Eigentlich war im Abschlussbericht der „Fachkommission zur Evaluierung der Polizei des Freistaates Sachsen“ vom 14. Dezember 2014 ziemlich klar zu lesen: Es reicht nicht. Wenn Sachsen seine Polizei funktionsfähig erhalten will, ist auch der von 300 auf 400 erhöhte Einstellungskorridor viel zu klein, ersetzt nicht mal die Altersabgänge, geschweige denn, dass die seit 2008 aufgerissenen Löcher in der Personalstärke geschlossen werden.

Aber nicht einmal das vom zuständigen Innenminister verkündete „Stopp!“ für die „Polizeireform 2020“ war ein echtes „Stopp!“, denn auch 2015 und 2016 geht der Personalabbau munter weiter. Obwohl der Bericht vom Dezember 2015 auch deutlich zeigte, dass mit dem vorhandenen Personal die Aufgaben gar nicht mehr abgedeckt werden können.

Um die bestehenden Aufgaben erfüllen zu können, so errechnete die Kommission aufgrund von Fallzahlen und Aufklärungsquote, hätte Sachsen im Jahr 2014 zwischen 12.848 und 13.640 Stellen bei der Polizei gehabt haben müssen. Wobei die Kommission die niedrige Aufklärungsquote von NRW nicht für erstrebenswert hielt. „Unter Einbeziehung des anstrebenswerten höheren Leistungsniveaus der Polizeien des Freistaates Bayern und des Landes Hessen spricht sich die Fachkommission für Variante 2 aus.“

Nur standen auch 2015 schon nicht mal mehr so viele Polizisten zur Verfügung, wie in der niedrigeren Variante (12.848) benötigt worden wären.

„Im Betrachtungszeitraum von 2006 bis 2015 wurde der Personalkörper der sächsischen Polizei den Vorgaben zum Stellenabbau entsprechend stetig verkleinert. Im Jahr 2006 standen insgesamt 14.677 Bedienstete zur Verfügung. Bis zum Jahr 2015 verringerte sich die Anzahl der Bediensteten um 1.649, was einer Reduzierung um 11,24 Prozent entspricht“, heißt es im Bericht. Und wenig später: „Im gleichen Zeitraum verringerte sich die Anzahl der bei der Polizei zur Verfügung stehenden Haushaltsstellen um 1.815, das entspricht 12,22 Prozent.“

Das klingt zwar nach 13.028 verfügbaren Bediensteten (wozu alle Bediensteten gehören, nicht nur die Vollzugsbeamten).

Aber es wirkt sich bei Sachsens Polizei derselbe Effekt aus, der auch bei den Lehrern in den Schulen nach jahrelangem Einstellungsstopp und zu niedrigem Einstellungskorridor sichtbar wurde: Der Personalstamm ist überaltert.

Ein Drittel der Beamten ist gar nicht einsetzbar

Und das führt dazu, dass jeden Tag rund ein Drittel der Polizisten aus diversen Gründen – zumeist aus Krankheitsgründen – gar nicht verfügbar ist.

Oder im Text des Berichtes: „Die Untersuchungen haben gezeigt, dass aufgrund diverser Ausfall- und Abwesenheitszeiten im Durchschnitt nur 7.388 Polizeivollzugsbeamte für die tägliche Dienstverrichtung zur Verfügung stehen. Das heißt im Umkehrschluss, dass dauerhaft etwa 32 Prozent der Polizeivollzugsbeamten aus oben genannten Gründen nicht vorhanden oder einsetzbar sind.“

Und auch hier gilt: Der zuständige Minister hätte frühzeitig umsteuern können und müssen. Denn die Zahlen müssen ihm ja vorgelegen haben. Wenn nicht, dürfte das durchaus zu denken geben.

Aber bis 2014 hielt Ulbig stur am viel zu niedrigen Einstellungskorridor fest. Erst die SPD brachte im Koalitionsvertrag die Erhöhung des Einstellungskorridors von 3.090 auf 400 unter. Die Staatsregierung meldete im Januar 2015 regelrecht selbstbewusst: „Der Schutz vor Verbrechen und die Aufklärung von Straftaten stellt die Polizei vor immer neue Herausforderungen. Mit der Erhöhung des Einstellungskorridors für Polizeianwärter um 100 Stellen auf 400 Stellen pro Jahr ist sichergestellt, dass junge und gut ausgebildete Nachwuchskräfte in den Polizeidienst gelangen.“

550 Neueinstellungen pro Jahr sind notwendig

Aber auch das war zu wenig. Das kritisiert auch immer wieder die Linksfraktion. Sie sprach schon damals von 550 bis 600 notwendigen Neueinstellungen jedes Jahr.

Und die Zahl wurde jetzt von der Fachkommission zur Evaluierung der Polizei vollumfänglich bestätigt.

„Die Erhöhung des Einstellungskorridors im Jahr 2015 von 300 auf 400 führt erst ab dem Jahr 2018 zu mehr Absolventen der Polizeifachschulen und korrespondiert dann mit einem steigenden Altersausscheiden von Polizeivollzugsbeamten. Daher würde es nach den bisherigen Planungen trotz des bereits angehobenen Einstellungskorridors zwangsläufig zu einem weiteren Rückgang der Anzahl der Polizeivollzugsbeamten kommen. Somit wird die im Kapitel 5 vorgeschlagene Personalausstattung nur dann zu erreichen sein, wenn die jährlichen Einstellungszahlen deutlich oberhalb des Altersabgangs und der sonstigen Fluktuation liegen.“

Und wenig später heißt es: „Die notwendige Erhöhung der Personalzahl der sächsischen Polizei ist nur zu erreichen, wenn die Zahl der Neueinstellungen von Absolventen der Polizeifachschulen und der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH) in den Polizeidienst über der Anzahl der Altersabgänge und der sonstigen Personalfluktuation liegt. Dies wäre nach vorliegenden Prognosen zur Entwicklung des Personalkörpers der sächsischen Polizei bei jährlichen Einstellungen in einer Größenordnung ab 550 der Fall. Mithin schlägt die Fachkommission eine Anpassung des Einstellungskorridors für die Übernahme nach der Ausbildung in den Polizeidienst auf mindestens 550 vor.“

Und das auch vor dem Hintergrund, dass mindestens mit stagnierenden, wahrscheinlich aber sogar leicht steigenden Fallzahlen zu rechnen ist. Was bedeutet, dass die Zahl der Polizeibediensteten eigentlich möglichst schnell von 13.000 auf 14.000 angehoben werden muss.

Polizei muss um 998 Stellen aufgestockt werden

Im Bericht heißt es dazu: „Daher spricht sich die Fachkommission nach Abwägung aller vorliegenden Erkenntnisse bei der Stellenausstattung der sächsischen Polizei für einen Zukunftsaufschlag in Höhe von 400 Stellen aus. Mithin empfiehlt die Fachkommission unter Berücksichtigung der aktuellen Belastung sowie der prognostizierten Belastungsentwicklung eine Stellenausstattung der sächsischen Polizei in Höhe von 14.040 Haushaltsstellen. Gegenüber dem aktuellen Stand bedeutet dies eine Erhöhung um 998 Stellen (ca. 7,7 Prozent) und im Vergleich zur bisherigen Zielgröße von 12.022 um 2.018 Stellen (ca. 16,8 Prozent). Diese Größenordnung erscheint auch finanzpolitisch vertretbar.“

Wirklich widersprochen hat dem auch der Innenminister nicht.

Und warum taucht das jetzt hier auf?

Weil wieder einmal die Linke nicht warten will, bis sich die Granden der CDU in Hinterzimmergesprächen geeinigt haben darüber, was von dem festgestellten Bedarf  jetzt man so gnädig ist, auch zu gewähren. Immerhin steht ja nicht nur die Bemerkung zum „finanzpolitisch Vertretbaren“ drin. Am Ende läuft es bei den derzeitigen Strukturen der Regierung darauf hinaus, dass ohne gnädige Zustimmung des Finanzministers keiner zuckt und gar nichts läuft. Selbst wenn da Geld da ist.

Deswegen beantragt die Linksfraktion jetzt unter anderem, dass dem Landtag bis zum 31. Mai 2016 ein Umsetzungskonzept für die im Kommissionsbericht geforderten Sach- und Personalausstattungen der sächsischen Polizei vorgelegt wird. Und die Linken beantragen, jetzt tatsächlich zu tun, was seit 2014 immer nur angekündigt wurde, „unverzüglich die erforderlichen Vorkehrungen dafür zu treffen, um den weiteren Vollzug und die weitere Umsetzung des ‚Projekts: Polizei.Sachsen.2020‘ und der danach vorgesehenen Umsetzungsmaßnahmen im sächlichen, organisatorischen, personellen und finanziellen Bereich auszusetzen.“

Aber das Wichtigste ist wohl die schnellstmögliche Erhöhung des Einstellungskorridors auf (mindestens) 550. Denn nur so lässt sich der Verlust einer kompletten Hundertschaft von Polizisten jedes Jahr überhaupt noch ausgleichen.

Der Antrag der Linksfraktion im Landtag mit dem Bericht der Kommission zur Evaluierung der sächsischen Polizei.

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