Fünf Jahre lang tanzte die sächsische Staatsregierung den Eiertanz um den von Stanislaw Tillich (CDU) 2009 verkündeten Stellenabbau auf 70.000 Angestellte bis 2020. Doch in jedem einzelnen Ressort, in dem in dieser Zeit die Schere angesetzt wurde, stellt sich heraus: Mit so wenig Leuten lässt sich der Freistaat gar nicht am Laufen halten. Im Gegenteil. In etlichen Ministerien droht echte Personalnot - auch in der sächsischen Justiz.

Das wurde am 30. April noch einmal deutlich, als das Justizministerium die Sächsische Gerichtsstatistik veröffentlichte. Darin fand man – zu den stabil bleibenden Fallzahlen an Sachsens Gerichten – auch den deutlichen Hinweis auf das drohende Personalproblem.

In der ordentlichen Gerichtsbarkeit Sachsens sind derzeit 756 Richter, 1.026 Beschäftigte des gehobenen Dienstes, 1.746 Mitarbeiter des mittleren Dienstes und 338 Justizwachtmeister (darunter 13 abgeordnete Polizeibeamte zur Unterstützung von Sicherheitsmaßnahmen) tätig.

Die Altersstruktur in der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist inhomogen. Die Altersgruppe der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bis zu 40 Lebensjahren ist in allen Bereichen deutlich unterrepräsentiert, bei den planmäßigen Richterinnen und Richtern liegt sie bei nur 1,5 Prozent.

Ohne gezielte Gegenmaßnahmen werden in rund 10 Jahren etwa die Hälfte der Richterinnen und Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit 60 Jahre und älter sein. Eine erhebliche Verbesserung der Altersstruktur und eine deutliche Verjüngung der Justiz wird nun zentrale Aufgabe der Justizverwaltung.

Und auf diese Nachricht hin reagierte auch endlich die CDU-Fraktion, die in den vergangenen Jahren immer feste zu den Kürzungsplänen der Staatsregierung stand. Aber auch nur, weil zwei namhafte sächsische Justizbeamte einmal deutlich Klartext redeten und eine Verbesserung der personellen Ausstattung der sächsischen Justiz forderten – nämlich der Präsident des Oberlandesgerichts Dresden, Ulrich Hagenloch, und Generalstaatsanwalt Klaus Fleischmann.

“Die Sächsische Union hat das beschriebene Problem erkannt. Das vom Landesvorstand beschlossene Regierungsprogramm für die kommende Legislaturperiode enthält die klare Aussage, dass die Justiz personell bedarfsgerecht ausgestattet wird. Dies ist klares Ziel unserer Rechtspolitik”, erklärte darauf postwendend Marko Schiemann, rechtspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion des Sächsischen Landtages. Womit sich bestätigt, was man schon munkeln hörte: Just im (Landtags-)Wahlkampf 2014 macht die sächsische CDU die Rolle rückwärts und nimmt Abschied von Tillichs 70.000-Stellen-Programm, das sich einfach nicht umsetzen lässt, wenn man nicht ganze Pflichtaufgabenfelder dem Chaos preisgeben will. Etwas, was ja Mitte April auch der Rechnungshof einmal durchrechnete. Und es betrifft nicht nur die Justiz, sondern auch Schulen, Polizei, Hochschulen. Die CDU hat ihr Regierungsprogramm diesmal von ihren Mitgliedern diskutieren lassen. Und wie Kai aus der Kiste tauchen all diese Probleme, die die CDU-Regierung mit ihrer Kürzungspolitik erst geschaffen hat, als Lösungsvorschläge der CDU wieder auf – mehr Lehrer, mehr Polizisten, mehr Justizangestellte.

Und siehe da. Jetzt sehen das auf einmal auch die Abgeordneten der CDU so. Wie Marko Schiemann: “Wir müssen auf die besonders in der Justiz bestehende Altersstruktur mit einem tragfähigen Konzept reagieren. Entscheidend wird es somit sein, für die nächsten Jahre ein personalwirtschaftliches Konzept zu entwickeln, das eine ausgewogene und nachhaltige Stellenplanung für die Sächsische Justiz vorsieht.”

Wenn es nicht wieder so ein Not-Konzept wird wie es 2013 das Kultusministerium für die Schulen gestrickt hat. Kurzfristig wirkende Pflaster helfen nicht mehr. Dazu sind die Personalprobleme mittlerweile viel zu tiefgreifend.

Und auch der Koalitionspartner FDP sieht nun auf einmal, vier Monate vor der Landtagswahl, Handlungsbedarf.

“Justizminister Jürgen Martens weist bereits seit geraumer Zeit auf die demografischen Herausforderungen in der sächsischen Justiz hin und fordert eine zeitlich befristete Aufstockung der Richter- und Staatsanwaltsstellen”, meint Carsten Biesok, rechtspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Sächsischen Landtag, und verwendet dabei tatsächlich noch die Wortmuster der zurückliegenden fünf Jahre. Mit “zeitlich befristet” ist das Problem nicht mehr zu lösen. “Diese Forderung haben wir immer unterstützt. Wir brauchen dringend junge Juristen in der sächsischen Justiz. Nur durch eine kontinuierliche Einstellung der besten Universitätsabsolventen bleibt die Justiz so leistungsfähig, wie sie ist. Wir werden diese Forderung in den kommenden Haushaltsverhandlungen zum Doppelhaushalt 2015/16 weiter verfolgen.”

Aber mit den anderen Problemen, die seit Tillichs 70.000er-Rede angewachsen sind, hat man nichts zu tun. Daran sind die anderen schuld. Biesok: “Aus den Fehlern der CDU-Alleinregierung im Bereich der Lehrer und der Polizei müssen wir lernen. Gerade bei den Lehrern wurden über Jahre hinweg keine Neueinstellungen vorgenommen. Heute müssen wir große Anstrengungen unternehmen, um neues Personal zu gewinnen. Für die sächsische Polizei hatte die FDP im Koalitionsvertrag einen Einstellungskorridor von 300 neuen Stellen pro Jahr durchgesetzt. Da müssen wir nun auch den absehbaren hohen Personalabgängen in der Justiz bereits heute durch vorgezogene Einstellungen vorbeugen.”

“Die drohende Fehlentwicklung im Justizbereich ist ebenso wie der grassierende Personalmangel bei Lehrerinnen und Lehrern sowie bei der sächsischen Polizei Beleg dafür, dass die Staatsregierung seit Jahren konzeptionslos auf personelle und sächliche Kostenersparnis setzt, ohne deren Konsequenzen und Langzeitwirkungen zu bedenken”, stellt dazu der rechtspolitische Sprecher der Fraktion Die Linke im Sächsischen Landtag, Klaus Bartl, fest. “Wir werden nun alle parlamentarischen Möglichkeiten nutzen, um die berechtigte Forderung nach einem jährlichen Einstellungskorridor von mindestens 20 jungen Richtern und Staatsanwälten bis 2020 zu unterstützen. Der Sächsische Richterverein befürchtet eine ‘Justiz zum Discounterpreis’. Mit einer solchen werden die Herausforderungen an die Rechtspflege der Zukunft nicht zu meistern sein.”

Die sächsische Justiz schlage ob der gegebenen Altersstruktur und der bereits jetzt zehnprozentigen Unterbesetzung in der Staatsanwaltschaft höchst berechtigt Alarm, stellt Bartl fest. “Wenn, worauf auch jüngst der Sächsische Richterverein aufmerksam machte, zwischen 2023 und 2033 etwa drei Viertel der Richter und Staatsanwälte in den Ruhestand treten, droht ein Desaster, wenn nicht bereits jetzt gegengesteuert wird – auch und vor allem zur Vermeidung von Erfahrungslücken. Führungspositionen, die altersbedingt frei werden, müssen aus dem Bestand adäquat ersetzbar sein, durch anstehende Beförderungen ausgelöste Nachrückbewegungen ausgleichbar.

Nicht zuletzt wachsende Anforderungen auf Grund neuer Formen vor allem auch international organisierter Kriminalität, deren Bekämpfung ebenso spezielles Fachwissen erfordert wie eine in vielen Fällen komplizierter gewordene Täterstruktur, machen dies notwendig. Zugleich zeigen sich auch in anderen Rechtszweigen wie etwa im Familienrecht gravierende Verfahrenszunahmen, die, wie etwa beim elterlichen Sorgerecht, mit veränderten Rechtslagen einhergehen. Dem Personalmangel bei Richtern und Staatsanwälten muss deshalb ebenso unverzüglich begegnet werden, wie der Abbau des sie in der Rechtspflege unterstützenden Personals im Bereich der Rechtspfleger, Justizsekretäre, Justizwachtmeister etc. gestoppt werden muss.”

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