Alles begann damit, das Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) sich 2009 nach gewonnener Wahl ans Rednerpult stellte und erklärte, Sachsen müsse massiv Personal abbauen - von 86.000 Stellen runter auf 70.000. Wegen der demografischen Entwicklung. Weniger Volk, weniger Amtsträger. Richtgröße: ein Personalschlüssel wie in den Flächenbundesländern West. Jetzt hat der Rechnungshof das Abbaukonzept auseinandergenommen.

Nicht zur Gänze. Die Berechnungsgrundlage nimmt der Sächsische Rechnungshof nicht auseinander. Aber wenn es an die Details geht, zeigt er schon, dass die gewählte Bezugsgröße Nonsens ist und mit der sächsischen Realität nicht vereinbar. Das hätte Tillich durchaus noch nachholen können. Immerhin sind fast fünf Jahre vergangen seit seiner forschen Ankündigung. Jedes einzelne Ressort hätte fundierte Bedarfs- und Personalentwicklungspläne vorlegen können. Das wäre der notwendige Abgleich mit der Realität gewesen. Aber fünf Jahre lang hat die komplette Ministerriege diese Arbeit verweigert. Stattdessen sind die Streichkonzerte an Hochschulen, Schulen und in der Polizei einfach eingeleitet worden.

Am Montag, 14. April, hat der Sächsische Rechnungshof nun seinen Sonderbericht zum Personalabbau veröffentlicht. Und das Fazit lautet schlicht: “Zur Steuerung dieser radikalen Veränderungen in der Staatsverwaltung ist ein personalwirtschaftliches Konzept erforderlich.”

Es gibt keins. Nirgendwo. Der SRH formuliert es etwas zurückhaltender: “Der Sächsische Rechnungshof hat bei seiner Prüfung festgestellt, dass die konkrete Umsetzung des notwendigen Stellenabbaus bis 2020 in wesentlichen Teilen noch nicht bestimmt ist. Ein Konzept bei der Personalplanung fehlt also.”

Was unter anderem dazu führt, dass der Stellenabbau sich tatsächlich verlangsamt hat. Tatsächlich läuft er etwa auf dem Niveau der Vorjahre, denn auch da hat der Freistaat ja schon Personal abgebaut – von 120.000 auf 86.000 Stellen. Im Bericht des SRH wird auch deutlich: Die meisten Ressorts können gar keine Stellen weiter abbauen, weil sie selbst mit dem noch vorhandenen Personal kaum noch die tägliche Arbeit absichern können. Das trifft auf Lehrer genauso zu wie auf Hochschuldozenten. Die ganze Vergleicherei mit Betreuungsschlüsseln, die im 2009 vorgelegten Konzept niedergeschrieben ist, spiegelt die Wirklichkeit nicht mehr wider – unter anderem mit steigenden Schüler- und Studierendenzahlen.

Der Präsident des Sächsischen Rechnungshofs, Prof. Dr. Karl-Heinz Binus, warnt vor diesem Hintergrund: “In den kommenden Jahren steht die Staatsverwaltung vor einem radikalen Umbruch im Personalbereich. Es geht nicht nur um den Abbau nahezu jeder 5. Stelle (rd. 16.900 Stellen). Hinzu kommt, dass bis 2031 nahezu zwei Drittel der Bediensteten altersbedingt ausscheiden werden. Weil ein ?roter Faden? bei der Personalplanung nicht vorhanden ist, fehlen den Ressorts verbindliche Eckdaten und Instrumente für die eigene Planung. Verwaltungsbereiche, wie die Polizei, die bereits Konzepte erarbeitet haben, besitzen folglich nur eine scheinbare Planungssicherheit.”

Maßgebliche Ursache für ein fehlendes Personalkonzept ist, dass die Festlegung des Stellenziels für den mit Abstand größten Personalkörper in der Staatsverwaltung – den Lehrerbereich – auf spätere Haushaltsjahre verschoben wurde, stellt der Rechnungshof fest. Und jeder Blick in Sachsens Schulen zeigt: Die Abbaupläne sind gefährlicher Unfug. Da ist kein Puffer zum Abbau. Der wurde schon längst in den Legislaturperioden bis 2009 aufgebraucht.

Aber gesteuert wird in Sachsen ja nicht über den tatsächlichen Bedarf, sondern über die fiktionalen Zielgrößen des Finanzministers.

Und der hat 2010 einfach für jedes Ressort straffe rote Linien errechnet, die bis 2020 umzusetzen sind.

Der Rechnungshof gesteht dem Finanzministerium noch das Wörtchen “Modellrechnung” zu: “Damit waren grundlegende Rahmenbedingungen für die Entwicklung der Personalausstattung vorhanden. Zahlreiche Beschlüsse der Staatsregierung in der Folgezeit haben die beschlossene Zielstellung immer mehr aufgeweicht. Waren im Doppelhaushalt 2011/2012 noch 9.318 Stellen offen, die bis zum Jahr 2020 abgebaut werden müssen, sind es im Doppelhaushalt 2013/2014 nunmehr 11.000 Stellen.”

Heißt im Klartext: Die rigiden Sparvorgaben des Finanzministers haben mit der Realität im Land nichts zu tun. In den meisten Ressorts kann gar nicht abgebaut werden können, was man sich da 2009 so forsch ausgerechnet hat.

Aber Binus macht das Spiel mit dieser wilden Rechnerei erst einmal mit. – “Es verbleibt immer weniger Zeit für den Abbau von immer mehr Stellen”, warnt er. “Die im Haushaltsplan 2013/2014 vorgenommene Verschiebung des Stellenabbaus in die Zukunft ist teuer. Sie belastet die Haushalte bis 2020 mit rd. 845 Millionen Euro.”

Aber der SRH selbst sieht, dass es so nicht geht. Der Alarmton ist schlicht falsch an dieser Stelle.70.000 Stellen im Jahr 2020 wären nur rein rechnerisch erreichbar gewesen, wenn zwischen 2012 und 2019 alle aus Altersgründen frei werdenden Stellen in der Staatsverwaltung abgebaut würden.

Aber auch der SRH stellt fest: “Es ist evident, dass nicht jede dieser Stellen abgebaut werden kann. Nachbesetzungen werden allerdings den Stellenbestand im Jahre 2020 auf deutlich über 70.000 Stellen erhöhen. Allein der bereits beschlossene ‘Einstellungskorridor’ für die Polizei und die beschlossene ‘Einstellungstreppe’ für Lehrer bewirken, dass das Stellenziel um rund 4.800 Stellen verfehlt wird.”

Und bei beiden weiß man ja mittlerweile, wie dringend notwendig diese “Aufweichung” ist. Die arg unter Beschuss geraten Minister gestehen damit auch ein, wie illusorisch die rigide Kürzungsvorgabe des Finanzministers war. Und wie weltfremd. Auch Ministerpräsident Stanislaw Tillich hätte gut daran getan, das Personalkonzept wieder an die Realitäten in Sachsen anzupassen.

“Die Angaben, bis wann das Stellenziel erreicht werden soll, sind widersprüchlich”, erklärt der SRH. “Nach Angaben des Sächsischen Staatsministeriums der Finanzen habe das Kabinett im Februar 2012 beschlossen, den Personalbestand nunmehr bis zum Jahr 2020 ff. weiter an den Durchschnitt der Flächenländer-West anzupassen. Dies wies die Staatsregierung im Juli 2013 entschieden zurück und beharrte darauf, das Stellenziel bis zum Jahr 2020 erreichen zu wollen. Wenn der Stellenbestand bis dahin auf 70.000 Stellen gesenkt werden soll, sind flankierende Maßnahmen als Bestandteil eines personal-wirtschaftlichen Konzeptes unerlässlich.”

Sagt der Sächsische Rechnungshof.

Und vergisst den wichtigen Hinweis, dass ja auch die tägliche Arbeit der Staatsregierung die vollmundigen Verkündungen von 2009 als obsolet erscheinen lässt.

Selbst der Stellenabbaubericht von 2012 sah bis 2020 maximal einen Abbau auf 79.318 Stellen als möglich an. Der von 2013 setzt die Zielgröße bei 81.042. Denn seit 2007 – und das waren die Zahlen, die dem Theater von 2009 zugrunde lagen – hat sich der Bevölkerungsverlust Sachsens deutlich verlangsamt. Dafür haben die Steuereinnahmen deutlich zugelegt. Beide Prozesse drücken auch die mögliche Finanzierungskluft, die Tillich noch 2009 an die Wand malte. Wenn der beratungsresistente Ministerpräsident an seinen Zahlen festhält, wird es nicht nur im Gefüge der Staatsverwaltung knirschen. Dann wird es – falls Tillich noch einmal eine Regierung bilden sollte – auch die sächsische Regierung zerreißen. Und einer der ersten, der Tillich aufs Dach steigen wird, wird der Finanzminister sein.

