Wacht der schlafende Tiger endlich auf? Oder macht es Sachsens Staatsregierung wieder wie bei all den anderen Themen, die sie nicht bereit ist zu lösen? Veranstaltet der zuständige Minister wieder nur ein glorioses Medien-Tamtam? Was dabei herauskommt, ist aber nichts. Alles bleibt beim Alten. Oder schlimmer: Sachsens Polizeistrukturen gehen kaputt, weil im Freistaat der Finanzminister regiert.

Dass die Polizei schon lange leidet unter der schon existierenden Unterbesetzung, Überalterung und dem fehlenden Nachwuchs, das merken die Bürger längst. Selbst Leipzigs Polizeipräsident Bernd Merbitz hat im Herbst 2013 vorsichtig gemahnt, es sei schon jetzt Zeit für eine Evaluation der 2013 erst so richtig gestarteten “Polizeireform 2020”. Dass da irgendwie schon längst ein Loch besteht, das gestand Sachsens Innenminister Markus Ulbig zumindest teilweise ein, als er in dieser Woche verkündete, ein paar Polizisten mehr einstellen zu wollen. Aber nur ein paar. Womit er eine ganz ähnliche Strategie fährt wie die Kultusministerin, die ein Loch von rund 2.000 fehlenden Lehrern durch 400 Neueinstellungen kompensieren will und dann fröhlich verkünden lässt “433 Lehramtsabsolventen starten Vorbereitungsdienst an Sachsens Schulen”.

Das gutgläubige Volk vernimmt die Botschaft: “433 neue Absolventen”. Aber es vergisst, dass 1.600 Stellen unbesetzt bleiben.

Bei Sachsens Polizei ist es längst genauso.

Zu Ulbigs Ankündigung, neben dem vorgesehenen Einstellungskorridor von 300 Polizeibeamten pro Jahr in diesem Jahr 200 Beamte zusätzlich bei der Polizei einzustellen, erklärt Eva Jähnigen, innenpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Sächsischen Landtag: “Ist der Innenminister endlich aufgewacht oder ist die Einsicht des Personalmangels bei der Polizei der Landtagswahl geschuldet? Das Problem der Überalterung der Polizei ist seit langem bekannt. Es wurde von Ulbig aber immer mit Verweis auf den Einstellungskorridor abgestritten.”

Das dürfe keine Eintagsfliege bleiben, so Jähnigen. “Ich fordere den Innenminister auf, nicht nur einmalig in 2014 neue Beamten einzustellen. Die Frage der Polizeistärke darf nicht zum Aktionismus vor der Landtagswahl verkommen. Der Einstellungskorridor für die kommenden Jahre muss dauerhaft auf 400 Neueinstellungen erhöht werden. Denn der Abbau von Stellen bei der Polizei ist nicht vorübergehend.”

Auf die Kleine Anfrage von Eva Jähnigen zu Altersabgängen bei der Polizei hatte Ulbig 2012 mitgeteilt, dass bis 2018 jährlich durchschnittlich 360 Beamte in den Ruhestand gehen, ab 2019 jedoch durchschnittlich 460 Beamte pro Jahr.

“Dass Ulbig von einem ‘vorübergehenden Galopp’ beim Stellenabbau überrascht wird, zeigt die Kurzfristigkeit des Handelns von CDU und FDP. Die Regierungsfraktionen haben diesen Galopp mit dem sogenannten Stellenabbaubegleitgesetz (Drs. 5/7043) selbst eingeläutet, in dem sie Beamten die Möglichkeit des vorzeitigen Ruhestandes eingeräumt haben”, stellt Jähnigen fest. “Ziel dieses Gesetzes war es, den von CDU und FDP geplanten Stellenabbau in der Landesverwaltung von insgesamt 17.000 Stellen bis 2020 zu forcieren. Der Galopp wird zum Parforceritt für den Polizeidienst, wenn er nicht schnellstens gebremst wird.”

Die Grüne-Landtagsfraktion hatte in den Haushaltsverhandlungen 2013/2014 gefordert, 100 mehr Polizisten jährlich einzustellen, als es der Haushaltsentwurf vorsah. Dieser und andere Vorschläge wurden immer unter dem Verweis abgelehnt, dass Sachsen über ausreichend Personal – auch im Vergleich zu anderen Bundesländern – verfüge. Was also nicht stimmt. Aber die Zahlen selbst aus den eigenen Häusern werden von Sachsens Ministern so lange geleugnet, bis die Strukturen beginnen, Verschleißerscheinungen zu zeigen.So recht an die Ernsthaftigkeit des Innenminister glaubt auch Sabine Friedel, innen- und rechtspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, nicht. “Wenn Innenminister Ulbig sich aktuell in den Medien dafür feiern lässt, dass er in den kommenden beiden Jahren jeweils 100 Spezialisten zusätzlich bei der Polizei einstellen möchte, handelt es sich bei dieser Ankündigung nur um eine weitere sicherheitspolitische Nebelkerze. Und um eine peinliche dazu. Denn hierdurch wird keine einzige zusätzliche Stelle im Polizeibereich geschaffen, sondern der fatale Stellenabbau unvermindert fortgesetzt”, sieht sie die Ankündigung noch viel kritischer als die Grünen.

