Wo werden eigentlich die großen Leitlinien der heutigen Politik entschieden? Kann es sein, dass das auf scheinbar völlig unpolitischen Konferenzen passiert? Wie auf den mittlerweile legendären Bilderberger-Konferenzen, deren nächste für so Manchen überraschend in Dresden stattfindet: Vom 9. bis 12. Juni fliegen die Bilderberger ins Kempinski-Hotel Taschenberg-Palais ein.

Sie verkaufen ihre Treffen gern als rein informelle Treffen von Staatsmännern, Wirtschaftsbossen und Medienleuten aus aller Welt. Nicht irgendwelche. Hier trifft sich seit über 60 Jahren die Elite der nordatlantischen Entscheider. Sehr verschwiegen, sehr verschlossen. Offizielle Statements zu möglichen Ergebnissen der Konferenz gibt es nicht. Selbst die eingeladenen Spitzenjournalisten berichten nicht über den Kongress. Möglicherweise, weil man wirklich nur „Unter vier Augen“ geplaudert hat. Kann sein. Aber Vieles deutet darauf hin, dass auf diesen gut abgeschotteten Konferenzen in der Vergangenheit nicht nur manchmal sehr schwierige Abstimmungen zwischen den Europäern und den Amerikanern zustande kamen, sondern auch Entscheidungen ihren Ursprung haben, die in der Folgezeit die Politik am Nordatlantik bestimmt und verändert haben. Dazu gehören auch die diversen Freihandelsabkommen der USA.

Und darüber wurde nicht berichtet?

Möglicherweise, so vermutete Uwe Krüger 2007 in einem Beitrag, weil die Journalisten, die drinnen saßen und emsig mit berühmten Staatsmännern plauderten, selbst Teil eines Netzwerkes sind, das gar nicht möchte, dass über die Ergebnisse oder Themen der Konferenz berichtet wird. Während kritische Journalisten immer wieder erlebten, dass sie beim Versuch, in die Konferenz zu kommen, für Stunden von staatlichen Organen festgehalten und verhört wurden.

Das passt nicht zusammen, so Krüger: „Interessant ist dabei, dass die Konferenz offensichtlich von staatlichen Sicherheitsorganen geschützt wird, wo doch die Organisatoren stets betonen, das Treffen sei rein privat – ergo müssten eigentlich auch die Kosten für die Sicherheit privat getragen werden.“

Und genauso ist es nun auch in Dresden, das die „taz“ für einen überraschenden Kongress-Ort der Bilderberger hält. Immerhin ist auch Bundeskanzlerin Angela Merkel mit einigen ihrer Minister eingeladen. Das macht man normalerweise nicht, wenn es nicht explizit um Entscheidungen und Haltungen der deutschen Regierung ginge. Die sächsische Regierung darf auch ein bisschen Mäuschen spielen, aber nur mehr alibimäßig. Das erfuhr der Linke-Abgeordnete Enrico Stange jetzt auf Nachfrage. An einem Abendessen darf der Ministerpräsident teilnehmen: „Herr Ministerpräsident Stanislaw Tillich wurde am 23. März 2016 durch das Organisationsbüro der Bilderberg-Konferenz eingeladen. Er nimmt ausschließlich an einem Abendessen teil. Nach Kenntnis der Staatsregierung sind darüber hinaus weitere Mitglieder der Staatsregierung oder Vertreter nachgeordneter Behörden nicht eingeladen worden.“

So viel zur Rolle Sachsens in der Welt.

