In Sachsen hat man sich seit einigen Jahren dran gewöhnt, dass eigentlich keine Woche vergeht, in der es nicht irgendeine staatliche oder politische Drohgebärde gegen Linke oder gleich gar Linksextremisten gibt. Sachsens Regierung betreibt ja die Gleichsetzung von Rechts- und Linksextremismus geradezu exzessiv. Und einige politische Akteure haben schon frühzeitig nicht nur ihr Verständnis, sondern ihre Akzeptanz für fremdenfeindliche Bewegungen wie Pegida, Legida oder AfD bekundet.

Jürgen Roth wundert sich in seiner Analyse in “Der tiefe Staat” überhaupt nicht darüber, dass in einigen sächsischen Regionen im Lauf der letzen 25 Jahre eine rechtsextreme Stimmungslage entstanden ist. Er schildert dazu ein schönes Beispiel aus Sachsen-Anhalt. Aber in Sachsen wird es nicht anders gelaufen sein. Erst wurden die Rechtsextremisten im Ort toleriert, dann wurden sie auftrumpfender und gewalttätiger und begannen, die Gemeinde einzuschüchtern. Und statt einzuschreiten, duckten sich die politisch Verantwortlichen weg, verharmlosten die oft längst schon kriminell geworden Haudraufs als “ordentliche Bürger”. Die Polizei schaute weg oder machte sich gleich selbst lustig über die bedrohten Bürger, die mit ihren Initiativen für eine demokratische Gemeinschaft auf einmal allein standen. Und irgendwann kippt das Ganze, duckt sich auch die Mehrheit weg, hält lieber die Klappe und will gar nicht erst in die Gefahr geraten, selbst zum Angriffsziel der Rechtsextremen zu werden.

Das Muster ist immer wieder dasselbe.

Und wenn dann die gewalttätigen Menschenfeinde auch noch verbale Zustimmung etablierter Politiker bekommen, dann entsteht genau so eine Stimmung, aus der heraus Pegida sich zur “Volksbewegung” mausern konnte.

Natürlich kann Jürgen Roth in seinem Buch nicht alles analysieren. Er trägt vor allem Fallbeispiele zusammen, die sichtbar machen, was aus einem demokratischen Staatswesen wird, wenn der alte chauvinistische Korpsgeist die Regie übernimmt und sich bis in die Behörden hinein frisst. Es entsteht ein Staat im Staate, eben das, was Roth den “tiefen Staat” nennt. Nicht nur ist dieses Netzwerk derer, die ihre Macht nutzen, um demokratische Grundrechte auszuhebeln, von außen nicht mehr kontrollierbar – es entzieht sich auch der demokratischen Kontrolle innerhalb der Landespolitik. Sachsen ist dabei nur ein sehr markantes Beispiel. Aber es macht deutlich, wie sehr diese Denkhaltung mit dem verbunden ist, was man so landläufig als Staatsversagen bezeichnet. Denn das offizielle Gejammer über die Flüchtlinge begann ja schon lange, bevor sie überhaupt in Sachsen ankamen. Und es sind erzkonservative Politiker, die am heftigsten gegen die Asylgesetzgebung wettern und sich gleichzeitig mit rechtsextremen Kadern bei Demonstrationen zeigen.

Wenn aber solche Leute die Atmosphäre prägen und die Stimmführerschaft haben, dann wirkt das natürlich wieder zurück auf eine Bevölkerung, die daran gewöhnt ist, dass ihr Abschottung und Elitedenken als Allheilmittel angepriesen werden. Dann entsteht auch genau die Atmosphäre des “Das dürfen wir eben”, in der Asylunterkünfte nicht nur tagelang belagert, sondern auch angegriffen und angezündet werden.

Verachtung für Menschenrechte und Sozialstaat

Und es sind nicht nur regionale Politiker, die diese Stimmung angeheizt haben. Da muss Roth nicht lange suchen, um auch die Herren Seehofer, Schäuble und de Maizière zitieren zu können mit Sprüchen, die ihr tief verwurzeltes elitäres Denken und ihre Verachtung für Menschenrechte und Sozialstaat deutlich machen. Das schaukelt sich alles gegenseitig hoch. Und man muss nicht lange nachdenken, um hier auch die medial gemachte Verachtung für die Willkommenskultur, für “Gutmenschen” und “Linke” auszumachen. Das hat das Klima der ganzen Republik in den letzten Jahren zunehmend vergiftet. Hohn und Verächtlichmachung bestimmen die politische Debatte. Bis hin zur geradezu irren Behauptung, ein “linker Mainstream” beherrsche die Medien.

Die Verachtung für den kritischen Journalismus haben die deutschen Erzkonservativen mit den Nazis schon immer geteilt. Natürlich wollen sie nicht, dass unabhängig berichtet wird über ihr Zerstörungswerk an der Demokratie. Oder über die unterlassenen Ermittlungen gegen gewalttätige Rechtsextreme, die am Ende oft auch noch vor Gericht geschont wurden. Oder über das Agieren der diversen Geheimdienste, die abseits der Öffentlichkeit ihre eigene Politik machen und Persönlichkeitsrechte der Bürger einfach ignorieren.

Und was die Bundesregierung derzeit anstellt, um die “Flüchtlingsströme zu drosseln”, hat mit demokratischen Grundrechten schon lange nichts mehr zu tun. Stichwort “Khartoum-Prozess”. “Pakt mit Despoten” nennt Pro Asyl dieses Abkommen der europäischen Staaten mit den finstersten Despoten Nordafrikas, um den Strom der Flüchtlinge schon in ihren Herkunftsländern zu stoppen. Man unterstützt genau die Regime, vor denen die Menschen aus Verzweiflung fliehen, bei der Schaffung von Lagern und Hemmnissen, die die Menschen am Flüchten hindern sollen. Das ist perfide.

Das Fazit ist eigentlich recht deutlich:

Unsere Demokratie ist in keinem guten Zustand. Und der alte, überwunden geglaubte chauvinistische Geist ist immer noch lebendig – nicht nur auf der Straße, sondern auch in vielen Amtsstuben und Politikerköpfen. Und einige dieser Akteure lassen keinen Moment locker in ihren Forderungen, Grundrechte immer weiter zu beschneiden und eine Hysterie zu schüren, die vor allem eines zum Ziel hat: eine komplette Entsolidarisierung mit den Armen, den Schwachen, den Heimatlosen. Aber der Hauptfeind dieser Leute – und das muss man endlich einmal formulieren – sind nicht die Flüchtlinge und auch nicht die Linken, sondern es ist unsere Demokratie.

Jürgen Roth Der tiefe Staat, Heyne Verlag, München 2016, 19,99 Euro.

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