Diese angebliche Aufstockung solle nur die Lücke stopfen, die zwischen der Anzahl der in den kommenden Jahren real wegfallenden Polizeibediensteten und der durch den Stellenabbau verbindlich zu streichenden Stellen besteht. “Und diese Lücke ist der Tatsache geschuldet, dass in den nächsten Jahren noch viel mehr Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte in Pension gehen werden, als sich das Staatsministerium des Innern ursprünglich ausgerechnet hatte”, stellt Friedel fest. Also auch die Zahlen, die die Grünen-Fraktion vom Minister bekommen hat, sind schon “schön” gerechnet.

“Schon diese peinliche Personal-Fehlkalkulation im Bereich der Altersabgänge zeigt deutlich, mit wie wenig Sachverstand und Voraussicht Staatsminister Ulbig und die CDU- und FDP-geführte Staatsregierung die Stellenkürzungen im öffentlichen Dienst betreiben”, sagt Friedel. “Im Klartext will sich der Innenminister beim Finanzminister dafür einsetzen, dass nicht aufgrund unerwarteter Pensionierungen noch mehr Polizeistellen als sowieso geplant wegfallen. Und mit diesen Stellen sollen nicht etwa wegfallende Streifenpolizisten ausgeglichen werden, die wir im Freistaat Sachsen dringender denn je brauchen. Stattdessen will Innenminister Ulbig laut Medienberichten IT-Spezialisten und Quereinsteiger einstellen, die nicht einmal eine Polizeischule von innen gesehen haben müssen! Mit derartigen Placebos und potemkinschen Dörfern versucht die CDU, ihr Versagen auf dem Gebiet der inneren Sicherheit zu kaschieren. Wer darauf herein fällt, ist selbst schuld.”

Hoffnung hingegen verspürt Rico Gebhardt, innenpolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke im Sächsischen Landtag, dass der verantwortliche Innenminister endlich auch das zunehmende Grollen der Beamten gehört hat. “Was sagt man dazu, mit dreijähriger Verspätung setzt sich bei der CDU in ersten Ansätzen die Erkenntnis durch, dass die von Innenminister Ulbig angeschobene und in Umsetzung befindliche, sogenannte, Polizeireform ‘Polizei.Sachsen.2020’ nicht funktioniert. Aus der Schließung von Polizeirevieren und der Reduzierung von Polizeipräsidien folgt nicht automatisch ein mehr an Polizeibeamten auf der Straße. Dies wiederholen wir seit Beginn der nunmehr völlig ‘verkorksten’ Reform.”

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Was jetzt Not tut, formuliert er so: “Deshalb war und ist unsere Forderung richtig, den Einstellungskorridor für Polizeianwärter von 300 auf mindestens 500 sofort zu erhöhen bei gleichzeitiger Aussetzung des Personalabbaus. Wenn der Innenausschussvorsitzende Seidel eine Evaluierung fordert, so ist das dem Grunde nach richtig und findet unsere Unterstützung, auch deshalb weil wir das schon seit Jahren fordern. Aber diese kann nur parallel zu der von uns geforderten Erweiterung des Einstellungskorridors erfolgen, denn die Nöte der Beamtinnen und Beamten sind handgreiflich – Überlastung, hoher Krankenstand, fehlende Soll-Stellenbesetzung in der Breite, um nur einige Beispiele zu nennen. Dies alles geht zu Lasten der öffentlichen Ordnung und Sicherheit.”

Doch in diesem Vergleich ist das, was Ulbig angekündigt hat, deutlich zu wenig. Gebhardt: “Wie reagiert Innenminister Ulbig darauf: Schließung der Personallücke mit 100 Fachbeamten pro Jahr – zum Beispiel IT-Spezialisten. Außerdem setzt er auch auf Quereinsteiger aus der Bundeswehr. Ihm ist offensichtlich entfallen, wie die Stimmung in der von ihm zu verantwortenden sächsischen Polizei ist und dass er sich hier in direkter Konkurrenz zur Wirtschaft in der Werbung um Fachkräfte befindet. Willkommen im realen Leben. Hier kann sich der Fachmann, die Fachfrau aussuchen, ob sie einen gut bezahlten Job in der Wirtschaft annehmen soll oder in die Reihen der sächsischen Polizei wechseln soll, wo er bei mäßiger Bezahlung reichlich Überstunden machen muss, die Sonderzahlung gestrichen bekommt, quer durchs Land fahren muss usw. Deshalb ist unsere Forderung, die Attraktivität das Berufes eines Polizeibeamten zu erhöhen, den Polizistinnen und Polizisten eine Perspektive zu geben und Schluss zu machen mit sogenannten Dienststellenreformen, Polizeireformen und willkürlichem Personalabbau ohne wirkliche Aufgabenkritik, was alles in Wirklichkeit zu Lasten der Beamtinnen und Beamten und der öffentlichen Ordnung und Sicherheit im Freistaat Sachsen geht.”

Die Kleine Anfrage der Grünen zu Altersabgängen: http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=9781&dok_art=Drs&leg_per=5&pos_dok=-1

Die Tabelle der Grünen-Fraktion zu Altersabgängen bei der Polizei: www.gruene-fraktion-sachsen.de/ab9326db.l

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