So hatte sich Holger Apfel (41) den "sächsischen Weg" zur "radikalen Seriösität" sicher nicht vorgestellt. Nachdem zu Jahresbeginn der Chemnitzer NPD-Vorsitzende aus Frust über den Wischiwaschikurs des neuen Parteichefs das Handtuch warf, schmiss vergangenes Wochenende im Leipziger Land gleich der komplette Vorstand hin. Damit ist einer der größten Kreisverbände (rund 80 Mitglieder) faktisch handlungsunfähig.

Ein Affront, sitzt die Partei dort doch immerhin in Fraktionsstärke im Kreistag. Besser gesagt, saß. Denn zu Jahresbeginn trat die Hälfte der Hobbyparlamentarier aus der Fraktion aus. Nicht etwa, weil sie vom rechten Weg abgekommen wären. Den Kameraden widerstrebt Apfels Verbürgerlichungsstrategie. Mittlerweile hat der Landesvorstand über den Kreisverband den organisatorischen Notstand verhängt.

Persönliche Querelen scheinen im Leipziger Umland seit geraumer Zeit gang und gäbe zu sein. Kreisrat Gerd Fritzsche wagte es gar, in seiner Heimat Hohenmölsen bei der Bürgermeisterwahl zu kandidieren. Das wäre sicher im Sinne der Partei gewesen, hätten Apfel und Co. mit dem NPD-Überläufer Hans Püschel nicht einen eigenen Bewerber ins Rennen geschickt. Wie interne E-Mails belegen, entbrannte zwischen den beiden Lagern eine Schlammschlacht. Dass Fritzsche nach seiner Wahl in den Kreistag vor zweieinhalb Jahren der NPD nicht beigetreten war, dürfte zusätzliches Öl ins Feuer gegossen haben, das unter der Oberfläche vor sich hin schwelte. Apfels Vorgabe, sich im Zuge der Neuausrichtung von jenen Kameraden trennen zu wollen, denen die braune Vergangenheit weit wichtiger ist als die Zukunft, wirkte wie Brandbeschleuniger. Angesprochen fühlten sich nämlich vor allem die Mitglieder der “Freien Kräfte”, ohne die der NPD-Aufschwung in Sachsen nicht denkbar gewesen wäre.

“Der langjährige Kreisvorsitzende Marcus Müller führte den Kreisverband zuletzt als privaten Klüngelverein mit lausiger Verwaltung, ohne aktive Mitgliederwerbung und Interessentenbetreuung”, rechnet NPD-Sprecher Jürgen Gansel hart mit den Strukturen im Leipziger Land ab. “Fähige Interessenten wurden endlos hingehalten oder sogar vergrault, damit keine neuen Köpfe das alte Cliquensystem gefährden. Parteiveranstaltungen fanden unter Mißachtung der Informationspflicht gegenüber dem Landesvorstand unangekündigt und an geheimen Orten statt, um eine Teilnahme von Landesvorstandsmitgliedern zu verhindern.”Die sächsische Führungsriege um Holger Apfel und Landeschef Mario Löffler sieht sich derweil mit einem Vulkanausbruch im eigenen Vorgarten konfrontiert. Ihre Strategie scheint klar: Sie träumen vom Wiedereinzug in den Landtag 2014. Im selben Jahr wird in Thüringen und Brandenburg gewählt. Die NPD rechnet sich in den Ostbundesländern Chancen aus. Außerdem träumen ihre Vordenker von ein bis zwei Mandaten bei der Europawahl. In Straßburg hätten sie vermutlich noch weniger zu melden als in Dresden. Aber Dank des Wegfalls der Fünf-Prozent-Hürde scheint der Prestige-Erfolg plötzlich in greifbare Nähe gerückt zu sein. Fragt sich nur, mit wem die NPD die anstehenden Wahlkämpfe bestreiten möchte?

Im Jahr 2009 halfen “Freie Kräfte” aus den Reihen des “Freien Netzes” (FN) die Wahlkämpfe. Sie verteilten Flyer, klebten haufenweise Plakate, unterstützten die Partei auf der Straße bei Kundgebungen. Im Gegenzug durften vereinzelt Kader der “Freien Kräfte” auf den NPD-Listen kandidieren. Das “Freie Netz” mischte den maroden JN-Landesverband auf und nahm fortan den Schutz des Parteiengesetzes für sich in Anspruch. Doch die Allianz entpuppte sich für die “Freien Kräfte” in den letzten Monaten zunehmend als wertlos.

JN-Chef Tommy Naumann verlor, wie es heißt, “aus betrieblichen Gründen” seinen Job bei der Landtagsfraktion. Der Leipziger zieht vor dem Arbeitsgericht gegen seine Kameraden zu Felde. Zwischen Holger Apfel und FN-Mitbegründer Maik Scheffler, im Juni zum stellvertretenden NPD-Landesvorsitzenden avanciert, soll es kriseln. Jürgen Gansel bestreitet das: “Holger Apfel und Maik Scheffler sind enge politische Weggefährten und werden sich nicht auseinanderdividieren lassen.” Der sächsische Landesvorstand ernannte den Delitzscher diese Woche zum kommissarischen Kreisbeauftragten im Leipziger Land. Er soll die Parteistrukturen neu ordnen und zeitnah eine Mitgliederversammlung zur Wahl eines neuen Vorstands einberufen. Sollte die NPD die “Freien Kräfte” nicht besänftigen können, wird Apfel 2014 kaum noch auf die Unterstützung des militanten Neonazi-Netzwerks zählen können.

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Zumindest dürfte sie kleiner ausfallen als noch 2009. Im Chemnitzer Raum suchten die “Freien Kräfte” bereits den öffentlichen Bruch. Eine Erklärung, die der Kader Patrick Fischer auf seinem Blog veröffentlichte und der kurz darauf auf mehreren FN-Websites auftauchte, zeugt von massiver Enttäuschung ihrer Autoren von den jüngsten Entwicklungen innerhalb der NPD. Insbesondere im Erzgebirge, der Heimat Löfflers, scheint das Band zwischen “Freien Kräften” und Partei zerrissen. Auch finanziell könnte es bald klamm aussehen: Im Laufe des Jahres entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über eine anstehende Strafzahlung über 2,5 Millionen Euro an die Bundestagsverwaltung. Grund sind fehlerhafte Rechenschaftsberichte in der Vergangenheit.

“Wenn Holger Apfel so weiter agiert, dann ersetzt er das aufwändige und unsichere Verbotsverfahren gegen die NPD, denn eine Voraussetzung dafür ist die Relevanz der betreffenden Partei”, frohlockt die sächsische Linken-Abgeordnete Kerstin Köditz. Ein Grund zur Beruhigung sei dies keineswegs. “Die nunmehr nicht mehr parteigebundenen Neonazis werden sich durch besondere Aktivität profilieren wollen. Die Gefahr auch militanter Übergriffe in Sachsen dürfte folglich weiter zunehmen.”

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