Wie bekommt man endlich Vernunft in die sächsische Hochwasserschutzpolitik? Und wie kommt man endlich weg vom viel zu teuren technischen Machbarkeitswahn, der den Hochwasserschutz in Sachsen dominiert? Das ist das Thema eines Antrags der Grünen-Fraktion, der am Freitag, 20. Januar, Thema einer Anhörung im Sächsischen Landtag war.

„Ökologischen Hochwasserschutz in Sachsen stärken – deutlich mehr Überschwemmungsflächen an sächsischen Gewässern schaffen“ heißt der Antrag, mit dem sich der Umweltausschuss des Landtages beschäftigte. Und ein Großteil der geladenen Fachleute bestätigte die grundsätzliche Kritik an der fehlenden Umsetzung eines Auenprogramms in Sachsen. Die Sachverständigen teilten in ihrer Mehrheit den Ansatz des Grünen-Antrages, die Schaffung von Überschwemmungsgebieten an den Flüssen endlich in Angriff zu nehmen.

„Der Schwerpunkt der Hochwasserschutzmaßnahmen in Sachsen lag seit 2002 beim technischen Hochwasserschutz. Der Ausbau von Deichen, Mauern und Beton ist leider nach wie vor das Maß der Dinge für die CDU/SPD-Koalition in Sachsen. Dies führt oft nur zu einer Verschiebung der Probleme. Immer höhere Mauern machen aus natürlichen Hochwasserereignissen erst Katastrophen, denn Überflutungsflächen werden abgetrennt, das Wasser wird dadurch eingeschnürt und erreicht immer höhere Geschwindigkeiten“, erklärt Wolfram Günther, umweltpolitischer Sprecher der Grünen.

Vor allem werden die Probleme stromab verlagert, weil die natürlichen Überschwemmungsflächen an den Oberläufen fehlen. Immer noch fehlen. Denn die 2,4 Milliarden Euro, die Sachsen seit 2003 in den Hochwasserschutz gesteckt hat, flossen zu 99 Prozent in immer stärkere technische Bauwerke.

Und das, obwohl alle Beteiligten wissen, dass Wassermassen, die man schon in den Auen am Oberlauf halten kann, die Lage am Unterlauf, wo meist gerade die teuren städtischen Strukturen geschützt werden müssen, deutlich entspannen.

„Kontrollierte Überflutungsflächen können Hochwasserschäden wesentlich effektiver reduzieren. Das Wasser hat auf ausgewählten unbebauten Flächen Platz zum Abfließen und Versickern. Die Sachverständigen betonten deutlich, dass es im Hochwasserschutz immer um einen Mix von Maßnahmen gehen muss. Technischer Hochwasserschutz allein kann die Probleme nicht lösen“, sagt Günther. „Trotz dieses Wissens wurden seit der großen Flut 2002 nur 0,4 Prozent von insgesamt bis heute in Sachsen für den Hochwasserschutz verwendeten 2,4 Milliarden Euro für die Schaffung von Überschwemmungsflächen und damit für die Ursachenbekämpfung eingesetzt.“

2002 war das Problem kurzzeitig sogar Regierungshandeln. Das war nach der ziemlich überraschend eintretenden Jahrhundertflut, die Sachsen damals als Katastrophengebiet kurzzeitig zum Thema in den Nachrichten machte. Es folgte nicht nur eine erstaunliche Solidaritätswelle – es gab auch kurzfristig richtig viel Geld von der Bundesregierung, damit Sachsen sich für künftige Hochwasser besser schützen könnte. Und das war wohl der Fehler. Denn diese Geldspende schwemmte die kurzzeitig fast vernünftige sächsische Ideenfindung zum Hochwasserschutz einfach weg. Denn wenn ein Land nicht viel Geld hat, dann ist es gezwungen, natürliche, nachhaltige und möglichst kostengünstige Lösungen zu finden.

Das sind in diesem Fall die alten, ursprünglichen Auen der Flüsse, die man nur wieder freigeben muss. Zeitweilig war dazu ein über 10.000 Hektar umfassendes Rückbauprogramm für die einschnürenden Deiche vorgesehen. Doch kaum gab es das Hilfssignal aus Berlin, schrumpfte der Bestand zusammen. Von den nach dem Jahr 2002 ursprünglich 49 in Sachsen geplanten Deichrückverlegungen und Poldern sind erst sieben Maßnahmen umgesetzt. Eine weitere ist aktuell im Bau. Damit konnten bisher von den ursprünglich geplanten 7.500 Hektar erst 260 Hektar Überflutungsflächen gewonnen werden.

Jetzt appelliert Wolfram Günther an Umweltminister Thomas Schmidt (CDU), er müsse endlich handeln, nachdem es dessen Amtsvorgänger Kupfer über Jahre einfach ausgesessen hatte. „Es kann jederzeit zu neuen Hochwasserkatastrophen kommen. Flüsse brauchen mehr Raum, auch in Sachsen. Deshalb muss die Einrichtung von Rückhalteflächen endlich oberste Priorität bekommen“, fordert Günther.

Dass aber auch Schmidt nicht so richtig will, hat mit der Klientel zu tun, auf deren Wohlwollen er so angewiesen ist als Landwirtschaftsminister: den Bauern. Oder besser: den großen Agrarbetrieben. Denn es sind nicht die kleinen Bauern, die in Sachsen die Agrarpolitik vor sich hertreiben, sondern die großen Agrarfabriken, die bislang alles, was zum Umweltschutz in der sächsischen Landwirtschaft geplant war, torpediert oder verwässert haben. Auch den Versuch, die flussnahen Flächen wieder dem Fluss zu öffnen und nicht mit gigantischen Deichen zu verteidigen.

„Für einen wirksamen Hochwasserschutz muss dringend die Landwirtschaft als Partner gewonnen werden“, betont Günther deshalb. „Dazu sind funktionierende Entschädigungsregelungen mehr als überfällig. Denn Gelder für den zur Deichrückverlegung nötigen Flächenankauf und für Ausgleichszahlungen bei Ertragsausfällen im Überschwemmungszeitraum kommen die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler um ein Vielfaches billiger als die weitere Konzentration auf den technischen Hochwasserschutz und die Beseitigung der Folgeschäden von Überschwemmungen. Nach der Flut 2002 wurden zwar Hochwasserkonzepte mit Poldern, Deichrückverlegungen und Überschwemmungsgebieten entwickelt. Doch davon ist bisher fast nichts umgesetzt.“

Ziel des Grünen-Antrages ist ein landesweites Konzept für die Schaffung von Überschwemmungsflächen an sächsischen Gewässern.

„Zusätzlich wollen wir die Wasseraufnahmefähigkeit der Böden in Sachsen in der Fläche erhöhen. Dazu schlagen wir vor, dass eine Null-Neuversiegelungsrate in Sachsen als verbindliches Ziel bis zum Jahr 2025 festgeschrieben wird“, nennt Günther ein weiteres Anliegen. Denn es sind die versiegelten Flächen, von denen die Wassermassen besonders schnell in die Flüsse ablaufen. Die hochverdichteten Ackerböden kommen als Problem noch dazu.

Wie es zu diesem Problemknoten kommen konnte, schilderte der Sachverständige Georg Rast, Referent für Wasserbau und Hydrologie beim World Wide Fund For Nature (WWF-Deutschland): „Saisonale Hochwasser, verursacht durch starke Niederschläge im Einzugsgebiet oder die Schneeschmelze sind natürliche Vorgänge an sächsischen Flüssen. Durch Deichbau und Landnutzung wurde in den letzten 150 Jahren jedoch die Überflutungsfläche radikal verringert. Dadurch stieg das Hochwasserrisiko entlang der Flüsse drastisch an.“

Es ist der Mensch, der den Flüssen immer mehr auf die Pelle gerückt ist und sich jetzt wundert, dass die Flüsse ihm auf die Pelle rücken.

Georg Rast: „Durch die Sanierung von Altwässern, Deichrückverlegungen oder die Entwicklung von Auenwald können wertvolle Überflutungsflächen zurückgewonnen werden. Die Überflutungszonen der Flüsse wirken als natürliche Hochwasserbremsen für die Unterlieger.“

Grüner Antrag  „Ökologischen Hochwasserschutz in Sachsen stärken – deutlich mehr Überschwemmungsflächen an sächsischen Gewässern schaffen“ (Drs 6/6312).

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