Wer nichts aufklären will, der klärt auch nichts auf. Ihr Mehrheitsvotum zum zweiten Untersuchungsausschuss "Sachsensumpf" wollen CDU und FDP zwar erst in der nächsten Woche vorstellen. Aber da die Minderheit im Ausschuss weiß, was drin stehen wird, hat sie am Mittwoch, 2. Juli, schon einmal ihr Minderheitenvotum veröffentlicht, das auch den ellenlangen Bandwurm ungeklärter Fragen auflistet. Aber für die Regierungspartei CDU ist scheinbar alles klar: Da war nix.

“Nach unzähligen Stunden Beweiserhebung, die (sic!) Anhörung von Zeugen und der Sichtung zahlreicher Akten ist der 2. Untersuchungsausschuss zu dem Ergebnis gekommen, dass es in Sachsen keinerlei Hinweise auf mafiöse Strukturen bzw. Hinweise auf kriminelle und korruptive Netzwerke unter Beteiligung von Vertretern aus Politik, Wirtschaft, Justiz, Polizei und sonstigen Landes- und kommunalen Behörden in Sachsen gibt”, erklärte postwendend – nach der Veröffentlichung des Minderheitenvotums von Grünen, SPD und Linken – Christian Piwarz, Ausschussmitglied und Obmann der CDU-Landtagsfraktion. Muss er wohl. Man will sich ja die Deutungshoheit nicht wegnehmen lassen. Und wenn man qua Mehrheitsbeschluss feststellt, dass da nichts war, dann war da nichts.

“Insgesamt wurde 18 Zeugen die konkrete Frage nach möglichen Hinweisen auf kriminelle und korruptiven Netzwerken in Sachsen gesellt. Nur ein einziger Zeuge bejahte die Frage, relativierte seine Aussage jedoch später mit dem Hinweis auf die umfangreiche Berichterstattung in den Medien zu diesem Thema”, erklärt nun Piwarz, als wenn es in den Zeugenbefragungen tatsächlich so simpel zugegangen wäre.

Nur einmal den ersten Satz aus dem Minderheitenvotum zitiert: “Der zentrale Befund des 2. UA besteht aus Sicht der einsetzenden Fraktionen in der Feststellung, dass durch Versäumnisse und Fehlentscheidungen sowie ein politisches Klima der Abwiegelung und Abmoderation seitens der Staatsregierung eine tatsächliche, rechtsstaatliche Aufklärung der möglichen Existenz von Personengeflechten ‘krimineller und korruptiver Netzwerke’ in Sachsen nie ernsthaft in Angriff genommen wurde und damit im Ergebnis (gezielt) verhindert worden ist.” Das ist das eigentliche Ergebnis von über fünf Jahren Ausschussarbeit. Denn die zentrale Frage war nicht “Gibt es korruptive Netzwerke in Sachsen”? Sondern: Warum werden sie nicht aufgeklärt und warum werden stattdessen Ermittler an ihrer Arbeit gehindert und Opfer vor Gericht gezerrt?

Denn das Problem solcher Netzwerke in Staat und Justiz ist: Sie haben auch Zugriff auf Entscheiderstellen und sitzen dann – hoppla – nicht nur auf der Anklagebank, sondern auch in Ministerien und juristischen Ämtern. Könnte man eigentlich so stehen lassen, wenn die “Sächsische Zeitung” nichts Eiligeres zu tun gehabt hätte, ausgerechnet einen Mann zu zitieren, der in der ganzen Affäre eine nicht unumstrittene Rolle spielte.”‘Außer Spesen nichts gewesen’, lautet dagegen das Fazit von Norbert Röger, Präsident des Landgerichts Chemnitz”, heißt es in der “SZ”. “Gegen Röger war im Zusammenhang mit der Affäre ermittelt worden, die Vorwürfe erwiesen sich als falsch.” Ein seltsames Fazit.

Denn gerade das Fehlen von Untersuchungen war ja Thema im Untersuchungsausschuss. Und so verkehrt sich aus Sicht der “SZ” alles: “Röger wirft dem Ausschuss eine Missachtung rechtsstaatlicher Prinzipien vor. Er sei als einer der Hauptbetroffenen nie als Zeuge gehört worden – offensichtlich aus Furcht, er könne ‘den Aberglauben’ an das angebliche Netzwerk zerstören. Dem Linken-Abgeordneten Bartl warf er vor, distanzlos und voreingenommen agiert zu haben. Er hätte angesichts seiner öffentlichen Äußerungen zu dem Fall nicht zum Vorsitzenden des Ausschusses gewählt werden dürfen.”

Ein Vorwurf, den Rico Gebhardt, Vorsitzender der Linksfraktion im Landtag, geradezu anmaßend findet. “Es steht der Politik nicht zu, das Verhalten der Justiz zu benoten – das sage ich an die Adresse von CDU und FDP, die in ihren Abschlussbewertungen zum ‘Sachsensumpf’-Untersuchungsausschuss ohne jede Not eine Anklageschrift als ‘schlüssig’ einstufen”, sagt er nun, da die “SZ” praktisch zum Schluss kommt, wie ihn Christian Piwarz vorgegeben hat: “Im Zuge der Aufarbeitung ist es besonders makaber, dass ausgerechnet diejenigen, die damals die Skandalisierung betrieben haben, heute die Aufarbeitung der Staatsregierung kritisieren. Damit wird der Bock zum Gärtner gemacht. Die Opposition ist maßgeblich für den Druck verantwortlich, der auf Staatsregierung und Staatsanwaltschaft noch immer lastet.”

So kann man Schlüsse ziehen: Erst erklärt man die berechtigte Kritik an der fehlenden Aufarbeitung zur Skandalisierung – und dann die nun wiederholte Kritik an der weiterhin fehlenden Aufarbeitung – zur Kritik an der Staatsregierung. Womit eigentlich alle Motive offen liegen: Es darf keine Kritik geben am in Sachsen geübten Staatsverständnis.

Dass die “SZ” den Chemnitzer Landgerichtspräsidenten nun quasi über den Ausschuss urteilen lässt, findet Rico Gebhardt schon sehr pikant: “Ebenso unangemessen ist es, wenn wie jetzt ein Landgerichtspräsident via Tageszeitung mitteilen lässt, dass ein bestimmter Abgeordneter nicht zum Ausschuss-Vorsitzenden hätte gewählt werden dürfen. Ich würde es begrüßen, wenn die Äußerungen von Herrn Röger unter Richtern und Staatsanwälten in Sachsen diskutiert würden. Herrn Rögers polemischen Rundumschlag mit abqualifizierenden Bemerkungen zu diesem U-Ausschuss, dessen Vorläufer bekanntlich in der letzten Legislaturperiode durch eine Verfassungsgerichtsentscheidung arbeitsfähig gemacht wurde, und zur Person des Ausschuss-Vorsitzenden weise ich entschieden zurück. Es ist allgemein bekannt, dass Klaus Bartl nicht nur als Fachpolitiker über Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg großes Ansehen genießt, sondern auch über hohe Reputation als Jurist und Rechtsanwalt verfügt. Er setzt sich mit Nachdruck für Respekt vor der Gewaltenteilung in der Demokratie ein, der mit all diesen Äußerungen kein guter Dienst erwiesen wird.”

Schönes Wort: Gewaltenteilung. Doch damit – das ist das eigentliche Fazit des Ausschusses – steht es in Sachsen nicht zum Besten. Und das liegt auch am Staatsverständnis der regierenden CDU, das Christian Piwarz sehr deutlich zum Ausdruck bringt, wenn er sagt: “Es war von Beginn an klar, dass es in Sachen Aufarbeitung den selbst ernannten Aufklärern von SPD, Linken und Grünen nicht recht zu machen ist.”

Von Respekt zeugt so ein Spruch nicht. Eher von einer fürstlichen Verachtung.

Der sächsische Landtag wird nun im Rahmen der Plenarsitzung am Donnerstag, 10. Juli, offiziell über den Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses informiert.

Das Minderheitenvotum zum Nachlesen: www.gruene-fraktion-sachsen.de/fileadmin/user_upload/ua/Minderheitenberich_UA-Sachsensumpf_Gruene-SPD-Linke_2014-07.pdf

Der “SZ”-Artikel zum Nachlesen: www.sz-online.de/sachsen/abschied-vom-sachsensumpf-2873582.html

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar