spรคtestens im nรคchsten Doppelhaushalt 2025/26, der vom neu gewรคhlten Stadtrat beschlossen werden wird, eine weitere Aufstockung der Strukturen. Dr. Kรผlow kritisierte, dass dabei die KIS in Zukunft besser einbezogen werden mรผsse, damit die neu zu schaffenden Strukturen tatsรคchlich den Bedarfen entsprรคchen. Die Ursprungsfassung des Antrags war deutlich ambitionierter gewesen.

รœber den Verwaltungsstandpunkt sei man dagegen enttรคuscht, so Monika Lazar von den Grรผnen. Auch die Neufassung des Antrags sei nur ein Kompromiss. Sie forderte Stadt und Land auf, das Modellprojekt zรผgig umzusetzen.

Dr. Martina Mรผnch sicherte dem Stadtrat zu, man sei in Gesprรคchen mit dem Land und werde voraussichtlich Anfang 2024 รผber die Einrichtung einer weiteren Anlaufstelle informieren. Sie stimmte zu, dass man als Gesellschaft deutlich mehr gegen Gewalt gegen Frauen tun mรผsse. Es kรถnne nicht sein, dass es nach wie vor keinen einheitlichen Gesetzesrang in allen Bundeslรคndern habe.

Bereits auf der Sicherheitskonferenz im Oktober hatte Dr. Mรผnch angekรผndigt, dass man mit dem Freistaat รผber eine weitere Personalstelle im Gesprรคch sei.

Erleichterung der Wohnungssuche und Umsetzung der Istanbul-Konvention

AuรŸerdem sieht der Antrag eine Aufstockung der personellen Kapazitรคten in der Zentralen Sofortaufnahme der Frauenhรคuser (SofA) um 0,3 Vollzeitรคquivalente vor. Im Vergleich zum Ursprungsantrag ist das eine deutliche Verschlechterung. Mehr sei jedoch nicht im aktuellen Haushalt drin gewesen, so SPD-Stadtrรคtin Christina Mรคrz.

Obendrein sollen die Fรถrderhรถchstbetrรคge fรผr die Einrichtungen durch das Land Sachsen angehoben werden und die Wohnungssuche von Frauen und Kindern aus Frauenhรคusern und der Sofortaufnahme vereinfacht werden.

โ€žDie Zusammenarbeit mit der Wohnraumversorgung des Sozialamtes muss intensiviert werden, damit die Frauen zeitnah wieder ein selbstbestimmtes Leben fรผhren kรถnnen und die Plรคtze in der Zentralen Sofortaufnahme der Frauenhรคuser zรผgig frei werden fรผr jene Frauen und Kinder, die ebenfalls aus Selbstschutz ihr Zuhause verlassen mรผssenโ€œ, so Mรคrz.

SPD-Stadtrรคtin Christina Mรคrz betonte noch einmal die Verantwortung der Stadt Leipzig zur Umsetzung der Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen und Mรคdchen. Der Oberbรผrgermeister soll sich in Zukunft fรผr die Umsetzung der Konvention auf Bundesebene einsetzen. Deutschland hatte diese 2018 ratifiziert. Sie legt unter anderem die Anzahl von Schutz- und Beratungsangeboten fest.

Die Bundesrepublik bleibt jedoch weit unter den MaรŸgaben der Konvention in diesen Bereichen. Zu wenig finanzielle Unterstรผtzung fรผr die bestehenden Strukturen bedeute im Umkehrschluss, so Mรคrz, dass Frauen in Gewaltbeziehungen blieben oder in diese zurรผckkehren mรผssten.

Mitarbeitende an den Kapazitรคtsgrenzen

โ€žEs ist gut, dass das Thema geschlechtsbasierte Gewalt heute mit der Neufassung des Antrags im Stadtrat platziert werden konnteโ€œ, so Lara von der KIS. โ€žDa die konkrete Ausgestaltung des Modellprojektes bisher noch nicht transparent gemacht wurde, kรถnnen wir als Mitarbeiter*innen der KIS zum jetzigen Zeitpunkt nicht einschรคtzen, ob das Ziel einer โ€šspรผrbaren Entlastungโ€˜ fรผr die KIS damit realisierbar ist.โ€œ

Bereits im Juli hatten Frauenhรคuser und KIS mit einem offenen Brief und einer Kundgebung auf die katastrophale Lage im Gewaltschutz in Leipzig aufmerksam gemacht. Seit 2021 hatten sich die Meldungen von hรคuslicher Gewalt an die KIS verdreifacht. Rund die Hรคlfte der Hilfesuchenden musste abgelehnt werden. Ein Viertel der beratenen Personen sind Hochrisikofรคlle, in denen das Risiko eines Feminizids, also eines Mords, akut im Raum steht.

โ€žDie Sofortaufnahme ist nicht arbeitsfรคhig. Wir sind kein sicheres Hausโ€œ, zitierte Beate Ehms, Vorsitzende des Gleichstellungsbeirats eine E-Mail der Mitarbeitenden der SofA. โ€žDie dauerhafte prekรคre Arbeitssituation, die sich in der vollkommenen Erschรถpfung der Mitarbeiterinnen zeigt, fรผhrt dazu, dass wir nicht in der Lage sind, ein sicheres Haus nach einem Umzug zu schaffen und Betroffene von hรคuslicher Gewalt professionell zu unterstรผtzen.โ€œ

Sie berichtete auch, dass die Mitarbeitenden enttรคuscht seien, dass sich in der Stadt so wenig bewege. Sie appellierte an die Parteien, ihre Fraktionen auf Bundes- und Landesebene aufzurufen, sich fรผr das Thema einzusetzen.

Dazu Lara: โ€žWir erkennen an, dass alle beteiligten Stadtrรคt*innen und Mitglieder des Gleichstellungsbeirates ihr Mรถglichstes tun und mรผssen dennoch konstatieren, dass wenn im ersten Quartal 2024 โ€“ wie von Dr. Mรผnch in Aussicht gestellt โ€“ Informationen zum Modellprojekt mitgeteilt werden sollen, zu diesem Zeitpunkt bereits seit fast anderthalb Jahren eine untragbare Notsituation fรผr gewaltbetroffene Menschen in Leipzig existiert. Das ist das Gegenteil von aktiver Femizidprรคvention.โ€œ

Wenn Sie Unterstรผtzung benรถtigen, kรถnnen Sie sich an folgende Kontakte wenden:

Zentrale Sofortaufnahme Leipzig: 0341 55 01 04 20
Hilfetelefon โ€žGewalt gegen Frauenโ€œ: 0800 116 016
Frauen fรผr Frauen e. V.: https://www.fff-leipzig.de/
Bellis e. V.: https://bellis-leipzig.de/

Empfohlen auf LZ

So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar