Der Osten braucht eine Stimme. Das ist zumindest den sächsischen Sozialdemokraten mittlerweile klar geworden. Selbst in der SPD fehlt diese sichtbare Präsenz. Im Vorfeld des SPD-Bundesparteitags vom 7. bis 9. Dezember in Berlin verkünden der Vorsitzende der SPD Sachsen Martin Dulig und die Generalsekretärin Daniela Kolbe ihre Ambitionen für eine starke Stimme des Ostens in der Bundespartei.

Martin Dulig, Vorsitzender der SPD Sachsen, kündigte am Mittwoch, 6. Dezember, seine Bewerbung um die neu zu schaffende Position des Ostbeauftragten im Parteivorstand der SPD an: „Ich will das ‚gute Gewissen‘ des Ostens sein und dem Osten innerhalb meiner Partei eine Stimme geben. Der Osten hat einiges in die gesamtdeutsche Debatte einzubringen. Dabei geht es um eine selbstbewusste Interessenvertretung des Ostens in Berlin. Ein Viertel-Jahrhundert nach der Wende müssen wir endlich darüber hinwegkommen, mit dem Finger auf den Osten zu zeigen, uns mangelnde Dankbarkeit vorzuwerfen und bei bestimmten Wahlergebnissen mit dem Kopf zu schütteln. Man muss sich die Mühe machen, zu verstehen, weshalb das so ist, anstatt mit Pauschalitäten zu reagieren. Dafür will ich in Berlin und in unserer Partei werben.“

Womit er eigentlich den Finger in die Wunde legt: Die Rolle der „Ostpartei“ hat die SPD genauso wie andere (West-)Parteien vor allem der PDS/Linkspartei überlassen. Nur dummerweise saß die immer am Katzentisch der Bundespolitik. Selbst dann, wenn eine Koalition im Bund rechnerisch möglich war, begann das Getröte in allen Leitmedien, dass diese Partei einfach nicht koalitionsfähig sei.

Auch das hat zu diesem unübersehbaren Rechtsrutsch im Osten seit 2015 geführt. Und augenscheinlich hat das Bauchgefühl der Wähler Recht: Wenn die eigenen Anliegen über links nicht akzeptiert werden, rutscht der Protest automatisch nach rechts.

Als erste SPD-Politikerin in Sachsen hat Integrationsministerin Petra Köpping das Problem thematisiert und 2016 eine Debatte um die Nachwendezeit eröffnet. Schon jetzt mit einigen verblüffenden Ergebnissen – denn jetzt, wo es für viele Ostdeutsche an die Schlussrechnung geht für das, was sie seit 1990 auf sich genommen haben, stellt sich mit jedem Rentenbescheid heraus: Die Rechnung geht nicht auf.

„Es gibt ein großes Unverständnis von Westdeutschland gegenüber Ostdeutschland. Deshalb müssen wird dieses ‚Jammerossi‘-Image durchbrechen“, sagt Martin Dulig. „Für die Menschen im Osten hat sich seit 1990 die gesamte Lebensrealität verändert. Dass den Lebensgeschichten der Ostdeutschen Beachtung geschenkt wird, verdanken wir der Initiative von Petra Köpping. Die vielen Verletzungen, wie bei der Treuhand oder versagten Rentenansprüchen, müssen auf den Tisch und besprochen werden. Wir müssen aber auch nach vorne blicken und eine echte Zukunftsvision für Ostdeutschland entwickeln. Daran will ich als Ostbeauftragter arbeiten.“

Unterstützung für seine Arbeit als Ostbeauftragter der SPD erhofft sich Dulig durch die Wahl der Generalsekretärin der SPD Sachsen, Daniela Kolbe, in den Parteivorstand der SPD beim anstehenden Bundesparteitag.

