Es sind nicht nur Bundes- und Landesregierungen, die sich beim Regieren ungern in die Karten schauen lassen wollen. Selbst auf kommunaler Ebene greifen Bürgermeister zu Mitteln, die die Öffentlichkeit von wichtigen Entscheidungen ausschließen. Ein solcher Fall war am 16. November 2015 Thema vor dem Verwaltungsgericht Chemnitz. Da ging es um eine Freiberger Geheimhaltungsklausel, die jetzt auch den Sächsischen Landtag beschäftigt.

Die Grünen-Fraktion macht es zum Thema. Denn mit dem, was da in Freiberg verordnet wurde, wurde ein Verständnis von Politik sichtbar, das mit Bürgernähe und Transparenz nichts mehr zu tun hat.

Einer Freiberger Stadträtin war im Wege einer einstweiligen Anordnung untersagt worden, Stadtratsunterlagen vor Eintritt in die jeweilige öffentliche Sitzung des Freiberger Stadtrats im Internet oder auf anderem Wege zu veröffentlichen. Die Stadt Freiberg hatte die Untersagung mit Verweis auf die Geschäftsordnung begründet.

Die Geschäftsordnung des Freiberger Stadtrats wiederum beruht in Teilen, zumindest hinsichtlich der Formulierungen zu Beratungsunterlagen, auf Formulierungsvorschlägen der „Muster-Geschäftsordnung des Sächsischen Städte- und Gemeindetages für Gemeinderat und Ausschüsse in Sachsen“. Dort heißt es in § 8 Abs. 2: „Beratungsunterlagen dürfen ohne Zustimmung des Bürgermeisters nicht an Dritte weitergegeben werden.“ Die Mustergeschäftsordnung wird den Mitgliedern des Städte- und Gemeindetages als Formulierungshilfe zur Verfügung gestellt.

Aber das Chemnitzer Verwaltungsgericht stellte eindeutig fest, dass diese Formulierung gegen die Sächsische Gemeindeordnung verstößt. Denn die garantiert die Öffentlichkeit von Ratsentscheidungen.

Das Gericht stellte in der Begründung seines Beschlusses fest, dass das pauschal angeordnete umfassende Verbot der Weitergabe von Beratungsunterlagen an Dritte ohne Zustimmung des Bürgermeisters mit dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung über die Verschwiegenheitspflicht von Gemeindevertretern nicht vereinbar sei. Die Verpflichtung zur Geheimhaltung könne nach § 19 Abs. 2 Satz 4 SächsGemO nur aus Gründen des öffentlichen Wohls oder zum Schutz berechtigter Interessen Einzelner und damit grundsätzlich nur im Einzelfall angeordnet werden. Die Regelung der Geschäftsordnung verkehre dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis ins Gegenteil.

Der Fall wanderte weiter zum Oberverwaltungsgericht in Bautzen. Einige lokale Akteure in Sachsen sind also durchaus der Meinung, dass ihre Politik nicht den unmündigen Augen des Wählers offenkundig sein darf. Anders ist diese Rückkehr zur Geheimpolitik nicht zu verstehen.

Dürfen Beschlussvorlagen von Stadt- und Landkreisräten im Vorfeld von Ratssitzungen veröffentlicht werden? Oder unterliegen sie der strikten Geheimhaltung? Diese Frage will die Grünen-Landtagsfraktion in der Sitzung des Innenausschusses am heutigen Donnerstag, 19. Januar, klären. Der entsprechende Antrag der Fraktion steht auf der Tagesordnung des Ausschusses.

„Nach einem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Bautzen in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren der Stadt Freiberg gegen eine Stadträtin wegen der Veröffentlichung von Unterlagen, kommen immer mehr Kommunen offenbar auf die absurde Idee, keinerlei Dokumente für ihre Sitzungen mehr im Vorfeld zu veröffentlichen“, kritisiert Valentin Lippmann, kommunalpolitischer Sprecher der Fraktion, diesen schleichenden Prozess, der Kommunalpolitik vor den Augen der Bürger unsichtbar macht. Leipzig kennt zwar auch die Nichtöffentlichkeit vieler Dokumente – aber in der Regel handelt es sich da um Gutachten, Verträge und sensible Dokumente, die meist auch Interessen Dritter berühren. Die wesentlichen Entscheidungsgrundlagen aber sind in der Regel alle im Ratsinformationssystem zugänglich. Die Verwaltung stellt sich damit auch der öffentlichen Auseinandersetzung. Aber in einigen sächsischen Kommunen scheinen mittlerweile wieder Akteure am Werk zu sein, die Politik als Hoheitsrecht begreifen. Fast feudale Zustände, könnte man sagen.

„Die Gemeindeordnung sieht eine solch rigide Geheimhaltung von Unterlagen, die die Kommunen betreffen, nicht vor. Den Bürgerinnen und Bürgern wird es so unmöglich gemacht, sich im Vorfeld öffentlicher Sitzungen ihrer Räte zu informieren. Gleichzeitig soll es den Mitgliedern der Räte verboten sein, sich im Vorfeld einer Sitzung zu den Themen auszutauschen“, kritisiert Lippmann diese Rückkehr der feudalen Schulzenpolitik, die den Bürger als unmündig betrachtet und bei der Entscheidungsfindung auszugrenzen versucht. „Diese um sich greifende Restriktion steht diametral zu der etwa in Leipzig, Dresden und Chemnitz bislang bestehenden Praxis und guten Übung, Ratsunterlagen vor den Sitzungen für alle zugänglich ins Internet zu stellen. Ich fordere Innenminister Markus Ulbig auf, klarzustellen, dass es bei dieser Praxis bleiben kann. Ansonsten machen wir das letzte Interesse von Bürgerinnen und Bürgern an demokratischen Willensprozessen in unserem Freistaat endgültig zunichte.“

Gerade konservative Bürgermeister scheinen die neue Geheimniskrämerei zu lieben. Zuletzt hat der Meißner Oberbürgermeister verfügt, dass die ausführlichen Unterlagen für Stadtratssitzungen und Ausschüsse nicht mehr online im Ratsinformationssystem der Stadt veröffentlicht werden dürfen und damit einen Sturm der Entrüstung in allen Ratsfraktionen ausgelöst. Zuvor hatte bereits der Kreistag von Mittelsachsen seine Geschäftsordnung dahingehend geändert, dass künftig alle Kreisräte bis zur öffentlichen Sitzung über Gremienvorlagen Stillschweigen zu wahren haben.

Eine beängstigende Entwicklung in Zeiten zunehmender Erwartungen der Bürger an transparente und barrierefreie Politik. Augenscheinlich muss wirklich erst der Landtag ein klares Wort sprechen, damit diese sehr seltsame Auslegung der Gemeindeordnung ein Ende findet.

Der Grünen-Antrag „Veröffentlichung von Beratungsunterlagen von Gemeinde- und Stadträten – rechtliche Unsicherheiten durch mit Kommunalrecht unvereinbaren Geschäftsordnungen beseitigen“ (Drs 6/5474).

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