Es sieht ganz so aus, als sei das gerade von der sächsischen Regierung vorgelegte "Gesetz zur Stärkung der kommunalen Investitions- und Finanzkraft" bestens geeignet, die kommunale Finanzkraft zu schwächen. Am Mittwoch, 2. Dezember, fand die Sachverständigenanhörung des Gesetzentwurfs von CDU- und SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag statt. Und sogar ifo-Institut und Rechnungshof hatten ihre Bauchschmerzen.

Sie bemängelten zwar vor allem, dass dieses Programm mit dem Slogan “Brücken in die Zukunft” wieder einen neuen Sonderfonds erzeugt, mit dem die Landesregierung dem Landtag wieder Millionen entzieht, die eigentlich komplett unter sein Budgetrecht fallen. Indem sie das kritisieren, weisen sie noch auf einen anderen Fakt hin: Die Regierung entzieht auch den Kommunen 322 Millionen Euro, über die sie normalerweise frei verfügen könnten. Jetzt aber müssen sie noch aus eigener Kraft Investitionsmittel aufbringen, um diese Gelder überhaupt abrufen zu können.

Das, so schätzen sowohl Linke wie Grüne ein, werden viele sächsische Kommunen nicht schaffen.

Was so honorig als 800-Millionen-Euro-Investitionspaket angekündigt wurde, könnte sich als Bumerang für die eh schon klammen Kommunen erweisen.

“Die Sachverständigenanhörung hat gezeigt, dass der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen große Mängel aufweist. Das bestätigten auch die Sachverständigen, die vom ifo Institut Dresden, dem Sächsischen Rechnungshof sowie aus Kommunen und Landkreisen kamen. Über die Kritik darf die Koalition nicht einfach hinweggehen. Es geht hier um die künftigen finanziellen Spielräume der Kommunen – diese einzuschränken, ist grob fahrlässig und geht zulasten vieler sogenannter weicher Faktoren. Es besteht insgesamt erheblicher Nachbesserungsbedarf im Gesetzesentwurf”, stellt Franziska Schubert, finanzpolitische Sprecherin der Grünen, nach der Anhörung fest.

“Ich fordere die Koalition auf, nachzubessern und Sorge dafür zu tragen, dass Investitionen zur Stärkung des regionalen Wachstums, für Lebens- und Aufenthaltsqualität in Stadt und Land auch künftig möglich bleiben. Investitionen in die Lebensqualität sind ausschlaggebend, damit Menschen in eine Region kommen und bleiben. Dazu gehören gute kulturelle Angebote, ein dichtes soziales Netz, vielfältige Bildungsmöglichkeiten oder Sport. Es wird Sachsen das Genick brechen, wenn man den Kommunen ihren Gestaltungsspielraum bei den freiwilligen Aufgaben weiter beschneidet. Was nützen Brücken, neue Straßen und ähnlich schöne Hüllen, wenn keiner sie nutzt und das Leben fehlt? Straßen zahlen keine Steuern. Es kommt auf die Menschen an.”

Ein Grundproblem des Paketes: Es bindet Gelder, über die die Kommunen eigentlich frei verfügen dürfen, allein für Investitionen.

“Investive Mittel dürfen von den Kommunen – anders als im Land – nicht für laufende Ausgaben verwendet werden. Aber auch die Investition in Sanierungen und Instandsetzungen an Schulen, Kitas und Gebäuden sind Investitionen für die Zukunft”, benennt Schubert ein ganzes Arbeitsfeld, für das die Gelder eigentlich genauso dringend benötigt werden. Und sie zitiert die Oberbürgermeisterin der Stadt Chemnitz, Barbara Ludwig, die darauf hinwies, dass “politisch klug” investiert werden muss hinsichtlich der Zukunftsgestaltung in den Städten und Gemeinden.

“Hier muss der Investitionsbegriff deutlich flexibler gefasst werden. Investitionen gehen immer Hand in Hand mit Folgekosten und Zahlungsverpflichtungen und führen damit in den Kommunen zu Problemen, die von CDU und SPD ausgeblendet werden. Barbara Ludwig machte hier einen guten Vorschlag: die Umwandlung von Teilen der Investitionsmittel in Instandhaltungsmittel. Ich halte das für einen gangbaren Weg”, meint Franziska Schubert und verweist auf die klammen Haushaltslagen in mittlerweile fast allen sächsischen Kreisen und Kreisfreien Städten. Alle stehen ja bekanntlich unter strengster Finanzaufsicht der Landesdirektionen.

“Problematisch ist, dass Kommunen nur dann neue Investitionen beginnen dürfen, wenn sie einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen können. Da stellt sich die Frage, wie die finanzschwachen Gemeinden von diesem Programm profitieren sollen, wenn sie keine Investitionen beginnen dürfen”, sagt Schubert. “Hinzu kommt, dass Folgekosten aus diesen Investitionen im vorliegenden Gesetzentwurf nicht berücksichtigt werden. Im Zuge der Umstellung auf die doppische Buchhaltung fehlt einem Großteil der Kommunen noch die Eröffnungsbilanz – es ist hier also ein Fahren auf Sicht, was ich für fahrlässig halte.”

Und dann ist da noch der Punkt, der auch die eingeladenen Sachverständigen zum Grübeln brachte: Weiß die Landesregierung überhaupt, wie groß der Investitionsbedarf in den Kommunen ist und wo derzeit drängender Handlungsbedarf besteht?

“Was mich überrascht hat, ist das Vorgehen der Koalitionsfraktionen bei diesem Gesetzentwurf”, sagt Franziska Schubert. “Stefan Rix vom Sächsischen Rechnungshof hält eine Datengrundlage für wünschenswert, die den tatsächlichen Investitionsbedarf der Kommunen darstellt. Die Investitionsmittel hätten auch für Instandhaltung und Betrieb genutzt werden können. Es ist mir schleierhaft, warum sich die Goldene Regel: ‘Erhalt vor Neubau’ nicht im Gesetzentwurf niederschlägt. Unklar bleibt auch, warum in diesem CDU/SPD-Gesetzentwurf bei aller angestrebten Planungssicherheit im investiven Bereich laufende und Folgekosten, Instandsetzung und Wartung keine Rolle spielen.”

Ihre Kritik an der Errichtung weiterer Sondervermögen müsse sie nach der Anhörung wiederholen.

“Sowohl Stefan Rix vom Sächsischen Rechnungshof als auch Professor Joachim Ragnitz, ifo Institut, bestätigten meine Kritik. Professor Ragnitz wies darauf hin, dass die Bildung von Sondervermögen ‘politökonomisch problematisch sein können, weil damit eine Einschränkung des Budgetrechts des Parlamentes verbunden ist’. Für mich steht fest, wir brauchen keine weiteren Sondervermögen, das Paket kann über den Kernhaushalt laufen”, nimmt sie einfach mal die ganze heiße Luft aus der Investitionsblase. Das ganze 800-Millionen-Euro-Paket ist künstlich zusammengeschnürt, nimmt aber augenscheinlich keine Rücksicht auf die wirklichen Bedürfnisse der Kommune. Im Gegenteil: Die Bürgermeister und Landräte werden nun wieder gezwungen, sich in umständliche Beantragungsprozesse einzuarbeiten, ohne tatsächlich einen Cent mehr zu bekommen. Denn das ganze Geld wäre ja so oder so geflossen.

Was jetzt entsteht, ist wieder ein haushalterisch kompliziertes Verfahren mit deutlich erhöhtem Bürokratieaufwand. Franziska Schubert: “Diesem Gesetzentwurf ist nicht zu entnehmen, warum Sondervermögen eingerichtet werden müssen und woher der Landesanteil in Höhe von 322 Millionen genommen wird. Professor Ragnitz hat dem Entwurf ‘eine Reihe von Besonderheiten und Ungereimtheiten’ attestiert. – Wenn ich als Abgeordnete einem Gesetz zustimmen soll, noch dazu mit solchen finanziellen Auswirkungen, dann möchte ich genau wissen, worüber ich abstimme. Das ist dem Gesetzentwurf an vielen Stellen nicht zu entnehmen.”

Ähnlich rigoros äußerte sich nach der Sachverständigen-Anhörung im Haushalts- und Finanzausschuss auch Sebastian Scheel, haushalts- und finanzpolitischer Sprecher der Linksfraktion.

“Die Sachverständigen-Anhörung hat unsere Kritik an den undurchsichtigen Auslagerungen von Teilen des Haushaltes in sogenannten Sondervermögen bzw. Nebenhaushalten bestätigt: Bisher haben die Koalitionsfraktionen dafür keinen triftigen Grund vorgelegt. Das steht im Widerspruch zu den Haushaltsgrundsätzen. Wieder mal wird die Ausnahme zur Regel gemacht”, kommentiert er gerade diesen neuen Versuch, dem Landtag einen ganzen Kostenblock aus dem Budgetrecht zu entziehen. Und die Kommunen werden dabei noch bei der Verwendung der ihnen sowieso zustehenden Gelder bevormundet. Scheel: “Der freien Verfügung der Kommunen werden 322 Millionen Euro entzogen, die nun nur noch nach den Vorgaben des Landes ausgegeben werden dürfen. Dabei rächt sich, dass bei den Haushaltsberatungen von den Koalitionsfraktionen der kommunale Finanzbedarf ignoriert worden ist, insbesondere der Kreisfreien Städte, die auch bei dem aktuellen Kommunal-Finanzpaket auf lange Sicht draufzahlen. Eine Lösung für das Stadt-Umland-Problem wurde nicht geschafft.”

Und dann sind da ja noch die 40 bis 60 Millionen Euro, die den Kreisfreien Städten entzogen werden sollen, die derzeit besonders hohen Investitionsbedarf haben.

“Mit den durch 322 Millionen Euro eigenen Landesmitteln erzwungenen Nebenabreden hat sich die Koalition scheinbare Ruhe bis zur Landtagswahl 2019 erkauft”, kommentiert das Scheel. “Das ändert aber nichts daran, dass insbesondere die Kreisfreien Städte weitgehend auf der Finanzierung der notwendigen Schulhaus- und Sporthalleninvestitionen sitzen bleiben. So beteiligt sich das Land am entsprechenden Bedarf in Dresden in Höhe von ca. 130 Millionen Euro im Jahr 2016 nur mit zehn Millionen.”

In Leipzig sieht es nicht besser aus. Es gibt zwar ein kleines Investitionsprogramm für den Schulhausbau in den Kreisfreien Städten. Aber 4 Millionen Euro im Jahr sind bei einem Stau von Projekten in der Größenordnung von 160 Millionen Euro (und das sind nur die schon bezifferten bis 2019) ein Witz.

Und wie das so ist: Aus Sicht von SPD und CDU ging die Anhörung ganz anders aus.

„Die heutige Anhörung hat gezeigt, dass die Zielrichtung unseres Investitionspaketes ‚Brücken in die Zukunft‘  gerade von gestandenen Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern  sowohl der Kreisfreien Städte als auch der Landkreise positiv bewertet wird. Insbesondere die Aspekte der besseren Planbarkeit von Investitionen stießen bei den Sachverständigen auf Zustimmung“, bewertet der Finanzexperte der SPD-Fraktion, Mario Pecher, die Anhörung im Haushalts- und Finanzausschuss.

Aus SPD-Sicht machten die Sachverständigen außerdem einige Änderungsvorschläge, um das Sondervermögen, mit einem Gesamtbetrag von 800 Millionen Euro, für die Kommunen besser handhabbar zu machen.

“Wir werden diese Vorschläge jetzt bewerten und gegebenenfalls in unseren Gesetzentwurf einarbeiten. Unser Ziel ist, dass mit dem kommunalen Investitionspaket alle Kommunen gewinnen“, meint Pecher im Ausblick auf die anstehenden, abschließenden Gespräche. „Das Fundament für die Brücken in die Zukunft ist nun gelegt und wird die nächsten fünf Jahre viele Investitionen unserer Kommunen in Kitas, Schulen, Straßen, ÖPNV oder soziale Einrichtungen tragen.“

Und Jens Michel, finanzpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, erklärt: “Die Anhörung ergab Gewissheit darüber, dass die Koalition mit ihrem kommunalen Investitionsprogramm auf dem richtigen Weg ist. Der Brückenschlag ist gemacht, nun erfolgen die Zierelemente. – Für die CDU-Finanzpolitiker liegt mit der Anhörung eine weitere Bestätigung vor. Artikel 93 der Sächsischen Verfassung lässt eindeutig die Gründung von Sondervermögen zu. Keiner der Sachverständigen hat das Gesetz als verfassungswidrig eingeschätzt. Ich gehe fest von einer Verabschiedung dieses Gesetzes im Dezember-Plenum aus. Die Sachsen können sich auf Investitionen freuen.“

Das soll am 16. Dezember im Landtag erfolgen.

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Es widert mich an, mit welcher Selbstgefälligkeit sich am Gemeinvermögen aller Bürger im Interesse des Machterhaltes vergriffen wird!
Eine Großzahl der Abgeordneten wird mittels Parteiräson gleichgeschaltet, man lügt sich die Taschen voll, gibt sich nicht einmal mehr Mühe, das zu vertuschen und handelt nicht mehr zum Wohle der Städte und Gemeinden.
Expertenmeinungen werden negiert oder man leidet an kognitivem Hörversagen.

Auch vermisse ich den Aufstand der betroffenen Gemeinden! Großes Geducke oder haben diese das noch nicht verstanden?

Es wird nur noch bis zur nächsten Wahl gedacht.
Die Vergemeinschaftung von in Egalität ausartender Verantwortung verhindert nachhaltige und sinnhafte Entscheidungen.
Leider machen sich – siehe Wahlen – immer weniger Menschen darüber Gedanken.
‘Nach mir die Sintflut’ scheint anerkannte Leitkultur zu sein…
Traurig, sehr traurig.

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