2002, da gab es einen ganz kurzen Moment, in dem man hoffen konnte, jetzt habe die sächsische Regierung begriffen, wie man ein Land besser gegen Hochwasser wappnen kann. Da wurde ein großes Programm zur Rückverlegung von Deichen vorgelegt. Tausende Hektar Überschwemmungsfläche sollten den Flüssen in ihrem Oberlauf wieder zur Verfügung stehen. Doch danach wurde das Ganze eingedampft. Die Milliarden wurden wieder in Deiche verbaut.

Die Grünen-Fraktion im Sächsischen Landtag nennt es ganz vorsichtig Behäbigkeit, wie die Sächsische Regierung bei der Schaffung zusätzlicher Überschwemmungsflächen an sächsischen Flüssen für den Hochwasserschutz vorgeht.

„Seit dem verheerenden Hochwasser im August 2002 ist klar: Wir brauchen mehr natürliche Überflutungsflächen für unsere Flüsse. Technische Bauten wie Mauern und Dämme allein verschieben die Wassermassen auf die Unterlieger. Obwohl es also bitter nötig ist, den Flüssen mehr Raum zu geben, sind die Bekenntnisse der verschiedenen Staatsregierungen zu natürlichem Hochwasserschutz bis heute nur Floskeln“, bringt Wolfram Günther, umweltpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, das Dilemma auf den Punkt. Er hat extra noch einmal bei der Staatsregierung angefragt, wo sie denn steht mit der Schaffung neuer Rückhalteflächen. „In Sachsen findet ökologischer Hochwasserschutz nur im Schneckentempo statt“, fasst Wolfram Günther die Ergebnisse seiner Anfragen zusammen.

„Ursprünglich wollte die Staatsregierung nach der Flut 2002 an insgesamt 49 Stellen die Überschwemmungsflächen der Flüsse vor allem durch gezielten Deichrückbau, aber auch den Bau von Poldern vergrößern. Der Plan, den Flüssen ehemalige Überschwemmungsflächen zurückzugeben, war gut“, stellt Günther fest.

Aber 15 Jahre später stehen nur noch 39 Maßnahmen auf der Agenda. Damit reduziert sich die Überflutungsfläche von einst 7.500 Hektar auf 5.650 Hektar. Bis jetzt sind selbst davon erst sechs Deichrückverlegungen mit 188 Hektar Flächengewinn umgesetzt. Dazu kommt ein fertiggestelltes Polderbauwerk (das nur gezielt geflutet wird) mit 72 Hektar Flächengewinn im Flutungsfall.

„Dies entspricht 3,5 Prozent der 2010 geplanten 7.500 Hektar. Das ist ein Armutszeugnis und reicht nicht aus. Intakte und lebendige Auen sind für den Hochwasserschutz von existenzieller Bedeutung. Wasser kann in der Breite versickern, wird durch angepasste Pflanzen aufgenommen und verdunstet. Hochwasser gehört in die Aue und nicht in unsere Wohnzimmer“, sagt der Abgeordnete.

Das sächsische Trödeln könnte man eigentlich fahrlässig nennen. Denn damit fährt der Freistaat hohes Risiko für den nächsten Hochwasserfall, denn dann stehen wieder – wie 2002 – nicht genug Überschwemmungsflächen zur Verfügung, die den Druck auf die Deiche flussabwärts mindern.

„Angesichts der Gefahr erneuter Hochwasser durch die Klimaerwärmung und die Zunahme von Extremwetterlagen ist die Reduzierung der ursprünglichen Zielstellung um ein Drittel und das Schneckentempo bei der Realisierung natürlicher Auenflächen indiskutabel“, findet Wolfram Günther. „Ich erwarte, dass der Umweltminister diese Untätigkeit der Öffentlichkeit erläutert. Wieso sind nach 15 Jahren erst sechs kleinere Deichrückverlegungen in Eilenburg (Landkreis Nordsachsen), Sermuth (Landkreis Leipzig), Crossen (Landkreis Zwickau), Brischko (Landkreis Bautzen), Dörgenhausen (Landkreis Bautzen) und Flöha (Landkreis Mittelsachsen) sowie ein Polderbauwerk (Umverlegung Weißer Schöps, Landkreis Görlitz) fertig? Wieso wurden in 15 Jahren nur lächerliche 188 Hektar zusätzliche Auenflächen für 8,5 Millionen Euro geschaffen, während man beim technischen Hochwasserschutz weder Kosten noch Mühen gescheut hat?“

Nur zur Erinnerung: Insgesamt hat Sachsen seit 2002 rund 2,4 Milliarden Euro in den Hochwasserschutz investiert. Nicht einmal ein halbes Prozent der Gelder wurde in vorbeugenden Hochwasserschutz investiert.

Von den weiteren, durch die Staatsregierung aufgeführten 32 geplanten Maßnahmen, sind aktuell lediglich vier im Bau. Dabei handelt es sich um eine Deichrückverlegung in Crossen an der Zwickauer Mulde, in Niederlichtenau an der Zschopau und in Sagar an der Lausitzer Neiße sowie den Polder bei Löbnitz im Landkreis Nordsachsen.

Dabei ist endlich auch ein etwas größeres Projekt: die 1.436 Hektar große Flutungsfläche bei Löbnitz an der Vereinigten Mulde. Vier weitere solcher Flächen sind (nun schon seit Jahren) in der Planung, bei drei weiteren gibt es noch nicht einmal Planungen.

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