„Ich bewerbe mich um einen Sitz im SPD-Parteivorstand, um der jungen ostdeutschen Generation eine starke Stimme in der SPD zu geben. Die SPD Sachsen hat in den letzten Jahren bewiesen, dass sie Sprachrohr der Ostdeutschen sein kann und will“, sagt Daniela Kolbe zu ihrer Kandidatur. „Dennoch haben wir in der SPD noch einiges zu tun, um die ostdeutschen Themen noch stärker in den Fokus zu rücken. Die geplante Rentenangleichung Ost-West war ein erster Schritt, der aber nur der Anfang sein kann. Der Osten braucht dringend die Solidarrente und eine umfassende Aufarbeitung der Treuhand. Auch deshalb haben wir einen Antrag zum Bundesparteitag gestellt, der genau diese Themen in den Blick nimmt. Dass es nach wie vor ungerecht im Osten zugeht, hat gerade erst der aktuelle Sachsen-Monitor im Freistaat vor Augen geführt. Für uns als SPD Sachsen ist klar: Wenn die SPD zu alter Stärke zurückfinden will, gilt es nicht zuletzt, als gesamte Partei ein klares und öffentliches Bekenntnis zu den besonderen Herausforderungen in Ostdeutschland zu geben. Ein Schwerpunkt der Erneuerung der SPD muss daher ein verstärktes Augenmerk auf die Strukturen, die Themen und den Zustand der Partei im Osten sein.“

Auf dem anstehenden Bundesparteitag der SPD vom 7. bis zum 9. Dezember in Berlin wird die SPD Sachsen einen Antrag zu den Themen Nachwendeaufarbeitung, Anerkennung der Lebensleistung im Osten und zur Aufarbeitung der Treuhand stellen. Und darin steht auch die Forderung, diese Aufarbeitung als gesamtdeutschen Prozess anzugehen. Ein Kernpunkt des Antrags lautet: „Wir müssen die Lebensleistung der ostdeutschen Aufbaugeneration nach 1989 anerkennen. Viele haben jahrelang in der Nachwendezeit und teils bis heute keine höheren Löhne oder mehr Beteiligung eingefordert, um ihren Job und ihre Unternehmen zu sichern. Sie waren es, welche sich durch die schwierige Zeit der Nachwendezeit kämpften und die Industrie und das Handwerk wieder aufgebaut und das Land am Laufen gehalten haben. Im Alter
drohen viele aus dieser Aufbaugeneration in der Grundsicherung zu landen. Der Osten braucht besonders dringend eine Solidarrente.“

Der Parteitag wird zeigen, ob es der Ost-SPD gelingt, sich überhaupt Gehör zu verschaffen.

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Damit könnte Herr Dulig auf dem richtigen Weg sein.

Was mir aber viel mehr imponiert hat – und ich hatte es vor einigen Wochen hier schon mal angemerkt (wurde dafür von Herrn Julke belehrt, dass das ja gar nicht so sei!) – Herr Dulig scheint begriffen zu haben, das am Anfang wohl stehen sollte, sich zu gemachten Fehlern zu bekennen (ich nannte das in meinem Kommentar “Ehrlich machen”).

Denn Herr Dulig hat in einem LVZ-Interview (vom 05.12.2017) erklärt:
„Mir fällt kein Zacken aus der Krone, Fehler einzugestehen. Beim Personalabbau sind wir dem Mainstream verfallen, dass wir aufgrund der demografischen Entwicklung Stellen streichen müssen“, sagt der Wirtschaftsminister und Vize-Ministerpräsident, „was wir als SPD jetzt in der Regierung seit Beginn tun, ist, diese Fehler zu reparieren. Zur Wahrheit gehört aber: Es gibt keine kurzfristigen Lösungen, die Reparaturen werden dauern.“

Er bekennt sich also klar, zur Mitverantwortung der SPD in Sachsen, für Personalabbau, etc.!

Vielleicht gibt es doch noch Hoffnung, wenn es nicht nur Absichtserklärungen sind!

Ja Herr Julke, nun können Sie ja wieder anfangen mit “Ich habe da nochmal nachgeschaut …..” und so ein wenig von oben herab zu Schulmeistern – aber die handelnden Akteure scheinen sich ja doch ihrer (Mit) Schuld oder besser (Mit)Verantwortung bewusst zu sein!

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