Wenn Gabi Eßbach montagmorgens zu ihrer Arbeit in der Koordinierungs- und Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt und Stalking (KIS) kommt, dann liegen dort rund zwanzig Meldungen von der Polizei über neu registrierte Fälle häuslicher Gewalt. Darunter auch Hochrisikofälle, bei denen Leib und Leben der Betroffenen in akuter Gefahr sind. Eine Beratungsstelle kann das nicht mehr leisten, so der Tenor der 44. Sicherheitskonferenz des Kommunalen Präventionsrates Leipzig.

„Um der Situation hier in Leipzig gerecht zu werden, ist eine zweite Koordinierungs- und Interventionsstelle in der gleichen Stärke, wie wir sie bereits haben, notwendig“, so Gabi Eßbach. „(…) Wir erwarten in diesem Jahr insgesamt rund 2000 Hilfesuchende. Was wir leisten können, ist aber nur die Unterstützung von 600 bis 800 Hilfesuchenden.“

Dafür braucht es in erster Linie mehr Geld. Das konnten die Konferenz-Teilnehmenden vonseiten der Stadt, darunter Ordnungsbürgermeister Heiko Rosenthal und Sozialbürgermeisterin Dr. Martina Münch nicht versprechen. Nur eine weitere Stelle, finanziert vom Freistaat Sachsen, ist momentan im Gespräch. Man arbeite jedoch mit aller Macht daran, die Situation zu verbessern, so Dr. Münch. Gemeinsam mit den Grünen- und Linken-Stadtratsfraktionen hat die KIS außerdem einen Antrag für den Stadtrat erarbeitet, in dem unter anderem eine Erweiterung der personellen und räumlichen Kapazitäten vorgesehen ist. Über den soll der Stadtrat noch in diesem Jahr entscheiden.

An der Konferenz im Neuen Rathaus nahmen Vertreter*innen der Beratungsstellen und Frauenhäuser, der Stadt und der Polizei sowie Rosa Logar von der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie teil.

Vorgestellt und gelobt wurde dabei vor allem die Arbeit des Netzwerks gegen häusliche Gewalt und Stalking, das seit 20 Jahren unterschiedliche Institutionen, wie Opferhilfe, Kinder- und Jugendhilfe und Familiengerichtsbarkeit an einen Tisch bringt. Auch unterstrichen die Vertreter*innen der Beratungsstellen die Relevanz von Beratung und Angeboten für Kinder und Jugendliche, die direkt oder indirekt von häuslicher Gewalt betroffen sind.

Steigende Fallzahlen häuslicher Gewalt – warum?

„Was wir gerade erleben, ist eine massive Verschiebung der Fälle aus dem Dunkel- ins Hellfeld“, so Gabi Eßbach. „Es ist natürlich gut, wenn sich Betroffene von häuslicher Gewalt Hilfe suchen. Gleichzeitig kommen wir damit in die paradoxe Situation als Beratungsstellen und Frauenhäuser von den vielen Anfragen überfordert zu sein.“

Rund die Hälfte der Fälle müssen Beratungsstellen und Frauenhäuser ablehnen. 248 Frauen mit 315 Kindern konnten allein in der Zentralen Sofortaufnahme des Frauen- und Kinderschutzhauses Leipzig keinen Platz erhalten. Das sei eine massive Selektion und dadurch eine enorme Belastung für die Mitarbeitenden, betonten sowohl Eßbach als auch Madeleine Burkowsky von der Zentralen Sofortaufnahme. Auch müssten sich vor allem in der Sofortaufnahme und den Frauenhäusern Mitarbeitende oft allein um Telefondienst, Mutter und Kinder kümmern.

Im Juni hatten Frauenhäuser und Beratungsstellen mit einem Offenen Brief und einer Kundgebung auf dem Burgplatz bereits auf den Notstand hingewiesen.

Kinder- und Jugendberatung zentral für Prävention

Neben einem gut funktionierenden Netzwerk gegen häusliche Gewalt sei, so Gabi Eßbach, Kinder- und Jugendberatung eine wichtige Säule der Präventionsarbeit. 30 Jahre habe man dafür kämpfen müssen, auch Beratung für die jüngeren Menschen anbieten zu können.

„Kinder erleben den Polizeieinsatz mit oder müssen mit ins Frauenhaus gehen (…) Dort müssen sie die Möglichkeit bekommen, über das, was passiert ist, zu sprechen“, so Eßbach. Wir wissen aus Untersuchungen, dass die Kinder und Jugendlichen, die in Familien aufwachsen, wo es häusliche Gewalt gibt, das größte Risiko haben, selbst einmal Opfer oder Täter*innen häuslicher Gewalt zu werden.“

Seit 2016 gibt es in Leipzig die Kinder- und Jugendberatung, die Zeug*innen häuslicher Gewalt, Betroffene von Teen Dating Violence und geschwisterlicher Gewalt berät.

Stadt betont Fortschritte – KIS fordert mehr

„Es mag auf den ersten Blick widersprüchlich wirken, aber die Tatsache, dass sich mehr Betroffene an Beratungsstellen wenden, ist auch positiv zu bewerten“, ordnet Ordnungsbürgermeister Heiko Rosenthal die Entwicklung ein.

Auch Dr. Martina Münch betonte, dass Leipzig im sachsen- und deutschlandweiten Vergleich bereits gut dastehe. Diese Fortschritte seien vor allem den engagierten Mitarbeiterinnen in den Frauenhäusern, wie zum Beispiel Gabi Eßbach zu verdanken, die damals das Netzwerk gegen häusliche Gewalt mit gründete.

Man dürfe hier aber noch nicht stehen bleiben, wie die steigenden Bedarfe zeigen. Zum Beginn der Corona-Pandemie habe die Stadt schnell gehandelt. Auch jetzt müsse man sich dynamisch mit den Bedarfen mitentwickeln, nicht nur die Stadt, sondern auch die Förderungen des Landes Sachsen. Eßbach will auf lange Sicht ein Gewaltschutzzentrum aufbauen, dass den Betroffenen die Zugänge zu Ärzt*innen, Beratungen für Erwachsene, Kinder und Jugendliche, Anwält*innen, der Polizei und des Jugendamts erleichtert werden, indem man sie an einem Ort bündelt.

Auch müssten unterstützende Angebote gestärkt werden. So zum Beispiel die Sprachmittlung für Beratungen, die psychosoziale Beratung in Leipzig, ein Vorrangsrecht auf Sozialwohnungen für Betroffene von häuslicher Gewalt, einen geschützteren Kindes-Umgang und mehr Kapazitäten für Weiterbildungen in Beratungsstellen, bei Polizei oder im Gesundheitswesen.

Wenn Sie Hilfe bei häuslicher Gewalt brauchen, wenden Sie sich an das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ unter 08000 116 016, die KIS, die Zentrale Sofortaufnahme der Frauenhäuser unter 0341 55 01 04 20 oder die Polizei unter der Notrufnummer 110.

Koordinierungs- und Interventionsstelle bei häuslicher Gewalt und Stalking (KIS)

Beratung für Erwachsene

Telefon: 0341-3068778

E-Mail: kontakt@kis-leipzig.de

Beratung für Kinder und Jugendliche

Telefon: 0341-30610803

E-Mail: KiJu.kontakt@kis-leipzig.de

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