"Aus touristischer Sicht bedeutet die Realisierung des Elster-Saale-Kanals einen Quantensprung", meint Matthias Därr von DÄRR Landschaftsarchitekten aus Halle/Saale. Er ist Co-Autor der Potenzialanalyse zum Elster-Saale-Kanal, die am Donnerstag, 16. Februar, auf dem 4. Seenland-Kongress vorgestellt wurde.

Nur mit einer schiffbaren Verbindung zwischen Leipzig und Saale sei die Marktpositionierung als überregionales Zielrevier für den motorisierten Wasserwander-Bootstourismus möglich, meint Därr.

“Die weitere Entwicklung der touristischen Destinationen Lausitzer Seenland und Leipziger Neuseenland birgt große wirtschaftliche Potenziale. Und das ist für Investoren entscheidend”, erklärte Hartmut Fiedler, Staatssekretär im Sächsischen Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, am Donnerstag anlässlich des 4. Seenland-Kongresses auf dem Leipziger Messegelände. Die 160 Teilnehmer der Fachveranstaltung im Rahmen der Wassersportmesse Beach & Boat informierten sich über die Investitionsschwerpunkte rund um Leipzig und in der Lausitz.

Aber klar ist auch: Billig wird eine Anbindung des Neuseenlands an die Saale mit der Anbindung über den Elster-Saale-Kanal nicht. 106 Millionen Euro würde die Vollendung des Jahrhundertbauwerks kosten.

Die “Potenzialanalyse Elster-Saale-Kanal”, die jetzt erstmals vorgestellt wurde, soll ausloten, welche Potenziale die Anbindung birgt. Oder bergen könnte. Es stecken viele Wenns und Vielleichts in dem Papier.

Für Matthias Därr gilt: Nur mit einer schiffbaren Verbindung zwischen Leipzig und Saale sei die Marktpositionierung als überregionales Zielrevier für den motorisierten Wasserwander-Bootstourismus möglich. Die rund 93.000 Euro teure Studie beziffert die Kosten für die Umsetzung des Kanal-Projektes auf die genannten 106 Millionen Euro.

Darin enthalten wären zum Beispiel fast 9 Millionen Euro, die in Ausgleichsmaßnahmen für den Naturschutz flössen. Mit knapp 38 Millionen Euro wird der ebenfalls in die Investitionssumme einbezogene Bau eines “spektakulären” Schiffshebewerkes beziffert, um den Höhenunterschied von 22 Metern zu überwinden sowie Schaulustige anzuziehen. Als “Leuchtturm der Architektur” könne ein solches Bauwerk zum Touristenmagneten avancieren, der jährlich bis zu 500.000 Besucher anlocken könne.Nur zum Vergleich: Das Leipziger Völkerschlachtdenkmal bringt es auf 200.000. Und das ist als überregionales Wahrzeichen von Leipzig schon etabliert.

Wer von Gesamtkosten von 106 Millionen Euro ausgeht, muss – wenn es wirtschaftlich werden soll – natürlich auch von entsprechend hohen Einnahmen ausgehen.

So würden sich rund 8,8 Millionen Euro Bruttoumsätze laut Potenzialanalyse pro Jahr zum Beispiel aus “regionalen Neuverkehren” ergeben. Die Studie rechnet mit 3.762 neu verkehrenden Motorbooten aus der Region, die dann zirka 188.000 Nutzungen/Bootstouren ergäben. Das wäre mehr als nur ein Gewimmel auf dem Kanal, denn selbst wenn man annimmt, dass die Saison ein halbes Jahr lang wird, wären das rund 1.000 Motorboottouren am Tag.

Zum Vergleich: Auf dem Leipziger Floßgraben wurden 240 Motorboot-Touren gezählt – innerhalb von zwei Monaten nach dem “Tag Blau” im Juli 2011.

Nachfrageeffekte ergäben sich auch durch überregionale Bootsurlauber, Charterbootverkehr, Fahrgastschifffahrt, so Därr. Bei dieser geht die Analyse von 1.500 Touren mit etwa 45.000 Passagieren aus – sowie in kleinem Rahmen durch Flusskreuzfahrten.Insgesamt entstünde aus der Kanalnutzung ein jährlicher Nettoumsatz von 18,5 Millionen Euro mit einem regionalen Einkommenseffekt von etwa 9 Millionen Euro. Bei der einzelwirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Betrachtung stünden den direkten Erträgen von 985.000 Euro durch kommunales Steueraufkommen und für Vignetten, Parkgebühren beim Schiffshebewerk oder Eintrittsgelder jährliche Ausgaben für den Unterhalt des Kanals von zirka 1,1 Millionen Euro gegenüber, so Patrick Wiederanders von der ICL Ingenieur Consult GmbH und ebenfalls Co-Autor der Untersuchung. Allerdings seien weitere Einnahmen durch Verpachtung von Gewerbeflächen mit Kanalanbindung beziehungsweise Räumen möglich.

Allerdings sei die Fertigstellung des Elster-Saale-Kanals weit mehr als “nur” ein touristisches Vorhaben, heißt es in der Studie, von der sich die Autoren eine identitätsstiftende Verbindung der beiden touristischen Regionen Leipziger Neuseenland und Saale-Unstrut-Triasland versprechen. Es bringe regionalwirtschaftliche Effekte. Zudem werden Chancen für Synergien eröffnet, zum Beispiel bei Hochwasserschutz oder Energiegewinnung. Es handele sich um ein identitätsstiftendes Leitprojekt des Wirtschaftsraumes Leipzig-Halle, welches weit über die Region hinaus strahle.

“Die Region Halle und die Saale in Sachsen-Anhalt können allein ohne den Verbund mit Leipzig kaum die Wertigkeit anderer wassertouristischer Regionen erreichen”, erklärte Uwe Stäglin, Beigeordneter für Planen und Bauen der Stadt Halle/Saale. Für Leipzig bedeute das bereits vor über 150 Jahren begonnene Bauprojekt die Anbindung an das deutsche Binnenwassernetz.

“Ich bin davon überzeugt, dass das Konzept, welches unsere Ururgroßväter mit vielen Ideen, Enthusiasmus und Privatkapital begonnen haben, umsetzbar ist – und dass ich das noch erleben werde”, sagte Heiko Rosenthal, Leipziger Bürgermeister und Beigeordneter für Umwelt, Ordnung und Sport. Nächster Schritt in der Umsetzung des Projektes sei eine Machbarkeitsstudie, welche der Landkreis Saalekreis/Sachsen-Anhalt beantragen wolle, hieß es auf dem Kongress.

Was auch bedeutet: Die genannten Zahlen sind erst einmal lauter schöne Träume. Eine gute Frage ist nämlich auch: Wo landen die prognostizierten 1.000 Motorbootfahrten – oder 500, wenn man nur den Leipziger Teil berücksichtigt? Enden die alle im Lindenauer Hafen oder schieben die sich durch den Karl-Heine-Kanal alle Richtung Innenstadt oder gar Neuseenland? – Es klingt nach richtig viel Verkehr auf Leipzigs Wasserstraßen, bei dem für reinen handbetriebenen Wassersport nicht viel Platz bleiben dürfte.

Es klingt aber auch nach einer Nutzung des Leipziger Gewässersystems, das mit “sanft” nicht mehr beschrieben werden kann.

Der Neuseenland-Kongress fand während der Beach & Boat Leipzig statt, die man noch bis Sonntag, 19. Februar, auf der neuen Messe erleben kann.

www.beach-and-boat.de

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