Aber das gilt – so die Auskunft von Fritz Jaeckel, dem Leiter der Staatskanzlei – auch für alle anderen Landesregierungen in Deutschland. Stange hatte auch extra gefragt, wer nun für die Sicherheit der Konferenz zuständig ist. Das seien – so Innenminister Markus Ulbig – der Veranstalter selbst für den Veranstaltungsort. Und:  „Zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Dresden, zum Schutz von teilnehmenden Schutzpersonen des Bundes und der Länder sowie ausländischer Gäste während der Konferenz und zur Gewährleistung eines ungestörten Ablaufs der Veranstaltung sind die Polizei des Freistaates Sachsen, das Bundeskriminalamt und die Stadtverwaltung Dresden im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeit eingebunden.“

Mehrere der Bilderberger-Teilnehmer, die Krüger seinerzeit befragte, wiegelten ab und erklärten die Konferenz aus Journalisten-Sicht eher als gute Gelegenheit, Politiker hautnah zu erleben und etwas über politische Hintergründe zu erfahren. Der Rest sei Diskretion. Aber auch der „Spiegel“ machte 2012 darauf aufmerksam, dass sich die “Mächtigen der Welt“ zu allerlei streng abgeschirmten Konferenzen immer wieder treffen – zum Beispiel beim Weltwirtschaftstreffen. Aber über letztere wird berichtet, es gibt Pressekonferenzen und Statements. Bei den Bilderbergern aber nicht.

Und genau hier läge das Problem, merkte Jens Berger 2013 im „Spiegelfechter“ an: „Es ist nun einmal keine Petitesse, wenn sich die Verursacher der Finanzkrise in trauter Runde mit den Spitzen der Politik treffen, die dem Finanzsystem eigentlich Leitplanken aufstellen sollten. Der Bürger hat ein Recht, über solche Treffen informiert zu werden, auch wenn sie sich qualitativ kaum von Kamingesprächen unterscheiden, die täglich unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden.“

Bergers Fazit: „Bilderberger und Verschwörungstheoretiker leben in bester Symbiose zusammen. Solange die Bilderberger als Geheimzirkel agieren, bieten sie Verschwörungstheoretikern eine Steilvorlage für einen Bestseller nach dem anderen.“

Eingeladen werden übrigens immer nur 120 bis 150 Gäste. Kongresssprache ist englisch. Und zumindest einen roten Faden gibt es vom ersten Kongress 1954 an: den Versuch, us-amerikanische und europäische Interessen im Dialog abzuklären und dabei über „Megatrends“ und die Hauptprobleme, mit denen die Welt konfrontiert ist, zu diskutieren. Da ist es dann eher erstaunlich, dass aus dieser Gruppe der „politischen Führer“ und „Wirtschaftexperten“ so wenige Lösungen kommen. Oder es sind naturbedingt die falschen Lösungen, die eben nicht zur Problementschärfung beitragen. Immerhin waren schon 2015 beim Treffen in Telfs-Buchen in Österreich Cyber-Sicherheit, Russland, Großbritannien, Griechenland, der Mittlere Osten, der Terrorismus usw. Thema. Alles Themen, die auch ein Jahr später noch ungelöst vor sich hingären.

Entweder treffen sich da also Leute, die zu Problemlösungen nicht in der Lage sind. Oder sie können nicht wirklich miteinander und reden tatsächlich nur, also eher ein Promi-Treff, bei dem sich alle mal wohlfühlen, ohne unter dem leidigen Druck zu stehen, jetzt mal endlich Nägel mit Köpfen machen zu müssen.

Aber da alle so schön diskret sind, bleiben nur Vermutungen.

Anfrage von Enrico Stange zur Teilnahme der Staatsregierung an der Bilderberger-Konferenz. Drs. 4842

Anfrage zur Sicherung der Bilderberger-Konferenz in Dresden. Drs. 4841

In eigener Sache

Jetzt bis 9. Juni (23:59 Uhr) für 49,50 Euro im Jahr die L-IZ.de & die LEIPZIGER ZEITUNG zusammen abonnieren, Prämien, wie zB. T-Shirts von den „Hooligans Gegen Satzbau“, Schwarwels neues Karikaturenbuch & den Film „Leipzig von oben“ oder den Krimi „Trauma“ aus dem fhl Verlag abstauben. Einige Argumente, um Unterstützer von lokalem Journalismus zu werden, gibt es hier.

Überzeugt? Dann hier lang zu einem Abo …

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar