Das fiel selbst "Spiegel" und "FAZ" auf, dass da etwas Seltsames vorgeht in Sachsen. "Pegida-Proteste: Sachsen-CDU will Asylpolitik überprüfen" stellte "Spiegel Online" am 27. Dezember fest. Bei "FAZ" hieß es: "Wegen 'Pegida': Sachsen-CDU will Asylpolitik prüfen". Die Quelle war in beiden Fällen DPA, wo man eine Weihnachtsverlautbarung des Generalsekretärs der sächsischen CDU, Michael Kretschmer, verbreitet hatte.

Gerade die sächsische CDU hat die hohe Kunst der guten Verpackung entwickelt. Man lobt das Versammlungsrecht, plädiert für mehr Sachlichkeit und will sich für Lösungen einsetzen. Die Pegida-Demonstrationen in Dresden scheinen da einiges in Bewegung gesetzt zu haben.

Doch hinter der hübschen Verpackung wird stets auch das heilige, sächsische “Aber …” mitgeliefert.

Wenn man die Statements der CDU-Politiker aus Sachsen liest, erkennt man ein erstaunliches Muster, das man vom sächsischen Innenminister Markus Ulbig schon allzu gut kennt: Diskussionsbedarf zuzugestehen – und dann mit einer Pirouette eine weitere Verschärfung von Asylpolitik und Abschiebepraxis zu fordern. Zuletzt praktiziert in der “sächsischen Forderung”, Tunesien zu einem sicheren Drittstaat zu erklären. Erst kurz zuvor hatte sich Ulbig dafür gelobt, dass die sächsische Abschiebepraxis mittlerweile die härteste in ganz Deutschland ist. Nirgendwo wird gründlicher und schneller abgeschoben.

Um so seltsamer wirken die Pegida-Demonstrationen ausgerechnet in Dresden. Vielleicht nicht ganz ohne Grund. Denn wie wirkt eigentlich politische Sprache, wenn sie öffentlich Gastfreundschaft, Integration und Weltoffenheit behauptet, in verschachtelten Sätzen dann aber Ängste schürt vor “Wirtschaftsflüchtlingen”, Einwanderern aus Afrika und Südeuropa? Und dann fast automatisch zur finalen Forderung kommt, die deutsche Asylgesetzgebung müsse verschärft werden, obwohl es schon lange die schärfste in ganz Europa ist?

Wie wirkt das? Erzeugt das nicht genau die Schizophrenie, die sich bei den Pegida-Spaziergängen in Dresden hörbar machte?

Was dann natürlich auch nicht mehr verwundert, dass jetzt reihenweise CDU-Politiker nach vorn preschen und fordern, man müsse die Pegida-Forderungen ernst nehmen und den Dialog suchen. Sind ja eigentlich die eigenen Forderungen irgendwie.

Das führte schon am 17. Dezember Christian Hartmann, Vorsitzender des Arbeitskreises für Innenpolitik der CDU-Landtagsfraktion, exemplarisch vor, als er – mit Blick auf die Pegida-Demonstrationen – so etwas wie “klare Trennschärfe in einer versachlichten Debatte” forderte. Von wem eigentlich? Von der eigenen Partei? Das klingt nicht so.

Hartmann: “Es geht nicht um die Anbiederung an eine gesellschaftliche Gruppe, sondern um die Lösung eines Problems auf dem politischen Weg. Mir muss es nicht gefallen, wofür oder wogegen jemand auf die Straße geht, aber das Recht zu demonstrieren ist ein hart erkämpftes Grundrecht in unserem Land.”

Was er mit klarer Trennschärfe meinte, kam einem dann doch sehr vertraut vor. Gegenseitige Beschimpfungen seien kontraproduktiv, erklärte er. “Wer gegeneinander demonstriert, verwehrt einander den Dialog”, so der CDU-Innenpolitiker. Das ist die alte CDU-Haltung, wie sie auch bei den Februar-Demonstrationen in Dresden immer gezeigt wurde: Gegendemonstrationen sind aus CDU-Sicht eher unerwünscht, egal, ob es Proteste gegen Nazi-Aufzüge oder Pegida-Spaziergänge sind. Dass Menschen mit Gegenprotesten ihre Meinungsfreiheit nutzen und Position beziehen, ist aus CDU-Sicht eher gar nicht mutig.

Mutig zeigt sich die CDU-Landtagsfraktion eher für eine offene Diskussion mit Pegida-Anhängern bereit. “Diese scheuen wir nicht”, so Hartmann. Den Sorgen werde man mit Fakten und sachlichen Argumenten entgegentreten, klischeehafte Pauschalisierungen und Stimmungsmache werde man allerdings nicht dulden.

Immerhin stellte er dann auch noch fest: “Wir haben keine verweichlichte Rechtslage, sondern stehen vor einer globalen Herausforderung.”

Und dann packte er die ganze Zwiespältigkeit sächsischer Politik in einen Satz: “Der Freistaat Sachsen ist bemüht seiner humanitären Verantwortung nachzukommen und Menschen, die von Kriegen und Krisen bedroht werden Schutz zu bieten, gleichzeitig aber auch Menschen in ihre Herkunftsländer konsequent zurück zu führen, deren Asylantrag abschließend abgelehnt wurde oder die straffällig in Erscheinung getreten sind.”

Kürzer geht es eigentlich nicht, zu suggerieren, dass Asylpolitik à la CDU zuerst verhindern soll, dass sächsische Gastfreundschaft von “straffällig in Erscheinung” getretenen Menschen aus anderen Ländern missbraucht werde. Als wenn sie zu Tausenden nach Sachsen strömten, um dieses heimelige Ländchen mit Straftaten zu überziehen.

Fakten? – Keine. Und völlig faktenlos kam dann auch noch seine nächste Behauptung daher, die er so auch auf einer Pegida-Demonstration hätte äußern können: “Es kann nicht sein, dass sich die Bundesrepublik Deutschland allein in diesem Jahr mit über 135.000 Asylbewerbern befasst, während Länder wie Spanien oder Portugal gerade einmal einige hundert Asylanträge bearbeiten.” Als wenn nicht die Mittelmeeranrainer längst mit ganz anderen Flüchtlinggströmen aus Nordafrika zu tun hätten als das immer noch abgeschottete Deutschland, das nur noch Kontingentflüchtlinge hereinlässt.

Und da war er ganz auf einer Wellenlänge mit Markus Ulbig, als er dann gleich noch die Forderung an den Bund nachschob, “das für die Bearbeitung von Asylanträgen zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) so auszustatten, dass diese binnen drei Monate bearbeitet werden können. Außerdem befürwortet Hartmann die Bemühungen des Sächsischen Staatsministers des Innern, Tunesien als sicheres Herkunftsland einzustufen.”

Das hat mit einer klug gestalteten und finanziell ordentlich abgesicherten Asylpolitik nichts zu tun. Das ist reine Abschiebepolitik.

Und nicht viel anders klang dann das, was CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer dann am 19. Dezember als Kommentar auf die Website der Sachsen-CDU setze. Eigentlich noch schlimmer, denn er leitete seinen Text mit einer gewissen Scheinheiligkeit ein: “Selbstverständlich ist die Asyl- und Flüchtlingspolitik nicht ausgenommen von einer kritischen Betrachtung und Diskussion, die sich mit deren Zielen und praktischen Umsetzung auseinandersetzt. Entscheidend ist jedoch die Haltung, mit der wir uns diesen Fragen annehmen. Mich leiten hierbei Prinzipien wie Humanität, Nächstenliebe und Schutz der Menschenwürde. Es ist doch wirklich zum Heulen, wenn wir hilflos zusehen müssen, wie Kinder in zerbombten Häusern in Syrien hausen und Christen im Irak abgeschlachtet werden. Dürfen wir hierbei tatenlos zuschauen? Meine Antwort hierauf ist ein klares Nein!”

Er brauchte dann nur zwei Absätze, um in diesem Mäntelchen aus “Humanität, Nächstenliebe und Schutz der Menschenwürde” wieder ein Loblied auf die knallharte sächsische Abschiebepraxis zu singen: “Nicht alle Menschen haben eine Chance bei uns zu bleiben. Das Asylrecht sieht klare und enge Grenzen vor. Nur ein sehr kleiner Teil der Anträge wird positiv entschieden. Wir Sachsen haben in den vergangenen zwölf Monaten mehr als 1.000 Menschen zurück in ihre Heimatländer geführt. Wir arbeiten daran, die Bearbeitungsfristen von heute sieben auf wieder drei Monate zu verkürzen. So haben die Betroffenen schneller Klarheit und die Zahl der Unterkünfte in Deutschland reicht wieder. Für die Union ist klar, dass abgelehnte Anträge zur Ausreise führen und wir setzen das auch durch.”

Nächstenliebe? Gilt das in Dresden tatsächlich als Nächstenliebe?

Am Samstag, 20. Dezember, legte er dann via DPA noch einmal nach und kündigte an, die Sachsen-CDU wolle als Reaktion auf die Dresdner “Pegida”-Demonstrationen die Zuwanderungs- und Asylpolitik überprüfen. Eine Expertenkommission solle eine kritische Bestandsaufnahme machen. “Wir wollen auch eine ehrliche Einschätzung liefern, welche Versäumnisse es gibt.”

Und dann ließ er auch noch durchgucken, wie sehr die sächsische CDU schon in eigenen Kategorien denkt und nicht nur Zuwanderungspolitik von Asylpolitik trennt, sondern auch noch die Flüchtlingspolitik absondert, denn die von der CDU geplante Kommission “will Unterschiede zwischen Zuwanderung-, Asyl- und Flüchtlingspolitik definieren”.

“Gleichzeitig soll deutlich werden, welche Integrationsanstrengungen wir erwarten”, kündigte Kretschmer an. “Das Erlernen der deutschen Sprache ist eine Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Integration. Im Gegenzug können wir für Flüchtlinge und berechtigte Asylsuchende klare Angebote machen, um ihre Integration zu ermöglichen.”

Als wenn die Menschen, die in Sachsen Asyl suchen, genau solche Angebote nicht annehmen würden. Man setzt einfach Mutmaßungen in die Welt – und staunt dann, dass die dann als Spruch wieder bei Pegida auftauchen.

Für Christin Bahnert, Landesvorsitzende der sächsischen Grünen, ist es wirklich eine Frage, worüber die sächsische CDU eigentlich mit Pegida reden will. Über die eigene Scheinheiligkeit in der Asylpolitik?

“Die CDU sollte Pegida nicht auf den Leim gehen. Sachsen rühmt sich schon jetzt mit dem zweifelhaften Spitzenplatz bei Abschiebungen. Dennoch kommen in Dresden tausende Angstbürger zu Demonstrationen zusammen. Diese wird man auch mit noch schärferer Asylpolitik nicht erreichen”, stellt die Grünen-Vorsitzende fest.

Das Kretschmer in seiner seltsam verstandenen Nächstenliebe auch forderte, Abschiebungen in den kalten Wintermonaten weiter durchzusetzen, fand der Landesvorsitzende der Grünen, Jürgen Kasek, mehr als bedenklich: “Gerade in Zeiten von menschenfeindlichen Pegida-Demonstrationen müssen wir uns unsere Menschlichkeit bewahren. Eine dramatische Abschiebung in Leipzig hat erst kurz vor Heiligabend die menschenverachtende Praxis deutlich gemacht. Mitten in der Nacht werden traumatisierte Menschen unter widrigen Bedingungen abgeschoben – ohne Rücksicht auf die harten winterlichen Bedingungen in ihren Herkunftsländern. Mit christlicher Nächstenliebe hat diese menschenunwürdige Praxis nichts zu tun.”

“Das sollte auch ein CDU-Generalsekretär wissen, wenn er weitere Abschiebungen fordert und diejenigen des Rechtsbruchs bezichtigt, die im Winter aus humanen Gründen nicht abschieben, wie die Länder Thüringen und Schleswig-Holstein. Die CDU wertet mit ihrem Handeln den Stammtisch massiv auf und trägt dazu bei, dass sich Ressentiments verstärken”, benennt Bahnert die Wirkung dieser politischen Statements aus der CDU.

Die Grünen in Sachsen würden deswegen die Petition der Leipziger Thomaspfarrerin Britta Taddiken und des Arbeiterpriesters Dr. Andreas Knapp für einen Winterabschiebestopp unterstützen.

“Wir fordern die Staatsregierung dazu auf, Flüchtlinge menschenwürdig zu behandeln und freuen uns, wenn möglichst viele Menschen die Petition unterstützen”, erklärt der Jürgen Kasek.

Die Onlinepetition “Keine Winterabschiebung in Sachsen” von Britta Taddiken und Dr. Andreas Knapp:

www.openpetition.de/petition/online/keine-winterabschiebung-asyl-ist-eine-frage-der-menschlichkeit

Der Weihnachts-Kommentar von Michael Kretschmer:

www.cdu-sachsen.de/inhalte/2/aktuelles/70210/kommentar-von-generalsekretaer-michael-kretschmer-zur-aktuellen-debatte-ueber-die-asyl-und-integrationspolitik/index.html

Die FAZ zu Kretschmers Vorstoß:

www.faz.net/aktuell/politik/inland/nach-pegida-sachsen-cdu-will-asylpolitik-pruefen-13342679.html

Spiegel Online zum Thema:

www.spiegel.de/politik/deutschland/pegida-proteste-sachsen-cdu-will-asylpolitik-ueberpruefen-a-1010480.html

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