Seit Freitag, 21. September, beschäftigt eine neue erstaunliche Meldung aus Dresden die Politik: Im Oktober wird der bisherige sächsische Polizeipräsident Bernd Merbitz Polizeipräsident in Leipzig. Damit übernimmt er das Amt von Horst Wawrzynski, der im Oktober in den Ruhestand geht, damit aber auch gleichzeitig seinen OBM-Wahlkampf für die CDU in Leipzig startet.

Zusätzlich soll Bernd Merbitz die Koordination der Polizeiarbeit bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus verantwortlich leiten. Unter seiner Führung soll eine neue operative Zentralstelle geschaffen werden, teilt die sächsische Polizeiführung um 9 Uhr mit.

Die Leitung der Abteilung 3 Öffentliche Sicherheit und Ordnung / Landespolizeipräsidium im Innenministerium soll künftig ein Jurist übernehmen. Das Innenministerium will eine externe Besetzung anstreben. Eine Degradierung für Bernd Merbitz ist es trotzdem. Mancher mutmaßt schon jetzt, dass der Innenminister damit einen Mann aus der zentralen Verantwortung nimmt, der ein paar mal zu oft widersprochen hat. Man erinnert sich an die vor einem Jahr aufgekochte Dienstwagenaffäre.
Innenminister Markus Ulbig wird in der Mitteilung der Polizeiführung mit den Worten zitiert “Bernd Merbitz ist ein Mann der Tat. Ich schätze ihn als Polizist mit Leib und Seele. Insbesondere im Kampf gegen Rechtsextremismus hat er sich über die Landesgrenzen hinaus einen Namen gemacht. Für sein Engagement erhielt er den Paul-Spiegel-Preis des Zentralrats der Juden in Deutschland. Wie kaum ein anderer verfügt er als langjähriger Staatsschutzleiter über exzellente operative Kenntnisse. Bernd Merbitz hat die Soko Rex mit aufgebaut.”

Wenn das alles so wäre, steht umso deutlicher die Frage: Warum dann die Versetzung? So einen Mann hält man in der Regel im Zentrum, da, wo man einen braucht, der auch mal zupackt, wo Minister zögern. Ulbig sieht ihn nun als Sturmgeschütz gegen die sächsischen Rechtsextremisten.

Ulbig: “Wir sagen gemeinsam den Rechtsextremisten und neuen Nazis in unserem Land konsequent den Kampf an. Bernd Merbitz wird diesen Schwerpunkt künftig leiten. Als Polizeipräsident in Leipzig übernimmt Herr Merbitz eine der wichtigsten Großstadtdirektionen. Die Kriminalitätsbelastung in diesem Bereich ist besonders hoch. Die neu entstehende große Polizeidirektion Leipzig braucht einen echten Praktiker an der Spitze.”

Auch diese Worte klingen zumindest seltsam. Denn eine Ursache für die steigende Kriminaliträtsrate ist auch die dauerhafte Unterbesetzung der Polizeidirektion Leipzig.

Ulbig erklärt die Umsetzung mit den neuen Erkenntnissen zur Zwickauer Terrorgruppe “NSU”. Nach der Entdeckung des “NSU” sei eine Neubewertung des gewaltbereiten Rechtsextremismus erfolgt. Mal abgesehen davon, dass der “NSU” nicht entdeckt wurde, sondern sich selbst eliminierte und dann – in Gestalt von Beate Zschäpe – persönlich zur Polizei marschierte. Gerade die Nicht-Entdeckung der Terrorgruppe ist ja der große Skandal. Und die sächsischen Verfassungsschützer haben noch bis zum Juli fleißig Akten vernichtet, die möglicherweise genau die Erkenntnisse enthielten, die man um das Jahr 2000 gehabt hat und gebraucht hätte, um die drei abgetauchten Jenaer zu fassen. Erkenntnisse über das rechtsextremistische Netzwerk in Sachsen, insbesondere das damals um Chemnitz aktive “Blood & Honour”-Netz, das mittlerweile verboten ist, aus dem aber augenscheinlich mehrere Unterstützer der drei abgetauchten Terroristen stammen.

Der Versuch des Innenministeriums, den Lernprozess nachzuholen: “Innerhalb der Szene ist aufgrund des gewachsenen Verfolgungsdrucks und verschiedener Vereinsverbote eine Verunsicherung zu beobachten. Gleichzeitig wächst im Bereich der gewaltbereiten Rechtsextremisten das konspirative Verhalten. Die polizeiliche Strategie wird darauf reagieren. Innenminister Markus Ulbig wird gemeinsam mit Bernd Merbitz Ende Oktober die neue Struktur bei der Rechtsextremismusbekämpfung der Öffentlichkeit vorstellen.”

In der Opposition bezweifelt man freilich die öffentlichen Erklärung zur Versetzung.

Dr. André Hahn, innenpolitischer Sprecher der Linken: “Die Entscheidung des Innenministers ist nicht wirklich nachvollziehbar. Offenbar ist Herr Ulbig zu schwach für einen starken Landespolizeipräsidenten.

Herr Merbitz hat sicher nicht alles richtig gemacht, und sein Hang zu öffentlichen und medialen Auftritten war gewöhnungsbedürftig, aber Sachsen hatte ganz sicher schon deutlich schlechtere Landespolizeipräsidenten. Gerade im Kampf gegen die Ausbreitung rechtsextremistischer Strukturen hat sich Merbitz bleibende Verdienste erworben. In der Auseinandersetzung um den geplanten Stellenabbau bei der Polizei hätte man sich allerdings deutlich mehr Engagement von ihm gewünscht.

Absurd ist die Ankündigung des Innenministers, dass der neue Landespolizeipräsident aus einem anderen Bundesland kommen solle. Es gibt mit Sicherheit auch in Sachsen ausreichend kompetente Beamte, und eine fundierte Kenntnis der spezifischen sächsischen Situation wäre für das Amt von Vorteil.”

Sabine Friedel, innen- und rechtspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag: “Die Degradierung des Landespolizeipräsidenten ist ein weiterer Schritt zum Niedergang der sächsischen Polizei. Der Posten soll nun mit einem Juristen besetzt werden? Na, gute Nacht. Fachleute zählen nichts mehr in dieser sächsischen Staatsregierung. Das Feuerwehrwesen und der Rettungsdienst sind schon unter juristischer Regie heruntergewirtschaftet worden. Nun kommt die Polizei dran. Das ist ein Armutszeugnis für Sachsen. Es geht nicht mehr um Fachkompetenz, nur noch um Bürokratie.

Ulbigs Entscheidung ist eine schwere Enttäuschung. Aber nicht die erste im Umgang mit der Polizei. Schlimmer ist, dass Ministerpräsident Tillich all dies geschehen lässt: den zusätzlichen Abbau tausender Polizistenstellen. Die Schließung von mehr als 30 Polizeirevieren in Sachsen. Und jetzt die fachfremde Verwaltung der Inneren Sicherheit durch einen Juristen. Diese Staatsregierung ist fachlich inkompetent. Sie wirtschaftet einen Bereich nach dem anderen herunter: Die Schulen, die Polizei, die Kommunen, die Hochschulen. Mit erschreckender Teilnahmslosigkeit – aber juristisch korrekt.”

Eva Jähnigen, innenpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen: “Innenminister Markus Ulbig sollte diese Personalentscheidung für eine Neuausrichtung der Polizei nutzen. Bei der Führung der sächsischen Polizei müssen Bürgerrechte und Bürgernähe einen deutlich größeren Stellenwert erhalten.

In die Amtszeit des Polizeipräsidenten Merbitz fielen das in Dresden kläglich gescheiterte Polizeikonzept der weiträumigen Trennung von Nazi-Demo und Gegendemonstranten am 19. Februar 2011 mitsamt der massenhaften, rechtswidrigen Handydatenabfrage.”

Bernd Merbitz ist den Leipziger kein Unbekannter. Schon 1990 machte er – damals noch als Major der Leipziger Kriminalpolizei – von sich Reden, als er in einem öffentlichen Interview darüber sprach, dass die damaligen Bürgerrechtler in der neu entstehenden Verwaltungslandschaft wohl keine Rolle spielen würden. Gebraucht würden Leute wie er, die sich den neuen Bedingungen anzupassen wüssten.

1991 wurde er zum Leiter der Abteilung Polizeilicher Staatsschutz beim Landeskriminalamt Sachsen befördert, ab 1998 war er Leiter der Polizeidirektion Grimma, anschließend schon einmal Polizeipräsident, damals in der Polizeidirektion Westsachsen. 2007 wurde er kommissarischer Leiter der Abteilung “Öffentliche Sicherheit und Ordnung” im Landespolizeipräsidium im Sächsischen Innenministerium und im September 2007 Landespolizeipräsident. Den Leipzigern brachte sich der heute 56-Jährige 2011 wieder in Erinnerung, als er in einem großen LVZ-Interview gegen die Drogenpolitik der Stadt Leipzig polterte, was seinerzeit erste Spekulationen über eventuelle Ambitionen auf den OBM-Job in Leipzig auslöste.

Diese Ambitionen verfolgt nun der noch amtierende Leipziger Polizeipräsident Horst Wawrzynski.

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