Die deftigen Kommentare der Opposition zu diesem Papier:

Verena Meiwald, Obfrau der Fraktion Die Linke im Haushalts- und Finanzausschuss

“Der von der Staatsregierung vollzogene Etikettenschwindel, der darin bestand, dass mit dem Doppelhaushalt 2013/2014 ein Stellenentwicklungsbericht vorgelegt wurde, ist offensichtlich aufgeflogen. Im Prinzip hatte man dem Stellenabbaubericht von 2011/2012 nur ein neues Deckblatt vorangestellt. Alle sich bereits im Stellenabbaubericht aufgezeigten Widersprüche sind geblieben und haben sich verschärft. Die Zielzahl von 70.000 Stellen ist eine politische Aussage des Ministerpräsidenten, die zu keiner Zeit eine Untersetzung hatte. Sie ist eine lineare Annahme auf zukünftige Volumina des Sächsischen Staatshaushaltes. Die dynamischen Probleme, die sich aus der demographischen Entwicklung sowie aus der Alterspyramide der Staatsverwaltung und dem zukünftigen Personalbedarf ergibt, fanden darin keine Beachtung.

Jetzt rächen sich die schweren Fehler der Stellenplanansätze aus den Doppelhaushalt 2011/2012. Belege dafür sind der nachträglich beschlossene Einstellungskorridor für die Polizei und die beschlossene Einstellungstreppe für die Lehrer, die bewirkt haben, dass das Stellenziel um rund 4.800 Stellen verfehlt wurde. Hier handelte es sich nicht um planmäßigen Haushaltsvollzug, sondern hilflosen Reparaturbetrieb. Das darauf folgende Standortgesetz war ein weiterer falscher Ansatz zur Lösung des Problems.

Im Lichte der anstehenden Beratungen über den Doppelhaushalt 2015/2016 bedarf es noch einmal des kritischen Hinterfragens des Strukturaufbaus staatlicher Verwaltung im Freistaat Sachsen. Ich unterstütze die Forderung des Sächsischen Rechnungshofes, nach einem personalwirtschaftlichen Konzept für den Freistaat Sachsen. Der Wettbewerb um Struktur und Personal für die nächsten drei Doppelhaushalte ist eine der zentralen Gestaltungsherausforderungen im Freistaat. Die Erwiderung der Staatsregierung, dass der Rechnungshof planwirtschaftliche Ansätze verfolge, spricht in ihrer Niveaulosigkeit für sich.”

Antje Hermenau, Vorsitzende der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Landtag

“Der Rechnungshof-Sonderbericht macht deutlich, dass Sachsens verschiedene Staatsregierungen in Sachen Personalplanung ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. Das ist angesichts der Verwaltungsreform und der Kommunalisierung in den Jahren 2007/2008 erstaunlich. Eine umfassende Aufgabenkritik der Verwaltung hätte vor der Reform durchgeführt werden müssen. Ministerpräsident Stanislaw Tillich darf hier nicht so weiterschludern lassen.

Die Grüne-Landtagsfraktion hat die fehlende Aufgabenkritik und das fehlende Personalkonzept schon lange kritisiert. Dieser Blindflug ist der Staatsregierung bei fehlenden Lehrerinnen und Lehrern sowie Polizeibediensteten schon auf die Füße gefallen. Und hinsichtlich der Hochschulen und in der Umweltverwaltung sieht es nicht viel besser aus.

Die Verwaltung ist für die Bürgerinnen und Bürger da und muss funktionieren. Die Staatsregierung macht den Eindruck, Stellenabbau über Altersabgänge einfach nur geschehen zu lassen. Das wird nicht funktionieren. Sinnvoller Stellenabbau muss mit Einstellungskorridoren verbunden werden. Durch das Versagen der Staatsregierung ist es zudem unmöglich einzuschätzen, ob das Ziel des Abbaus der Verwaltung auf 70.000 Stellen realistisch ist oder nicht. Dazu müsste auf Grundlage der Aufgabenkritik ein Personalkonzept erarbeitet und der Handlungsbedarf für jedes Ministerium festgestellt werden.

Die Regierung sollte aufhören, das Abbauziel von 70.000 Beschäftigten unverändert wie eine Monstranz vor sich her zu tragen. Sie muss sich den Fakten stellen.”

Der Sonderbericht des Rechnungshofes als PDF zum download.

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